Für das Wagner-Jahr 2013 rüsten schon jetzt zahlreiche Bühnen der Republik zum Nibelungenkampf. In Frankfurt ist der viel beachtete „Ring des Nibelungen“ von Vera Nemirova in dieser Spielzeit vollendet worden, in Mannheim und in München sind die Inszenierungen von Achim Freyer und Andreas Kriegenburg bis zur „Walküre“ bzw in München auch bis zum „Siegfried“ (Ende Mai) fortgeschritten. Am Rhein muss man die Fortsetzung im Dezember, die zyklische Aufführung aller vier Teile im Jubiläumsjahr abwarten. An der Isar, wo man den Kraftakt der Inszenierung in nur einer Spielzeit stemmt, kann man Wagners „Ring des Nibelungen“ während der Opernfestspiele 2012 komplett erleben, aber alle Vorstellungen sind ausverkauft- Bayreuther Verhältnisse.
Seit 1876, der ersten zyklischen Aufführung in Bayreuth, ist in 136 Jahren Richard Wagners Opus Magnum an den großen und kleineren Bühnen der Welt hundertfach aufgeführt worden und erfährt aktuell im Zuge des 200. Geburtstages des Musik-und Theatergenies einen neuen Boom. Dem Mythos entnommen, selbst zum Mythos geworden hat sich sein „Ring“, an dem er ein Vierteljahrhundert getextet und komponiert hat, mehr denn je zu einem Prestigeobjekt für Opernhäuser und ihre Intendanten entwickelt. Vom Ende her schaffte sich der Dichter-Komponist mit dem Prosaentwurf von „Siegfrieds Tod“ (1848), der späteren „Götterdämmerung“, bis zum „Rheingold“ vor, die Komposition entstand in umgekehrter Richtung und war 1874 vollendet. Auf der Grundlage des Nibelungenstoffes schuf Wagner seinen ureigenen Mythos und vermischte germanische Quellen mit Göttervorstellungen aus der Antike. Er baute sich seinen eigenen Götterhimmel, eigene Verwandtschaften und erfand Figuren dazu. Als das „Gedicht seines Lebens“ empfand er selber sein Werk, als Konglomerat seiner Lebenserfahrungen vom Revolutionshelfer in Dresden bis zum ästhetisierenden Lebensreformer, vom romantisch beseelten Komponisten bis zum Erneuerer der Tonkunst.Von den philosophischen und revolutionären Ideen Feuerbachs und Bakunins war Wagners Leben geprägt, aber später auch von Schopenhauer und dessen resignativer Weltsicht.
Von etwa 40 Jahren ausdifferenzierter Musiktheaterregie mit überladener Rezeptionserwartung an Wagners Musikdrama ließ sich Vera Nemirova in Frankfurt nicht einschüchtern und verlegte zusammen mit dem Bühnenbildner Jens Kilian die Handlung aller vier Ring-Teile auf eine in Kreise zerlegte Weltenscheibe. Mit dieser Verbeugung vor Wieland Wagners Bühnenästhetik entwickelte die Konwitschny-Schülerin, die 2007 mit dem „Tannhäuser“ ihren Regieeinstand in Frankfurt gegeben hatte, eine plastische und detailreiche Personenregie, die in manchen Passagen an ihren Lehrmeister mit seinen verspielten und comicartigen Versatzstücken erinnerte. Am Ende des „Siegfried“ nimmt der unerschrockene Held die zur liebenden Frau verwandelte Wotanstochter „Huckepack“und prescht mit ihr davon. Wenn zum Schluss der „Götterdämmerung“ Brünhilde die lodernde Flamme ins Publikum schleudert und grelles Scheinwerferlicht das Publikum blendet, knüpft Vera Nemirova nicht nur an das Ende ihres „Rheingolds“ an, in dem die Götter mit Sektgläsern in der Hand statt nach Walhall in den Zuschauerraum ziehen, sondern auch an Ideen der legendären „Götterdämmerung“ von Konwitschny im berühmten Stuttgarter Ring von 2000. „Weltuntergang, leichtgemacht“ titelte treffend die „Frankfurter Allgemeine“, doch vor dem Opernhaus türmen sich die Banken hinter dem frostigen Camp der „Occupy“-Bewegung: Walhall ist heute, mehr denn je. Das hat Nemirova nur angedeutet in ihrem sonst zeitlos und entschlackt inszenierten „Ring“, der vor allem von wunderbaren Sängern und Sänger-Darstellern auf einer Natur und Welt abstrahierenden Bühne lebte und wie immer von Wagners Musik.
In München stemmt sich Andreas Kriegenburg, der dort mit seinem „Wozzeck“ große Erfolge gefeiert hatte, mit Verve gegen die Wagnerschen „Anmaßungen“ und erliegt ihnen zugleich auf beinahe tragische Weise. Der aus dem Schauspiel kommende Regisseur „hat noch vor vier Jahren den Wagner nicht gemocht“ und muss nun sein umfangreichstes Werk in wenigen Monaten auf die Bühne bringen. Auf der Flucht vor Wagners radikaler Weltdeutung und Bühnenmagie schmiedet er seinen Ring im Cinemascope-Format aus subjektiv verstandenem Gesellschaftsbild. Bei dem bekennenden Utopisten heißt das für seine Inszenierung: „Sinnliches Erleben, Nuancierung der Personen und kollektives Erzählen“. Und zur Erhellung des letzteren: „Wenn man es ganz utopisch formuliert, erzählt sich die Gesellschaft selber etwas. Es gibt nicht den einen Erzähler, sondern der gesamte Apparat der Oper fungiert als Erzähler.“ Auf der Bühne haben Kriegenburgs Theorien ihr vom Publikum gleichermaßen gelobtes wie geschmähtes Äquivalent, das einen gewaltigen Verschleiß an Statisten erfordert. Konnte man sich im „Rheingold“ noch an der kollektiven Performance der weiß gekleideten, dann sich mit Blau beschmierenden und zu den Wogen des Rheins mutierenden Gestalten erfreuen, so führt die Statisterie im ersten Akt der „Walküre“, dem Lieblingsstück vieler Wagner- und Opernfans, zur Entsinnlichung der sich anbahnenden und dann wie der Frühling aufbrechenden Liebe zwischen Siegmund und Sieglinde. Statt die Figuren in Kraftfeldern miteinander zu konfrontieren, verlegt sich Kriegenburg auf Ersatzhandlungen. Vierzehn engelgleiche Wesen stehen um das Geschwisterpaar herum und das Wasserglas wandert zwischen ihnen und Siegmund hin und her, Im Bühnenhintergrund dienen Krankenschwestern als Leichenwäscherinnen, Während Siegmund von seiner dramatischen Verfolgung im Wald erzählt, speist Sieglinde ungerührt mit dem ungeliebten Hunding an opulenter Tafel. Der Ausrutscher gibt es mehrere in der „Walküre“, und man fragt sich, ob der Regisseur mit der kollektiven Erzählung und den schönen Bildern nicht einem dekadenten Manierismus verfallen ist, mit dem man den komplizierten Verstrickungen in Wagners Götter- und Menschenwelt nicht beikommt. Wo die Figuren verbal und emotional aufeinanderkrachen sollten, im zweiten Akt Fricka und Wotan, setzt Kriegenburg wieder auf Statisten oder tritt die Flucht zur Rampe an. Dass im „Ring“ nicht nur vom Mythos her sondern auch vom Mythos weg erzählt wird, machte Richard Wagner in zahlreichen Äußerungen selber deutlich. Das aber scheint Andreas Kriegenburg nicht verstanden zu haben. Als Interpretationsverweigerer geht er weder auf die philosophisch-politische, dem Werk aber tief eingeschriebene Dimension noch auf die dramatisch-psychologische ein. Und wieder einmal ist der Star die Musik mit einem großartigen Orchester.
In der selbsternannten Wagnermetropole Mannheim ist Ende letzten Jahres der Bühnenzauberer Achim Freyer für Christof Nel, der aus unbekannten Gründen dem Theater eine Absage erteilt hatte, mit dem „Rheingold“ eingesprungen. Bereits im ersten Teil des „Rings“ ließ er seine Mythenmaschine los und setzte auf die unerschöpfliche Wirkung der Zeichenhaftigkeit von Symbolen und Gesten. Der 78-jährige, „Regisseur des Jahres 2011“ erzeugt seine Bilder selbst, entwirft Bühne, Beleuchtung und Kostüme für seine surrealen Traumwelten. Aber psychologische Durchdringung der Figuren und dramatische Zuspitzungen sind auch seine Sache nicht. Die Rheintöchter schweben in der ersten Szene hoch über dem Bühnenboden während Alberich dem Publikum zugewandt an der Rampe singt – eine statische Gesangsnummer, die versäumt, in die Geschichte hineinzuziehen. Achim Freyer will im Gegensatz zu Kriegenburg nicht erzählen sondern bebildern und die Protagonisten der Ring-Handlung als Archetypen vorführen. Sie agieren mit schematisierten Gesten, kreisen mit den Scheiben der Drehbühne aneinander vorbei und spielen Puppentheater: Wer wichtig ist, hat noch ein kleines Modell als Double. Die skurrilen Kostümierungen der Götter „zwischen Miro und Science Fiction“ – Wotan mit Tiara und Zyklopenauge- sprechen zwar für die überbordende Phantasie ihres Schöpfers, ergänzen aber nur sein handwerklich perfektes Ausstattungstheater. Wenn in der „Walküre“- und das hatte man nach dem „Rheingold“ befürchtet- die Emotionen aufblühen oder schier auseinander brechen, bleiben die Sänger mit der ihnen auferzwungenen Statik und Kühle auf der Bühne allein. Das Orchester spricht eine andere Sprache und Dan Ettinger läßt es richtig krachen. In der vielleicht ergreifendsten Szene des gesamten „Rings“, wenn Wotan sich von seiner Lieblingstochter Brünhilde verabschiedet, wird der Sänger vom Geschehen „ausgesperrt“, während zwei nacheinander auftretende Wotan-Doubles sie pantomimisch „in wehrlosen Schlaf“ versetzen. Nur wer auf Wagners Musik hört, versteht, was in Wotan vorgeht. Selten trifft das Bühnengeschehen auf die Magie aus dem Orchestergraben, so als Siegmund von seiner Verfolgung durch die Neidinger erzählt und hinter dem Gazeschleier auf dämmriger Bühne ein ganzes Hunderudel dressiert diagonal durchs Bild läuft – Erinnerung an Illusionstheater und Bühnenrealismus, für den einst Bayreuth berühmt war. Brünhildes Pferd Grane stand dort in den ersten Inszenierungen auch lebendig auf der Bühne.. Immer beeindruckend ist Freyers Lichtregie, die er beherrscht wie kaum ein anderer. Wotans Speer und Notungs Schwert als illuminierte im Raum schwebende Leuchtröhren, und auch die komplett versammelte Götterschar im Miniaturformat am Bühnenhimmel in wechselndem Licht sprechen für den ungekrönten Meister der Requisite und der fantastischen Bühnenbilder.
„Das Unvergleichliche des Mythos ist, dass er jederzeit wahr und sein Inhalt, bei dichtester Gedrängtheit, für alle Zeiten unerschöpflich ist“, schrieb Richard Wagner.
Leider vermeidet das Postregietheater den zeitlichen Bezug des „Rings“ , obwohl Wagners Erkenntnisse sich bis in die Gegenwart fortsetzen. Alle drei Inszenierungen haben trotz der gravierenden Unterschiede eines gemeinsam: Sie verstehen „alle Zeiten“ als Zeitlosigkeit und setzen verstärkt auf ästhetische Reize und die Dominanz des Visuellen. Eine exemplarische, richtungsweisende Interpretation liefern sie nicht.
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