Nine Eleven und Abu Ghraib à la Giuseppe Verdi Letzte Opern-Premiere 2013 im Münchner Nationaltheater: „La forca del destino“

So also sieht sie aus, die Hölle. Ein grau-grünlicher, desolater Betonbunker, in die Erde geschlagen, bröckelnd, stickig, strotzend vor Eiseskälte, ein Käfig für Folterknechte und Terror-Opfer: Getriebene, Gehetzte, Geschundene, Elektrogeschockte. Ein Jenseits des Grauens. Nine Eleven und Abu Ghraib in einem. An diesem Ort, wo Gefangene zu liegenden Säulen erstarrt sind und alles Natürliches aus einem abgrundhässlichen Riesenverlies gewichen ist, spielen feuergepeitschte Szenen der Verfolgung und Todesdrohung, des Rache-Wahns und des Mordens, wie es menschenverächtlicher nicht geht. Man muss sich ins temporäre Diesseits zurückführen lassen von der überirdischen Musik Giuseppe Verdis zu seinem Melodram „La forca del destino“ von 1862, um der würgenden Beengung, in die einen Martin Zehetgrubers Kulisse treibt, schadlos zu entkommen.

Asher Fisch steht am Pult des Bayerischen Staatsorchesters bei dieser donnernden Premiere, die man einem gewiegten Kapellmeister überließ, der Verdi zwar rüberbringt, aber nicht annähernd so viel aus seiner drängenden, oft militant aufpeitschenden Musik herausholt wie es manchem seiner Vorgänger glückte, etwa Giuseppe Sinopoli, nach dessen Premieren-Ouvertüre zur „Macht des Schicksals“ 1986 am selben Ort sich das gesamte Haus zu Ovationen erhob. Damals hielt sich Götz Friedrich weitaus mehr an Verdi/Piaves Vorgaben für Schauplatz und Zeit der Handlung um 1750. Martin Kusej verlegte seine Version in die Schreckens-Jahre 2011 und 2012. Bei ihm gibt es keinen Mestizen Don Alvaro, dafür einen langhaarigen Outsider, erst in Edel-Jeans, in der Sterbeszene in Bügelfaltenhose, der nur äußerlich, nicht aber auch von der sozialen Herkunft in die Heiratspläne des strenggläubigen Marchese di Calatrava für dessen Tochter Leonora passt. Die Chance, sie zu kriegen hat der Eindringling ohnehin verwirkt, da sich aus seiner zu Boden gefallenen Pistole absichtslos ein für Leonorens Vater tödlicher Schuss gelöst hatte.

Diese zur Ouvertüre spielende „Schicksals“-Szene, die den Grund legt für die kaum glaubwürdige Entwicklung der Schauermär, spielt am selben langen Holztisch, der das Preziosilla-Bild (Domina-ähnlich verrucht: Nina Krasteva) mit den eigenartig verhuscht-verdreckten Kriegs-Chören (balsamisch gesungen!) beherrscht und als Austragungsfläche für den Zweikampf der schicksalhaft in der Hölle zusammengeführten Freund-Feinde Alvaro und Carlo dient. Das alles gibt aufgeladene Erregung her und, wie so vieles, was Kusejs Regie zu einer seiner intensivsten, packendestn Opern-Arbeiten macht, eine Plausibilität frei, mit der sich auch ein rückwärtsgewandter Verdiopernfan anfreunden kann.

Gesungen wird auf allerhöchstem Niveau – kaum überzeugender konnte Intendant Nikolaus Bachler seinen vierten Verdi-Jahr-Beitrag besetzen, der seinen Schützling Jonas Kaufmann hier schon wieder – nach bestens bestandener „Trovatore“-Prüfung – ins Feld führen und heftigen Ovationen aussetzen kann. Für seine bravouröse stimmlich-darstellerische Leistung gebührt Kaufmann die Auszeichnung „Sänger des Jahres“. Den Riesenerfolg teilt er sich mit Anja Harteros, deren innige, hochsensible, fragile Leonora von enormer Eindringlichkeit ist. Ludovic Tézier gibt als Carlo sein Münchner Rollen-Debüt und gewinnt mit raumfüllend strömendem Bariton ungeteilte Bewunderung. Intelligent wie so vieles an Kusejs Regie: die Doppelrollenvergabe an den Marchese und den Padre Guardiano für den samtig-runden Bass des Vitalij Kowaljow. Dem Kunstgriff kann man in puncto Verdeutlichung des Plots einiges abgewinnen, während der Part des von Verdi/Piave auflockernd-erheiternd gedachten Fra Melitone (Renato Girolami) an eine deplatzierte Seriosität verschenkt wurde. Bedauerlich auch, dass die Geborgenheit bietende Mönchs-Gemeinschaft Ersatz finden musste in einer kargen, kalten kirchlichen Bildungsstätte-Atmosphäre mit Falt-Türe und wenig Klarheit schaffenden Einkleidung (Kostüme: Heidi Hackl) der geistlichen, hier sektenhaft verfremdeten Bruderschaft.

Aufführungen im Januar am 2., 5., 8. und 11. Asher Fisch dann auch „Turandot“ (30. 1., 2. und 5. 2.) sowie drei „Salome“-Aufführungen im März mit Nadja Michael in der Titelpartie.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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