MUSIKSOMMER ZWISCHEN INN UND SALZACH

Da kannte Stefan Schilli keine Gnade. Wer am Frühlingsanfangs-Sonntag die mit Stipendiatinnen und Stipendiaten der Akademie des BR-Symphonieorchesters besetzte „Musiksommer“-Matinee im Festsaal von Kloster Seeon besuchen kann, der versteht fraglos Französisch. Schilli, Solo-Oboist bei Mariss Jansons, verantwortete Konzeption und Einstudierung des gesamten zweistündigen Programms. Er nannte das Ganze, von Bach bis Telemann, „Im Parnass …“. Den Programmteil, der diese Überschrift verdient, setzte er ins Zentrum der vom Publikum mit starkem Applaus begleiteten und verabschiedeten Darbietungen von insgesamt fünf sehr anspruchsvollen Barock-Kompositionen. Dieser Programmteil löste ebenso hohes Entzücken ob seiner feinen Präsentation aus wie er äußerst selten live zu erleben ist: Francois Couperins „Apotheose à Corelli für zwei Violinen und Basso continuo“. Jedem der sechs Satzteile wurde, originalgetreu, eine kurze Inhaltsangabe vorausgeschickt – und zwar in aller Selbstverständlichkeit in französischer Sprache.
Nun war es für den aufmerksamen Besucher ein Leichtes, das durch Zoe Karlikow schön Gesagte zu kapieren – lieferte ihm doch der Programmzettel die deutsche Übersetzung – und diese obendrein in Halbfettdruck. Julia Ungureanu und Sophie Pantzier (Violine) sowie Clara Grünwald (Violoncello) führten jeden Satzteil musikalisch angemessen zu Ohren – wie der Komponist Arcangelo Corelli (1653 bis 1713) am Fuße des Parnasses die Musen um Akzeptanz anfleht, sich erfreut über die Aufnahme in den Parnass zeigt, enthusiasmiert wird durch das anregende Wasser der Hippokrenes-Quelle, dann in Schlaf sinkt, um endlich von den Musen erweckt und neben Apollo platziert zu werden.
War dieser kapriziöse Couperin schon ein Juwel wegen seiner Rarität im üblichen Konzertbetrieb, nahmen die um dieses Mittelstück gruppierten Konzerte, dem braven Kammermusikkenner weitaus geläufiger, aufgrund ihrer fabelhaften Besetzung und rundweg erfrischenden Ausführung für sich ein. So bestach in Johann Sebastian Bachs Suite Nr. 2 h-moll für Soloflöte, Streicher und B. c. BWV 1067 der achtsame Spanier Pantxoa Urtizberea mit seinem tadellos ins Streichergeschehen eingepassten Querflötenpart. In Nicola Antonio Porporas Konzert G-Dur für Violoncello, Streicher und B. c. hatte die hochkonzentrierte Cellistin Clara Grünwald zunächst ihre liebe Not, im 2. Satz rhythmisch mit ihren konsequenten Kolleginnen Schritt zu halten – der gute alte Porpora, der derzeit allgemein Hochkonjunktur zu haben scheint, hatte sich hier einige Tücken nicht verkneifen können – verstand sie es, diesen kniffeligen Passagen im zweiten Allegro-Satz gekonnt und cool Paroli zu bieten. Eine Sol Gabetta liegt noch einige Höhenmeter weit weg – aber der Anstieg zum Musenberg Parnassos ist nicht nur steil, sondern auch steinig.
Antonio Vivaldis Konzert für Oboe, Streicher und B. C. RV 454 gehört nicht eben zu des Komponisten unangefochtenen Meisterkreationen. Die Charakteristika der drei Sätze Allegro, Largo und Allegro wurden, angeführt von der sauber, affektioniert und zügig arbeitenden Oboistin Marine-Amélie Lenoir, unangestrengt herausgearbeitet. Georg Philipp Telemann setzte mit seinem Konzert F-Dur für drei Violinen, Streicher und B. C. TWV 53:F 1 den „deutschen“ Schluss: ein knapper Viertelstünder mit viel Aplomb vor allem der drei Violinistinnen. Bei Telemann waren sieben der insgesamt zwölf beim Seeoner Konzert zum Einsatz gekommenen Stipendiat(inn)en vereint.
Mit Stefan Schilli, der kurz, aber sympathisch und kompetent das dicht gedrängt sitzende Publikum ins Programm einführte, war Christine Reif wieder in alter Gewohnheit mit nach Seeon gekommen. In ihrer Obhut stehen derzeit 18 der „besonders begabten jungen Musikerinnen und Musiker“, die seit Oktober 2001 in der Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks in einem zweijährigen Postgraduate-Studium auf die an sie gestellten hohen Anforderungen in Musiktheorie und Orchesterpraxis präpariert werden. Dass die jungen Stipendiaten während ihrer Ausbildung bereits mit großen Dirigenten arbeiten, also keineswegs nur bei Proben hospitieren dürfen, merkte der Matinee-Besucher im Rahmen des diesjährigen „Musiksommers“ ohne weiteres. Bei Auftritten wie dem in Seeon werden Durchhaltevermögen und Belastbarkeit, Sicherheit im Auftreten und das Zusammenspiel perfektioniert. So dankbar wie der von Couperin gefeierte italienische Komponist und Violinist Arcangelo Corelli es bei Couperin ist, neben dem göttlichen Apollo auf dem Parnass sitzen zu dürfen, sind es wohl auch alle Mitwirkenden – auch wenn es sie noch einiges an Kraft und Ausdauer kosten wird, bis das ersehnte Ziel erreicht ist.

FOTOS (Hans Gärtner)
Clara Grünwald (Violoncello) mit Yi-Rung Lai (Kontrabass) und … (rechts)
… Pantxoa Urtizberea (Querflöte) bei der Arbeit an J. S. Bachs Suite Nr. 2 h-moll BWV 1076 (links)

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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