Mondäne Parallelgesellschaft? Warum wir eine falsche Vorstellung vom Adel haben

Dame am Bodensee, Foto: Stefan Groß

Wohl kaum ein anderer Teil unserer Gesellschaft hat so sehr mit Klischees zu kämpfen wie der Adel. Oft wird er als eine reiche abgehobene Parallelgesellschaft dargestellt, welche sich von einem ewiggestrigen Weltbild nicht befreien konnte. Doch dieses Bild vom Adel ist falsch und seine Werte sind vielmehr hochaktuell.

Würde man nach einem Satz über den Adel suchen, welchen sowohl der Adel selbst als auch die gesamte Gesellschaft unterschreiben könnte, würde dieser wohl wie folgt lauten: ‚Der Adel hält beständig an seinen Werten fest.’ Dies ist ein wertungsneutraler Satz. Doch was sind denn diese Werte des Adels, die er trotz seiner offiziellen Abschaffung im Jahr 1919 beständig weiterlebt? Einen groben Umriss über adelige Werte versuchten z.B. verschiedene europäische Adelsverbände mit dem „ethischen Kodex des europäischen Adels“ zu erstellen. Die drei Hauptbereiche, die diese Werte betreffen, sind 1. familiäre, 2. gesellschaftliche und 3. geistig-moralische Bereiche. Es lohnt sich, diese drei Gruppen genauer zu betrachten. Denn: Zum einen sind die Werte, denen sich der Adel besonders verpflichtet fühlt, keine exklusiven Werte, sondern sollten in ihrem Grundsatz von jedem beherzigt werden und zum anderen sind sie gerade in unserer heutigen Zeit so nötig wie nie.

1. Der familiäre Bereich:

Die Familie ist sicher etwas, was im Adel einen besonders hohen Stellenwert genießt. Man sieht und definiert sich primär nicht als singuläre Person, sondern als Teil einer größeren Gemeinschaft, in der auch ein besonderer Zusammenhalt selbstverständlich ist. So schreibt der ethische Kodex des europäischen Adels: „Der Schutz des kulturellen Erbes, die Erinnerung an die Verstorbenen, die Erhaltung der Familientraditionen, Familiensolidarität und -sinn, Achtung zwischen den Generationen und Betätigung im Familienverband seien zu fordern.“

Letzte Weihnachtssaison berührte ein Werbevideo einer Supermarktkette alleine auf YouTube über 55 Millionen Menschen, in welchem ein alter Mann alleine Zuhause ohne seine Familie Weihnachten feiern musste. Wenngleich es sich hier nur um ein Werbevideo handelte: solche Gegebenheiten von Einsamkeit und innerfamiliärer Vergessenheit sind in unserer modernen Gesellschaft wohl nicht mehr die Ausnahme sondern eher die Normalität geworden; in adeligen Kreisen hingegen undenkbar. Der Zusammenhalt, der in einer Familie herrschen kann, ist etwas, wovon jeder profitiert, ganz gleich, welche Generation. Die Familie ist der natürliche Schutz- und Rückzugsort eines jeden Familienmitglieds. Auch wir sollten uns dem ungeheuren Wert unserer eigenen Familie wieder mehr bewusst werden.

Dieses Generationen übergreifende Bewusstsein für seine Familie, seinen eigenen Stammbaum und der eigenen Vergangenheit geht einher mit einem allgemeinen hohen Geschichtsbewusstsein. Der Adel ist sich bewusst, dass es eben nicht nur das hier uns jetzt gibt, sondern dass jeder sowohl eine eigene, individuelle Vergangenheit und Geschichte als auch Zukunft hat. Dies ist kein theoretisches Wissen, welches uns unberührt lassen sollte, denn: Aus der Vergangenheit, dem Erfahrungsschatz etlicher Generationen vor uns, können wir vieles für unsere eigene Zukunft lernen. Und auch das, was wir tun und machen, wird einmal die Geschichte unserer Urenkel sein, von der auch sie lernen können sollen. Ein Grundbesitzer, der einen Wald neu aufforsten lässt, wird selbst niemals direkt davon profitieren, dauert es immerhin teilweise 100 Jahre bis Bäume wie z.B. Buchen oder Eschen so groß sind, dass sie gefällt werden können. Doch darauf kommt es nicht an. Begreift man sich als ein Glied einer langen Kette, denkt man in größeren Dimensionen. Wir sind weder der Anfang noch das Ende der Zeit, wir sind lediglich ein Glied in einer langen Kette. Häufig sehen wir uns in unserer modernen Gesellschaft bewusst und unbewusst nicht als Teil der Geschichte sondern als deren Schluss. Das Sprichwort „nach mir die Sintflut“ beschreibt diese Mentalität wohl am besten.

2. Der gesellschaftliche Bereich:

Nicht nur für die eigene Familie. Mit diesem Wissen um die Bedeutung der Geschichte ist ebenso verbunden, dass Nachhaltigkeit im Allgemeinen beim Adel großgeschrieben wird. Ein Wert, der durchaus auch wieder als modern gilt. So schreibt der Kodex: „Ferner gehören der Umweltschutz und die Bewahrung der natürlichen Ressourcen (…) zu den Grundpfeilern adeligen Denkens, das als Vorbild für Mitmenschen wirken soll.“ Der Adel bemüht sich um Nachhaltigkeit, weil er sich bewusster ist, dass er alles einmal wieder weitergeben wird, an die, die nach ihm kommen. Reichtum und Besitz wird von vielen häufig als das Wichtigste im Leben verstanden. Hier ist das Verständnis des Adels von Besitz ein echtes Alternativmodell: Man versteht sich nicht als Besitzer und Eigentümer, für den alles selbst gedacht ist, sondern man betrachtet sich lediglich als Verwalter von dem, was man ererbt hat und weitergeben wird.

Dies gilt für materiellen Besitztum genauso wie für die Werte, mit denen der Adel erzogen wurde. Viel mehr ‚Antimaterialismus‘ geht nicht, als dass man sich nicht als Besitzer sondern als Verwalter betrachtet. Ebenso ist dem Adel bewusster, dass es Dinge gibt, die man selbst mit allem Geld der Welt nicht kaufen kann. So kann sich nach Adelsrecht ein nichtadeliger Mann keinen Adelstitel und die damit einhergehende Geschichte kaufen. Ebenso kann er, auch wenn das leider von vielen Möchtegern-Adeligen versucht wird, sich weder durch Heirat oder Adoption profilieren. Das Einzige, was jemand erhält, der dies versucht, ist ein Adelstitel als Name, mehr nicht. Manche Dinge sind nun einmal nicht käuflich. Dass nicht alles in der Welt käuflich ist, ist etwas, dem wir uns durchaus öfter bewusst werden sollten.

Das Bewusstsein, welches der Adel für die eigene Familie und die eigene Geschichte hat, ist genauso für das Gegenüber vorhanden. Wenn ein Adeliger z.B. im GOTHA, dem genealogischen Handbuch des Adels, nachblättert um herauszufinden, welchen Titel und welche Verwandten sein Gegenüber hat, dann ist dies keine oberflächliche Titelfixiertheit, genau das Gegenteil ist der Fall: Er informiert sich über den anderen, weil er sein Gegenüber ernst nimmt, weil er sich für ihn und seine Familie, seine Geschichte und natürlich für ihn als Person interessiert. Es ist ihm nicht egal, wer der andere ist und woher er kommt, sondern man interessiert sich für ihn und für seine Geschichte. Wieder mehr Interesse und Respekt für den Anderen zeigen wäre für uns alle angebracht. Zu oft reden wir mit jemanden, den wir nur als irgendeine x-beliebige Person  ansehen und für die wir uns als Gegenüber zu wenig interessieren.

3. Der geistig-moralische Bereich:

„Noblesse oblige“ – „Adel verpflichtet“. Dieser Grundsatz ist wohl so alt wie der Adel selbst, gilt aber nach wie vor. Ein Adelstitel ist, auch wenn er oft so dargestellt wird, keine Hängematte, auf der man sich ausruhen kann und durch den einem die Privilegien nur so vor die Füße fallen, sondern ein Adelstitel ist in erster Linie ein Versprechen an und Auftrag für die Gesellschaft. Am Schönsten ist dies erkennbar am Titel des Herzogs. Er war der, „der vor dem Heer zog“. So ist es nicht als Karrierismus zu verstehen, wenn Adelige oft versuchen, die bestmöglichen Chancen zu nutzen und die beste Bildung zu bekommen und sich beruflich so gut zu engagieren wie es geht. Vielmehr möchte derjenige seine Fähigkeiten für die Gesellschaft einsetzen so gut es geht. Darauf sollen die Menschen vertrauen können. Ein adeliger Titel ist also Auftrag und nicht Auszeichnung. Doch dass das eigene Engagement immer nicht nur einem selbst sondern auch der Gesellschaft dient, dieses Bewusstsein ist sehr verkümmert in unserer Gesellschaft. Wer versucht, das Beste aus sich rauszuholen, der ist kein Karriererist, sondern versucht, seine Talente nicht zu vergeuden.

Dem Adel wird ebenfalls häufig vorgeworfen, er lege zu viel Wert auf Regeln wie z.B. korrekte Begrüßung und richtiges Verhalten. Doch genau diese Punkte werden in adeligen Kreisen nicht über- sondern in breiten Teilen der Gesellschaft unterbewertet. Anständigkeit und Höflichkeit, welche sich an Regeln orientiert, wirkt nur dann steif, wenn man sie nicht beherrscht. Denn im Gegenteil sollen gute Umgangsformen dafür sorgen, dass das Zusammentreffen von Menschen so angenehm wie möglich ist – und zwar für beide Seiten. Der andere soll sich respektiert  und wertgeschätzt fühlen wenn er mir begegnet, und nicht durch Rüpelhaftigkeit vor dem Kopf gestoßen. Genau das ist der Sinn und Zweck von Umgangsformen. Ein gewisses Benehmen wird oft als oberflächlich abgetan. Dies ist aber immer genau dann der Fall, wenn es nicht verstanden wird. So ist es auch mit Gestik und Verhalten. Nicht herumzuschreien und bei Gesprächen nicht wild zu gestikulieren, zu versuchen, keine Vulgärsprache zu verwenden, all dies ist nicht Abgehobenheit, sondern gehört zu einem gewissen Grundverständnis von Begegnungen mit Mitmenschen: Wie sich der andere in meiner Anwesenheit fühlt ist nicht egal. Ebenso selbstverständlich, dass dies schon in der Erziehung eine große Rolle spielt. Wie heißt es auch im Volksmund so schön: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

Quelle: f1rstlife.de

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