Der komfortable Vorsprung der CDU in Thüringen ist dahin, nach zehnjähriger, fast monarchischer Regierungsführung der Christdemokraten ist am 30. August eine Ära zu Ende gegangen. Quittiert hat der Wähler eine zusehende Verbürokratisierung der Macht und eine Politik, die bisweilen schon Züge eines Führungsstils à la Politbüro und SED-Regime angenommen hatte. Statt frei zu diskutieren, Gelöbnisse, feierliche Versprechungen und die Ausdruckslosigkeit von leeren Phrasen. Die CDU in Thüringen verklemmte sich im puren Regieren, im Aushalten und Machtverharren, die Interessen der Wählerschaft gingen schon lange an der Staatskanzlei in Erfurt vorbei. Auch Althaus und sein Team waren nicht die charismatischen Politiker, die das Land brauchte und nach denen man sich hier sehnte, von Fehlentscheidungen nicht nur in der Wirtschaftspolitik ganz zu schweigen.
Selbst wenn der tragische Skiunfall des Ministerpräsidenten am Neujahrstag, bei dem eine Frau zu Tode kam, nicht entscheidend für den zweistelligen Verlust der CDU, so zumindest die Wahlumfragen, war, so war es doch der von seinem Unfall schwer gezeichnete Althaus, der zusehends sein Charisma verlor. Althaus wirkte, wenn man seine Statements in den letzten Wochen vor der Wahl analysiert, oft abwesend, mußte sich enorm konzentrieren, um die Interviews zu überstehen. Was herauskam, war ein ewiger Singsang eines politisch Ermüdeten. Immer wieder deutlich wurde, daß hier einer zum Kampf angetreten ist, der physisch und psychisch gar nicht mehr in der Lage war, den harten Kampf um das Ministerpräsidentenamt zu führen. Althaus hätte die Konsequenzen ziehen müssen, sein Wiederantreten hat nicht nur ihm, sondern auch seiner Partei geschadet. Und daß es unionsintern keine Alternative für ihn gab, steht auch für die schlechte Lage der Partei im Land. Anstatt mit allem Nachdruck an der Macht festzuhalten, wäre ein rechtzeitiger Abgang für sein Ansehen besser gewesen. Nun muß sich der erfolgsverwöhnte Politiker, der immer die Rückendeckung aus Berlin von der Parteivorsitzenden bekam, auf den schweren Weg nach Koalitionspartnern begeben, um überhaupt seiner Partei im Land noch ein Mitspracherecht zu ermöglichen. Daß dies mit der Linken und ihrem charismatischen Lafontaine-Ableger Ramelow nicht möglich ist, ist klar. Schwierigkeiten macht ihm sicherlich auch die SPD unter Christoph Matschie, die sich in Thüringen leicht verbessern konnte, die aber bundesweit immer noch bei 23-25 Prozent dahindümpelt. Sie wird für Thüringens Schicksal nun eine entscheidende Rolle spielen, sie feiert sich, welch Ironie, als Wahlsieger.
Bei aller Euphorie, die die SPD-Spitzen im Willy Brandt Haus gestern verlautbaren ließen, indem sie das Ende einer möglichen Koalition bei der Bundestagswahl von Union und FDP beschworen, das Wahlergebnis der SPD in Thüringen ist auch nicht rühmlich. Für sie ergibt sich aber eine völlig neue Perspektive: Die große Volkspartei SPD ist zum Lückenfüller geworden, weit abgeschlagen hinter den Linken.
In den nächsten Tagen wird sich entscheiden, ob Matschie bei möglichen Gesprächen mit Althaus für das Amt des Ministerpräsidenten votieren will, oder ob er sich mit dem zweiten Platz zufrieden gibt. Sollte es ihm nicht um die Profilierung der eigenen Macht, sondern um sein Parteiprogramm gehen, wäre der zweite Platz sicherlich angemessen. Nur: Ob sich mit einer derartigen Konstellation von CDU und SPD im Land überhaupt etwas ändert, dies mag man auch bezweifeln. Vielleicht, dies wäre ein Gedankenspiel, räumt aber Althaus seinen Posten für den SPD-Kandidaten, um dann mehrere seiner Minister im Amt zu behalten.
Auch bei einer möglichen Koalition von rot-rot-grün hängt alles vom Machtpoker ab. Matschie oder Ramelow, das ist hier die Frage. Daß Ramelow mit seinem komfortablen Vorsprung die Macht an die SPD abgibt, darf bezweifelt werden, auch daß die SPD unter der Führung der Linken regiert. Es sieht aller Wahrscheinlichkeit nach einer großen Koalition aus, die sich aber künftig mit einer starken Opposition auseinanderzusetzen hat.
Thüringens Wahlvolk hat gezeigt, daß ihm nach der Wende absolute Mehrheiten auch nicht geheuer sind. Was es aber mit seinem Wahlverhalten geschafft hat, ist ein politisch schwer zu regierendes Land. Ob es sich damit einen Gefallen getan hat, oder ob das politische Profil nur eine Interimslösung ist, die sicherlich auch einiges Gutes hat, wird die Zukunft entscheiden. Zumindest ist die Linke nunmehr in der Pflicht, nicht nur Wahlversprechen blindlings herauszuposaunen, sondern aktiv an der Gestaltung Thüringens mitzuarbeiten. Für diese Aufgabe kann man ihr und ihrem charismatischen Ramelow nur Glück wünschen. Letztendlich scheint die Wahl in Thüringen wie die im Saarland eine zu sein, bei der letztendlich das überzeugende Auftreten ihrer Politkader, Ramelow und Lafontaine, ausschlaggebend war.
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