Mythos König Ludwig II. im Italienischen Kulturinstitut

Ludwig II. im Alter von 20 Jahren. Gemälde von Ferdinand von Piloty, 1865. Quelle: Wikipedia, Gemeinfrei

Die historische Gestalt von König Ludwig II. stand neulich im  Mittelpunkt einer aktuellen Veranstaltungsreihe, die das Italienische Kulturinstitut in München dem Themenkomplex  „Mythos“ widmet.   Vorgeführt wurde die vollständige Version von Luchino Viscontis Klassiker „Ludwig“ (1972).  Eine 247 Minuten lange Fassung, die erst nach Viscontis frühem Tod im Jahre  1976 von Enrico Medioli mit der Supervision seiner langjährigen Drehbuchautorin Suso Cecchi d’Amico als fünfteilige Serie für den Sender RAI produziert wurde.

Opfer der Zensur war der Film vor allem in Deutschland geworden, wo er zunächst 1973 in einer 3-Stunden Fassung in Bonn gezeigt und  kurz darauf von der Münchner-Gloria-Film um weitere 55 Minuten gekürzt wurde. Geschnitten wurden nicht nur die Szenen, die auf Ludwigs II. Homosexualität anspielten, sondern auch diejenigen, die auf seine Zuneigung zur Cousine Elisabeth in der glanzvollen Interpretation von Romy Schneider hinwiesen. Herausgenommen  wurde  sogar ein Gespräch zwischen Ludwig II. und Richard Wagner, welches sich um rein ästhetische  Fragen drehte. Die „Karikatur“ eines „nie da gewesenen Filmes“ nannte Mauro Glori, Dozent für Theorie und Filmsprache an der Universität Mailand und Visconti-Fachmann, den Film,  der 1980 in die Kinos der BRD kam und erst 1993 im ZDF (2008 bei Arte) in seiner ganzen Länge ausgestrahlt wurde. Dahin gestellt bliebe heute noch die Frage nach der Fassung, wofür sich  Visconti entschieden hätte, wäre er nicht durch Krankheit daran gehindert worden.

Interessant war von Klaus Kempf zu hören, der ein Gespräch mit dem extra angereisten Mailänder Experten brillant führte, wie die Wahl des Sujets Viscontis besondere Vorliebe für die deutsche Kultur zu verdanken sei.  Er stellte  „Ludwig“ als Teil der so genannten „Deutschen Trilogie“ vor, zu der zwei weitere Meisterwerke des Regisseurs „Die Verdammten“ (1969) und  „Tod in Venedig“ (1971) aus Thomas Manns gleichnamiger Erzählung zählen. Groß sei der deutsche Einfluss auf seine Entwicklung gewesen, was auch die Faszination erklärt, der er als junger Besucher in Berlin beim Anblick einer NS-Parade unterlegen war.

Die Fähigkeit der Nazis zu Inszenieren hatte dem künftigen Bühnen – und Kinoregisseur besonders imponiert, was ihn allerdings Jahre später nicht daran hinderte, sich den kommunistischen Partisanen im aktiven Kampf gegen den deutschen Besatzer anzuschließen.

Als literarische Vorlage für den „Ludwig“  nannte  Mauro Glori wiederum Klaus Manns Novelle „Vergittertes Fenster“, die als sein erstes Werk in italienischer Übersetzung 1973 unter dem Titel „La Morte del  Cigno“ (Der Schwanentod) in Franco Maria Riccis  legendärer „Biblioteca Blu“ veröffentlicht wurde. Anlass für die Entdeckung in Italien des lange verkannten ältesten Sohnes Thomas Manns  war der Film, den er inspiriert hatte. Zwei verwandte Seelen, zwei „Ludwig II.-Versteher“ hatten auf einander getroffen! Meisterhaft gelang es Visconti jene Atmosphäre hervorzurufen, in der sich die letzten von einem unaufhörlichen Dauerregen begleiteten Tagen und Stunden im Leben des unglückseligen Monarchen abspielten. Ein langsamer, von immenser Traurigkeit  getränkter Abgang, der einen Hauch sowohl der Todesahnung des schwer erkrankten Visconti als der Todessehnsucht Klaus Manns auf die Leinwand grandios transponiert.

Als Einführung zu Viscontis „Ludwig“ zeigte das Italienische Kulturinstitut den ART-DOKU-FILM der Münchner Filmemacherin und Historikerin Angelika Weber Ludwig II –  Mein Atem ist die Freiheit, in dessen Fokus keineswegs der „Märchenkönig“ steht, sondern eher der visionäre  Monarch mit seinem idealistischen Drang als sensibler Förderer der Künste,  als Erneuerer und Verfechter des technischen Fortschritts, nicht zuletzt auch der nach außen hin gewandte Weltbürger in all seiner Modernität und Aktualität.

Uraufgeführt wurde das in zweieinhalbjähriger Arbeit realisierte  Portrait in Oberammergau im so genannten „Blauen Jahr“ 2011 zum 125. Todestag des immer noch sehr beliebten Monarchen. Atemberaubende Außen- und Innenaufnahmen Bayerns mit seinen Bauten und Kunstwerken beherrschen die Szene.  Eine Bilderflut kommt auf dem Zuschauer zu und versetzt ihn beinah in einen Rausch. Die schnellen Schnitte sollen den raschen, oft galoppierenden Rhythmus nachempfinden lassen, in dem sich bei Ludwig II. der kreative Prozess vollzog,  seine blitzartigen Intuitionen, die Geschwindigkeit, mit der er Ideen entwickelte und Pläne zur Realisierung führte. Es ist das Tempo eines Menschen, dem nur – wie er selbst vorahnte – ein kurzes Leben beschieden war.

Die Zeit in ihrem Dahinfließen, aber auch in ihrer Begrenztheit wird zum roten Faden, der sich durch den ganzen Film durchzieht: Sinnbildlich dafür stehen die immer wieder eingeblendeten Uhren mit ihrem mahnenden Glockenschlag und die vielen Spinnennetze, in denen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schleierhaft wie in einer kunstvollen abstrakten Komposition verweben.

Ludwigs II. kultivierter Sprachduktus – die Sprache eines Dichters, der sich nur auf Hochdeutsch artikulierte  –, die eindrucksvollen Zitate aus einer Fülle von Autographen verleihen dem Streifen die Aura eines außergewöhnlichen historischen Dokuments. Er selbst, der „Kini“,  führt den Zuschauer auf einer spannenden Entdeckungsreise hinter verschlossene Türen im Spiegel von unbekannten Originalschriften und eigenhändigen Zeichnungen. Zum ersten Mal wird hier Ludwigs II. Welt aus seiner eigenen Sicht und aus dem Blickwinkel mancher seiner Zeitgenossen aufgerollt. Unerforschte Aspekte in seinem Leben und Schaffen kommen zum Vorschein:  Sein Interesse für fremde Kulturen – insbesondere für den Orient -,  das ihm eine erweiterte Weltsicht verschaffte, die Offenheit seines Geistes. Herausgestellt wird u.a. Ludwigs II. positive Einstellung zum Judentum, die in die Errichtung der Hauptsynagoge im Herzen von München mündete, nicht zuletzt auch zur entschiedenen Ablehnung der antisemitischen Thesen seines sonst zutiefst verehrten Günstlings Richard Wagner führte. Präsentiert wird Ludwig II. als kosmopolitischer König, der in seinem Bestreben, eine Brücke  zwischen Vergangenheit und Zukunft zu schlagen, eine Spur von sich zu hinterlassen wusste. Ähnlich wie die leuchtend weißen Spuren der Flugzeuge in dem blauen Himmel, der die Landschaft der bayerischen Urheimat umhüllt. Alle sprechen von einer Geschichte, die kein Ende nimmt.

 

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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