Naturwissenschaft des Geistes – Historisches

Der Geist des Menschen ist das zentrale Thema der Geisteswissenschaften. Er zählt auch heute noch zu den ungelösten Rätseln der Menschheit, weil er sich dem direkten experimentellen Nachweis entzieht. Erst in den letzten Jahrzehnten, nachdem verstärkt naturwissenschaftliche Technologien bei der Erforschung der Fragen des körperlichen und geistigen Lebens in Biologie und Genetik zum Einsatz kamen, konnten auch die neuronalen Aktivitäten des Gehirns, die für den Geist des Menschen verantwortlich sind, experimentell untersucht werden. Mit den jüngsten Erkenntnissen der Hirnforschung, der Kognitionswissenschaften und der Informationswissenschaften nähern sich jetzt auch die Naturwissenschaften verstärkt den Fragen, was der Geist des Menschen ist, was er wie macht, und aus was er evolutionär entstanden ist.

1. Einführung

Der Geist des Menschen ist ein in der Philosophie, Theologie, Psychologie und Alltagssprache uneinheitlich verwendeter Begriff, der naturwissenschaftlich vorwiegend im Zusammenhang mit der Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen und mit allen geistigen Aktivitäten im Zusammenhang mit Denken, Wissen, Erinnern und Kommunizieren verwendet wird. Da das Denken des Menschen auf der Verarbeitung von abgespeichertem Wissen beruht, das seinerseits auf verarbeiteten Sinneswahrnehmungen basiert, die ihn zum Rechnen, Planen, Entscheiden, Kontrollieren, Fantasieren, Träumen usw. befähigen, wird der Geist des Menschen naturwissenschaftlich primär mit der Verarbeitung von Informationen in Verbindung gebracht.

2. Leib-Seele Dualismus

Die naturwissenschaftlich relevante Geschichte des Geistes beginnt bei René Descartes (1), der Mensch und Tier zu Automaten erklärte. Er nahm die Verschiedenheit geistiger und körperlicher Phänomene zum Ausgangspunkt seiner Philosophie des Geistes und ordnete dem Körper (Leib) eine Sache mit räumlicher Struktur und dem Geist (Seele) eine Sache ohne jede Ausdehnung zu, die seiner Meinung nach mit dem Körper über die Zirbeldrüse in Verbindung steht. Durch Gedankenexperimente gelangte er ferner zu der Auffassung, dass sich der Geist vom Köper lösen könnte, sodass Geist und Körper zwei selbstständige, völlig unabhängige Substanzen darstellten. Diese spezielle Interpretation seines Dualismus sowie die Gleichsetzung von Geist und Seele einschließlich der Unsterblichkeit der Seele werden heute als Glaubenssache oder als Angelegenheit des philosophischen Geschmackes betrachtet.
Der erste materialistische Freigeist Thomas Hobbes (2) zerpflückte die Beweise, die Descartes für die Unsterblichkeit der Seele anführte, und behauptete später, das Gehirn sei nichts anderes als eine Denkmaschine, eine Überlegung, die in den letzten Jahrzehnten mit der Erfindung des Computers an Bedeutung gewann.
Auch Descartes rationalistische Nachfolger Spinoza (3) und Leibniz (4) kritisierten seine Zwei-Substanzen-Lehre. Nach ihnen sind Geist und Materie zwar nach wie vor radikal verschiedene Dinge aber nicht strikt getrennt. Nach Spinoza sind sie nur zwei verschiedene Aspekte ein und derselben Substanz, die Geist und Materie in Einem ist. Dies bedeutet, dass die gesamte Welt zugleich geistig und körperlich ist. Nach Leibniz sind die geistigen Vorgänge die Innenseite und die körperlichen Phänomene die Außenseite der Dinge. Nach ihm sind auch die kleinsten Teile der Welt, die wir heute als Atome bezeichnen, beseelt und wahrnehmungsfähig und stellen so etwas wie elementare Lebewesen dar, die er als Monaden bezeichnete. Nach ihm unterscheiden sich Körper und Geist deshalb primär in der Perspektive, die wir auf sie haben.
Nach Falkenburg (5) gilt: „Die Abgrenzung des Ich gegen die Außenwelt geht einher mit Willensakten, die solcher Selbstbehauptung dienen. Hier beginnt unsere Erfahrung der Freiheit: beim passiven Erleben und aktiven Errichten der Differenz von Innen und Außen; bei der Behauptung des Ichs, des subjektiven Innenraums, gegen den Rest der Welt, gegen die anderen und die physikalische Außenwelt.“
Außer der Kritik an ihren jeweiligen Vorgängern waren die Philosophen bisher nicht in der Lage einen empirischen Erkenntnisfortschritt und eine eindeutige und im Sinne Karl Poppers (6) falsifizierbare Erklärung der Phänomens des Geistes ausgehend vom denkenden Geist des Menschen zu erbringen. Die meisten heutigen Natur- und Geisteswissenschaftler beziehen sich mit dem Begriff des Geistes ausschließlich auf den Geist der Menschen und nicht darauf, dass es auch in anderen Lebewesen und technischen Systemen andere Formen des Geistes gibt, wie in den weiteren Teilen dieser Artikelreihe beschrieben wird (7).

3. Kausalität

Wie der Geist selbst war auch seine Entstehung schon immer ein Rätsel der Menschheit, das vorwissenschaftlich nur durch einen göttlichen Schöpfungsakt erklärt werden konnte. In einer naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise muss jedoch alles eine Ursache haben, die zu einer entsprechenden Wirkung führt. Ihre Beziehung, die als das Prinzip von Ursache und Wirkung bekannt ist, wird als Kausalität bezeichnet. Sie dient der Veranschaulichung und dem besseren Verständnis einzelner Teilbereiche eines Geschehens in einer Kausalkette. Da keine Wirkung naturwissenschaftlich aus dem Nichts entstehen kann, ist die Kausalität in den Naturwissenschaften von grundlegender Bedeutung. Ihre feste zeitliche Richtung geht immer von einer Ursache aus, auf die eine Wirkung folgt.
Aristoteles (8) verstand den Ursachenbegriff ganz anders als die neuzeitliche Naturwissenschaft. Seine Vier-Ursachen-Lehre war primär am menschlichen Handeln orientiert, also an dem, was wir durch Technik zustande bringen, und nicht an dem, was die Natur von selbst macht. Er schließt dabei neben der Stoff- und Wirkursache zwei Arten der Ursachen ein, nämlich die Form- und die Zweckursache, die mit Planung und Absichten zu tun haben und die deshalb dem Handeln ein Ziel und eine Richtung vorgeben. Nach ihm sind die Naturvorgänge wie menschliche Handlungen auf ein Ziel (telos, finis) gerichtet, was in den Naturwissenschaften als subjektiv eingestuft wird und daher als unwissenschaftlich gilt.
Seit Galileo (9) und Newton (10), der den freien Fall durch das Gravitationsgesetz erklärte, wobei die Schwerkraft als Wirkursache auf eine Stoffursache (die Masse) gilt, wurde das teleologische Denken des Aristoteles weitgehend abgeschafft. Dass dabei die Wirkung in eine vorherbestimmte Richtung (also zielgerichtet) determiniert erfolgt, wird dabei ignoriert. Warum-Fragen, die auf Ziele, Zwecke, Absichten und Motive abzielten, wurden in der Folge aus dem naturwissenschaftlichen Fragenkatalog getilgt. Deshalb findet man keine teleologischen Erklärungen auf naturwissenschaftliche Fragen in den bis heute gängigen naturwissenschaftlichen Betrachtungen.
In einer Kausalkette von Ursachen und Wirkungen, in der es keine Lücken geben darf, stellt sich also letztendlich auch die Frage, was die Ursache des menschlichen Geistes ist, der zweifellos Absichten und Ziele verfolgt. Auch diese Absichten und Ziele haben Ursachen, die (Ziel)-Vorgaben folgen, die wiederum Ursachen haben. Die Kausalität fordert, dass der menschliche Geist evolutionär aus anderen Geistformen entstanden sein muss, die ebenfalls natürliche „Absichten und Ziele“ verfolgten, die mehr oder weniger stringent sein konnten. Fragen dieser Art können erst seit wenigen Jahrzehnten unter Einbeziehung des Informationsbegriffes und der Informationsverarbeitung top-down evolutionär zurückverfolgt werden.

4. Information

Obwohl uns dieser junge Begriff heute auf Schritt und Tritt begegnet und ihn verschiedene Wissenschaften (11) als ihr zentrales Arbeitsgebiet betrachten, findet man nur wenig Arbeiten (12, 13, 14), die die Informationsverarbeitung als Grundlage des Lebens und des menschlichen Geistes ansehen, in der sie nachweislich eine alles entscheidende Rolle spielt. Der schwierig zu definierende Begriff der Information ist vermutlich einer der Gründe, weshalb sich die Hirnforscher nur selten mit dieser Thematik befassen, obwohl sie der detaillierten Erforschung der Aktivitäten des Gehirns und damit dem Geist des Menschen auf der Spur sind. Ihr Arbeitsschwerpunkt beschränkt sich weitgehend auf die Biophysik und -Chemie der Elementarprozesse in den Neuronen und ihren Verschaltungen.
Information und Kommunikation der aus den Sinnesorganen bereitgestellten Signale stellen die Grundlagen der Arbeit des menschlichen Gehirns dar. Shannon und Weaver (15) formulierten als erste ein Modell der Kommunikation zwischen einem Sender und einem Empfänger. Dieses dient noch heute als Ausgangspunkt der Definition der Information, die aufgrund der Komplexität des Begriffes mehrere Aussagen erfordert.
– Information ist eine eigene fundamentale Einheit. Da sie keine Eigenschaft der Materie oder der Energie ist, kann sie als geistige Größe bezeichnet werden, die die geistige Grundlage aller Aktionen in Technik, Kunst, Literatur, Gesellschaft, aber auch in der Physik, Chemie, Biologie usw. bildet.
– Jede Information benötigt einen Informationsträger. Es gibt keine Information ohne einen Informationsträger. Beispiele: Gene, Neuronen Bücher, Schallwellen, elektromagnetische Wellen, Elektronen, Ionen, …
– Informationen werden von einem Sender ausgesandt. Sie werden im Sender durch einen speziellen Mechanismus verursacht. Sie können spontan produziert werden, beispielsweise bei der spontanen Emission eines Photons oder sie können mit einer Absicht gezielt entstehen, beispielsweise bei der Telekommunikation.
– Damit der Empfänger eine Information erhalten kann, muss er auf den Sender abgestimmt sein und die Sprache der Information verstehen. Nur dann kann eine Reaktion (Wirkung der Information) erfolgen.
– Information befähigt oder stimuliert den Empfänger zu bestimmten Handlungen (bzw. initiiert oder implementiert sie). Sie enthält z.B. ein Computerprogramm oder genetische Vorgaben, die genau eingehalten werden müssen, aber sie kann auch beliebige Freiheitsgrade der Aktion zulassen. Diese reaktive Funktion der Information gilt sowohl für unbelebte Systeme (in Materie, Computern, Automaten ..) als auch für lebende Organismen (biologische Zellen, Tiere, Menschen…). Alle im Empfänger ausgelösten Aktivitäten (alle Wirkungen) sind in der Information, die mit einer bestimmten Absicht verfasst wurde, enthalten.
Eine Information, die z.B. eine Anweisung zu einem bestimmten Vorgehen enthält, bewirkt etwas, was als Ziel der Aktion betrachtet werden kann. Genetische Informationen lassen Kopien von Lebewesen entstehen, Sinnesinformationen lassen Mensch und Tier entsprechend reagieren. Informationen werden grundsätzlich benötigt. Sie dienen also einem gewissen Zweck, der nicht geleugnet werden kann.
Ein Sender, dessen Signal wir verstehen, teilt uns grundsätzlich etwas mit und bewirkt dabei etwas, ob er es will oder nicht. Die Sonne teilt uns beispielsweise mit ihren abgestrahlten Photonen frei Haus mit, dass sie da ist und welchen atomaren Ursprung ihre Photonen haben. Das Licht, das von den Objekten dieser Welt reflektiert wird, teilt uns als Bildinformation mit, was in unserer unmittelbaren Umgebung geschieht. Durch unsere Sinnesorgane wollen wir Informationen über unsere Welt erhalten, weil diese Informationen für uns lebenswichtig sind und entsprechende Reaktionen ermöglichen. Durch Messung eines Signals will der Empfänger grundsätzlich etwas erfahren. Bei einer Radarfalle will das Auto gewiss der Polizei nicht mitteilen, wie schnell es fährt. Es wird aber als Sender der reflektierten Radarstrahlungdazu missbraucht.
Ob ein Empfänger informiert werden will, oder ob ein Sender informieren will, ist deshalb nicht immer eindeutig. Der Nutzen der Information liegt auf beiden Seiten. Wer mit Informationen etwas erreichen will oder nicht, ist eine Frage der philosophischen oder theologischen Interpretation. Wenn sie einen Nutzen hat, dann erfüllt sie einen Sinn, der einer Logik folgt. Fakt ist: Informationen werden nach den Gesetzen der Natur zur Verfügung gestellt und genutzt.

5. Determinismus

Der kausale Determinismus besagt, dass alle Ereignisse (insbesondere auch zukünftige) durch (a) Vorbedingungen, die den Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt charakterisieren, und (b) Naturgesetzmäßigkeiten festgelegt sind. Jeder Zustand des Kosmos ist deshalb eine genau festgelegte Folge des vorhergehenden, da jede Ursache nur eine eindeutige Wirkung hat. Wenn etwas determiniert ist, dann erfolgt es zielgerichtet, da das Geschehen vorherbestimmt ist. Was geschieht, ist immer durch Naturgesetze genauestens festgelegt. Das Naturgeschehen ist damit teleologisch festgelegt.
Das deterministische Denken der Neuzeit ist durch den Mathematiker und Physiker Pierre Laplace (16) geprägt und beruht auf den Erfolgen der mathematischen Physik und der Tatsache, dass die in der klassischen Mechanik verwendeten strikten Naturgesetze keine Abweichungen von dem vorbestimmten Verlauf zulassen.
Die Gegenthese des Indeterminismus kam durch die Quantenmechanik auf, die nur Wahrscheinlichkeitsaussagen für die Zukunft erlaubt. Der genaue Ablauf einzelner Prozesse einzelner Teilchen ist aufgrund ihrer Orts- und Impulsunschärfe nicht exakt vorhersehbar, wohl aber das Verhalten eines Ensembles aus unendlich vielen Teilchen.
Da der menschliche Geist mit Informationen umgeht, sind sie etwas Geistiges. Dasselbe gilt für die Naturgesetze. Sie beschreiben die Wechselwirkungen, die in der Natur stattfinden. Nur wann es geschieht, ist in der Natur nicht immer festgelegt, bzw. vorhersagbar. Nach dem Standardmodell der Kosmologie hat ein spontanes Ereignis das Universum aus einer Singularität mittels E=mc2 mit einer einzigen Urkraft erschaffen. Spontan bedeutet dabei, es bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass es geschah, aber der genaue Zeitpunkt des Geschehens kann nicht festgelegt werden. Dies gilt auch für die vier Fundamentalkräfte der Physik, die die elementaren Wechselwirkungen zwischen den Fundamentalteichen beschreiben. So gibt es z.B. einen durch physikalische Gesetzmäßigkeiten genau festgelegten Prozess des radioaktiven Zerfalls, der wie die spontane Emission von Licht erfolgt. Bei allen Aktionen, die durch die Fundamentalkräfte ausgelöst werden, liegt fest, was mit welcher Zerfallswahrscheinlichkeit (eine Eigenschaft des betroffenen instabilen Teilchens) geschieht, aber es liegt nicht fest, wann genau es geschieht, da nicht alle Teilchen bei ansonsten exakt gleichen Anfangsbedingungen diesen Prozess gleichzeitig durchführen. Es gibt z.B. Uranatome, die zerfallen heute und solche, die erst in einer Million Jahre zerfallen, aber wie sie zerfallen, liegt genau fest. Dasselbe gilt für die Folgeprozesse. Die Freiheit, die ein einzelnes Teilchen des Systems hat, ist also bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung sehr groß. Für ein einzelnes Teilchen ist deshalb der Zerfallsprozess sehr stark von der „individuellen Neigung zu zerfallen“ abhängig, und es ist weder vorhersehbar noch vorausberechenbar, was danach geschieht, da sich auch die Umgebung der entstehenden Teilchen aufgrund der spontanen Zerfälle für jedes Teilchen anders aussehen und anders auswirken und deshalb in einem Vielteilchensystem statistisch verteilte neue Wechselwirkungen auftreten, die wiederum Ereignisse auslösen, die zwar den Naturgesetzen unterworfen sind, aber nicht vorhergesagt werden können.
Der Mathematiker Bertrand Russell (17) erkannte, dass jede deterministische Theorie, wie die klassische Physik, die Maxwellsche Elektrodynamik sowie Einsteins Relativitätstheorie, die den Ursachenbegriff weitgehend durch mathematisch formulierte Naturvorgänge ersetzt, damit den wichtigen Aspekt der objektiven Zeitordnung verliert. Der Grund liegt in der Zeitsymmetrie der mathematischen Beschreibung der Phänomene, die die eigentliche Ursache durch die Anfangsbedingungen eliminiert und damit der asymmetrischen Reihenfolge von Ursache und Wirkung in der Natur nicht gerecht wird. Allerdings sind weder alle physikalischen Theorien reversibel noch alle Naturvorgänge deterministisch, denn sonst gäbe es keinen physikalischen Zeitpfeil. Dies gilt unbestritten für irreversible thermodynamische Prozesse sowie für einzelne Quantenprozesse, die durch Wahrscheinlichkeiten beschrieben werden wie beispielsweise die Fragen, wann und in welche Richtung ein Atom ein Lichtquant abgibt oder welches Messergebnis ein einzelner Messprozess hat.

6. Naturwissenschaftliche Ansätze zur Lösung der Ursachenproblematik

Die modernen Naturwissenschaften konzentrieren sich aufgrund der gerne als vorwissenschaftlich bezeichneten Ursachenproblematik auf die Fragen, warum etwas geschieht oder warum ein bestimmtes Phänomen auftritt. Ziel ist dabei eine präzise, objektive und begründete naturwissenschaftliche Klärung der Problematik im Zusammenhang mit den Ursachen und Mechanismen der untersuchten Phänomene. Dabei unterscheidet man nach Falkenburg (5) grob folgende naturwissenschaftliche Erklärungstypen:
– Deduktiv-nomologische Erklärungen (18) eines Sachverhalts bestehen darin, Einzelereignisse bei vorgegebenen speziellen Gegebenheiten aus einem strikten, allgemein gültigen Gesetz logisch abzuleiten.
– Probabilistische Erklärungen beruhen auf Wahrscheinlichkeitsaussagen mit den entsprechenden Gesetzmäßigkeiten. Sie erlauben keine Prognosen für Einzelereignisse, sondern nur für statistische Ensembles und setzen im Gegensatz zu den zuvor genannten Erklärungen einen Zeitpfeil voraus.
– Erklärungen durch kausale Modellierung (19) zielen darauf ab, die Faktoren zu identifizieren, die kausal für das Zustandekommen von Ereignissen sind. Sie gehen davon aus, dass Ereignisse durch ein komplexes Ensemble von Bedingungen (Multikausalität) zustande kommen.
– Mechanistische Erklärungen (20) basieren auf Mechanismen, die in einem Ereignis am Werk sind. Ein Phänomen ist genau dann erklärt, wenn ein physikalischer, chemischer oder biologischer Mechanismus angegeben werden kann, über den das zu erklärende Phänomen und seine Ursachen miteinander verbunden sind. Ein solcher Prozess kann Verzweigungspunkte durchlaufen, an denen der weitere Verlauf nicht mehr determiniert ist.
– Der klassische Erklärungstyp ist in der neuzeitlichen Physik die Vereinheitlichung (21), d.h. das Naturgeschehen in eine einheitliche umfassende Theorie einzubetten. Danach bedeutet erklären soviel, wie alles in einem umfassenden kohärenten Bild zu vereinheitlichen, noch allgemeiner, in ein einheitliches Weltbild zu integrieren, das neben wissenschaftlichen Erklärungen auch unser Allgemeinwissen umfasst.

7. Neurowissenschaften

Die Hirnforschung umfasst alle Forschungsbereiche der Neurowissenschaften, die sich mit der Untersuchung des Aufbaus und der Funktionsweise der Nervensysteme des Gehirns befassen. Ein wesentliches Ziel ist dabei den Mechanismen des Geistes mit technologischen Mitteln und Erkenntnissen anderer moderner Disziplinen aufzuklären. Sie nähert sich damit der Lösung eines der größten erkenntnistheoretischen Probleme, dem Zusammenhang zwischen Gehirn und Geist (22). Für die Neurobiologie ist Bewusstsein ein physikalisches Phänomen, das im Gehirn des Menschen erzeugt wird (23). Dabei interessieren Fragen der Zuordnung von bewussten Prozessen auf einzelne Neuronen, Neuronenverbände und dem Gehirn als Ganzem.
Der Mechanismus, der das Bewusstsein erzeugt, basiert auf elektrischen Signalen, die Informationen aus den Sinnesorganen in das Gehirn leiten. Die Signaltransporteinheit, die Nervenzelle (das Neuron), besteht aus einem Zellkörper und Fortsätzen, die die Signale anderer Nervenzellen empfangen (Dendriten) oder Signale zu diesen aussenden (Axone). Die über die Kontaktstellen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen vermittelte Zellkommunikation involviert physikalische und chemische Prozesse (elektrische Auf- und Entladung sowie die Freisetzung oder Bindung bestimmter Botenstoffe (Transmitter), die mit neurobiologischen Methoden gemessen werden können.
Anders als in elektronischen Rechenmaschinen ist in Gehirnen kein Unterschied zwischen Programm und Rechnerarchitektur, zwischen Soft- und Hardware auszumachen. Die Architektur der Verschaltung ist das Programm, welches die Funktion des Nervensystems festlegt. Drei Mechanismen (24) konstituieren das Programm des Gehirns. Erstens, die Gene, die die evolutionäre Entwicklung in die Struktur einfließen lassen, zweitens die Erfahrungen aus den Sinnesinformationen, die die Strukturen verändern und drittens, das Wissen, das durch Lernprozesse erworben wird.

8. Leben

Da der Geist des Menschen eine Einheit mit dem Körper des Menschen bildet, müssen beide grundsätzlich gemeinsam betrachtet werden. Dies fordern auch alle Überlegungen zum Körper-Geist Dualismus sowie zu den Fragen der Reproduktion von Körper und Geist bei der Weitergabe des Lebens an nachfolgende Generationen. 1854 entdeckte G. Mendel (25) die fundamentale Bedeutung der Erbfaktoren bei der Reproduktion des Lebens, auf deren Grundlage Charles Darwin (26) kurz danach seine Evolutionstheorie begründete. Ihre Entdeckungen repräsentieren die ersten wichtigen Meilensteine im Verständnis des Lebens.
Der Hauptschritt zum Verständnis der Informationsübertragung bei der Vererbung gelang durch die Aufklärung der molekularen Struktur der Gene (27) und die Entschlüsselung des menschlichen Genoms (28). Die Gene enthalten molekular abgespeichert alle Informationen zur Steuerung der Lebensprozesse in einem Organismus. Die moderne Genetik liefert damit die wichtige Erkenntnis, dass unsere Zellen ein nahezu ewiges Leben hatten. „Alles Leben, was je gelebt hat und was heute lebt, ist das Resultat der Teilung der Urzelle“, formulierte Popper (29). Mehr noch, jede unserer Körperzellen ist Milliarden Jahre alt, da sie immer durch Zellteilung aus lebenden Vorgängerzellen entstanden ist. Unser Leben ist also Milliarden Jahre alt!
Evolution im Reagenzglas ist das Ziel vieler aktueller Forschungsprojekte. Bei der Erforschung artifizieller Selbstreplikation (durch Autokatalyse und Informationsübertragung) gelang es tatsächlich das Darwinsche Prinzip der Evolution auf molekulare Systeme zu übertragen und Moleküle zu synthetisieren, die sich selbst reproduzieren (30).
Die Entstehung des Lebens kann durch metabolische und genetische Theorien beschrieben werden. Die einen setzen den Beginn des Lebens mit der Entstehung eines primordialen, sich selbst erhaltenden Stoffwechsels gleich, der ausschließlich durch Verzehr von Energie- und Materieformen lebt, die ursprünglich auf der Erde anzutreffen waren (31), und die anderenimplizieren einen Stoffwechsel lediglich auf der Ebene des Aufbaus genetischer Moleküle (32). Schon Schrödinger (12) erkannte, dass jede Form des Lebens auf ständige Energiezufuhr angewiesen ist. Nur mit ihr ist Leben in der Lage Ordnung im Chaos zu schaffen und sich so dem Abfall in den Gleichgewichtszustand zu entziehen.

Fazit und Ausblick

Die in diesem Artikel beschriebenen wesentlichen Eckpunkte der Geschichte der naturwissenschaftlichen Aspekte des Geistes, dienen als Grundlage zu den bereits publizierten Teilen 1 und 2 und den noch folgenden Teilen. Mit dieser Artikelserie zur Naturwissenschaft des Geistes wird angestrebt, die Funktion des menschlichen Geistes und seine evolutionäre Entwicklung in eine einheitliche umfassende Theorie entsprechend dem klassischen Erklärungstyp der neuzeitlichen Physik einzubetten. Mit naturwissenschaftlichen Fakten der Information und der Informationsverarbeitung kann damit belegt werden, dass Körper und Geist im Sinne von Leibniz (4) eine untrennbare Einheit bilden, bei der der Geist den internen Akteur charakterisiert, der die notwendigen Informationen verarbeitet. Er hat sich evolutionär in einer Kausalkette aus verschiedenen Geistformen entwickelt, die mit den Kräften der Naturgesetze nicht nur im Gehirn, sondern auch in den Körperzellen und in den Atomen aktiv sind und damit die Grundlage des körperlichen und geistigen Lebens bilden.

Literatur

(1)
René Descartes (1596-1650). Meditationes de prima philosophia. Amsterdam (1641) übersetzt von Christian Wohlers. Hamburg. Meiner (2009)
(2)Thomas Hobbes (1588-1679). De Corpora (1655) übersetzt von Karl Schuhmann, Meiner, Hamburg (1997)
(3)Baruch de Spinoza (1632-1677) beschrieben in: Spinoza zur Einführung von Helmut Seidel, Hamburg (1994)
(4)Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) beschrieben in: Leibnitz, ausgewählt und vorgestellt von Thomas Leinkauf, München (2000). Sein Begriff der Monade weist erstaunliche Parallelen zur modernen Physik der Elementarteilchen auf. Auch bei diesen ist ihre Wirkungssphäre durch die sie umgebenden Kraftfelder bestimmt, mit denen sie spontan mit anderen Teilchen wechselwirken.
(5)Brigitte Falkenburg. Mythos Determinismus. Springer Spektrum (2012) 31
(6)Karl R. Popper. Objektive Erkenntnis (1973)
(7)Hans Sixl, Naturwissenschaft des Geistes, Teil 1 und 2, Tabula Rasa No 83 (1/2013).
(8)Aristoteles (384-322 BC)
(9)Galileo Galilei (1564-1642)
(10)Isaak Newton (1642-1724)
(11)Zu diesen Wissenschaften zählen Informatik, Informationstheorie, Informationswissenschaften, Nachrichtentechnik, Informationsökonomik und Semionik.
(12)Erwin Schrödinger. Was ist Leben? Cambridge University Press (1944). Die Notwendigkeit der Verarbeitung der Erbinformation ist als wesentlicher Bestandteil in seinen Arbeiten enthalten.
(13)Hans Sixl. Leben stirbt nicht. Mein Buch Verlag, Elbdock 2004 und Göttliches – aus naturwissenschaftlicher Sicht, Wagner Verlag, Gelnhausen 2010.
(14)Werner Gitt. In the Beginning was Information. Master Book 2006
(15)E. Shannon and C. Weaver. The Mathematical Theory of Communication. Urbana. Chicago (1949)
(16)Pierre Laplace (1749-1827)
(17)Bertrand Russell (1872-1970). On the Notation of Cause. Proc. Of Aristotelan Soc.13, (1912) 1
(18)Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim. Studies in the Logics of Explanations in Philosophy of Science 15 (1948) 135
(19)John L. Mackie Causes and Conditionals. Am. Philosophical Quaterly 2 (1965) 245
(20)P. K. Machamer et al. Thinking about Mechanisms. Philosophy of Sciences 67 (2000) 1
(21)Michael Friedman. Explanation and Scientific Understanding. Journal of Philosophy 71 (1974) No 1
(22)Henning Scheich in: Gene, Neuron, Qubits & Co. Verhandlungen der GDNÄ. Hirzel Verlag Stuttgart (1998)
(23)H. J. Heinze in derselben Ausgabe.
(24)W. Singer in derselben Ausgabe.
(25)Gregor Mendel, sein Leben, Werk und Wirkung von Widmar Tanner. Biologie in unserer Zeit 14 (1984) 84
(26)Charles Darwin. On the Origin of Species… Murrey (1859)
(27)J. D. Watson und F. Crick (1953)
(28)Das Human Genom Project wurde 2003 erfolgreich abgeschlossen.
(29)K. R. Popper. Auf der Suche nach einer besseren Welt. Piper Verlag München (1995)
(30)Günter von Kiedrowski in: Gene, Neuron, Qubits & Co. Verhandlungen der GDNÄ. Hirzel Verlag Stuttgart (1998)
(31)G. Wächtershäuser. Before enzymes and templates. Microbiol.Rev.52 (1988)452 und Groundworks for an evolutionary biochemistry. Progr. Biophys. Mol. Biol. 58 (1992) 85.
(32)J. W. Schopf. Earth’s Earliest Biosphere: Its Origin and Evolution. Princeton University Press (1983).

Finanzen

Über Hans Sixl 52 Artikel
Dr. Hans Laurenz Sixl, Jahrgang 1941, arbeitete als Professor für Physik an den Universitäten Stuttgart und Frankfurt und als Visiting Professor in Durham (UK) und Tokyo (J). Von 1986 bis 2001 war er Forschungsdirektor in der Chemischen Industrie und Vorstandsmitglied der deutschen Physikalischen Gesellschaft. Seine Arbeitsgebiete waren Spektroskopie und Materialforschung. Er hat die Molekularen Elektronik in Deutschland begründet und lehrte an der Universität Frankfurt.

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