Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Das trifft besonders zu, wenn die Reise mit der Deutschen Bahn stattfinden soll. Die Zeiten, in denen die Bahn sich rühmte: „Alle reden vom Wetter, wir nicht“ und in denen man nach den Abfahrtszeiten der Züge die Uhr stellen konnte, sind lange vorbei. Inzwischen ist auch bei bestem Wetter die Bahnfahrt ein Abenteuer. Man weiß zwar genau, wo man hinwill, aber nicht, ob und wann man ankommt.
Am Mittwoch, dem 10.August wollte ich aus familiären Gründen von einer Kleinstadt in Nordthüringen nach Nürnberg fahren. Vom örtlichen Bahnhof gibt es eine stündliche Verbindung in die Landeshauptstadt Erfurt. Ich stieg froh gestimmt ein und kam problemlos bis Erfurt-Bischleben. In diesem Zug werden regelmäßig die Stationen angesagt. Ich wunderte mich, dass sich die Plätze um mich herum leerten, aber da es sich nur um zwei Passagiere handelte, wurde ich nicht stutzig. Eine aufmerksame Rucksack-Touristin machte mich darauf aufmerksam, dass ab hier Schienenersatzverkehr sei. Weder hatte es auf dem Bahnhof noch im Zug darauf einen Hinweis gegeben.
Es hätte online gestanden, informierte mich die freundliche Touristin. Aha, offenbar wird inzwischen erwartet, dass man sich vor Reiseantritt kundig macht, ob der Zug überhaupt fährt und welche Einschränkungen es gibt.
Auf dem Bahnhofsvorplatz stand zwar ein Bus, in den wir zügig einstiegen, aber der fuhr nicht gleich ab. Erst einmal wurde gemütlich gequatscht und geraucht, ehe der Fahrer und zwei Bekannte endlich einstiegen und es losging. Wir kamen zwanzig Minuten zu spät am Hauptbahnhof an. Zum Glück hatte ich laut Bahn-App 35 Minuten Zeit zum Umsteigen.
Leider ging die Anzeigetafel nicht, wie schon vor ein paar Tagen, als ich ebenfalls in Erfurt umsteigen musste. Vor den Auskunftsschaltern waren die Schlangen entsprechend lang.
Auf dem Bahnsteig wurde angezeigt, dass mein ICE nach Nürnberg Verspätung haben würde. Dafür stand ein Zug abfahrbereit, der mit 51 Minuten Verspätung angekommen war. Da ich aus Erfahrung nur Tickets buche, die ich für alle Verbindungen nutzen kann, stieg ich ein, bekam im Speisewagen, der nicht nur geöffnet war, sondern auch über das fast vollständige Sortiment verfügte, tatsächlich mein Bahn-Bonus-Freigetränk und kam sogar 10 Minuten früher in Nürnberg an. Wie schön, dass man auf einer Strecke, die stündlich befahren wird, bei Verspätungen des gewählten Zuges auf verspätete frühere Züge zurückgreifen kann.
Am nächsten Tag informierte ich mich vor Fahrtantritt, was mich in Erfurt erwarten würde. Bei allen Abfahrtszeiten der Regionalbahn nach Nordhausen stand: Halt entfällt. Wenn man weiter scrollte, stand nur etwas über die erwartete Auslastung des entfallenden Zuges und dass eine Buchung nicht möglich sei. Ich würde also in Erfurt weitersehen müssen. Eine Ausweichmöglichkeit war noch angegeben: Den Zug nach Göttingen nehmen, in Leinefelde umsteigen, bis Wolkramshausen und von dort zum Ziel. Statt der üblichen 50 Minuten sollte die Fahrt über drei Stunden dauern. Für diese Variante wäre eine Buchung zum Dreifachen des normalen Tarifs möglich gewesen, aber ehe ich in Versuchung geraten konnte, dieses Angebot anzunehmen, las ich unter „aktuelle Informationen, dass es auf dieser Strecke zu großen Verspätungen kommen könne.
Aber vorerst war mein Problem, aus Nürnberg wegzukommen. Als ich am Hauptbahnhof ankam, ging auch hier die Informationstafel nicht. Die Schlange vor dem Informationsschalter war endlos.
Auf den Gleisen, wo die ICEs Richtung Hamburg-Altona abfahren, war angezeigt, dass alle Züge aus Richtung München weit über eine Stunde Verspätung hatten. Für meinen Zug war kein Anzeigeplatz mehr vorhanden, also wurde durchgesagt, dass der 80 Minuten Verspätung habe, Grund sei eine Reparatur am Zug. Und die anderen Züge, mussten die auch alle repariert werden, oder was war da das Problem?
Zufällig sah ich, dass auf dem Nachbargleis 4 ein Zug nach Hamburg angezeigt wurde, also stürzte ich die Treppe runter und wieder rauf und richtig: Es wurde ein verspäteter ICE in 5 Minuten erwartet.
Allerdungs verschwand die frohe Botschaft wieder und es wurde ein Regionalzug angezeigt. Danach noch weitere zwei Regios, ehe die Hamburg-Mitteilung wieder erschien. Inzwischen hatten sich zu der ursprünglichen Verspätung weitere 20 Minuten addiert.
Schließlich kam der ICE, ein Sprinter, tatsächlich. Ich erwischte auch einen Platz im Ruhebereich und nach weiteren endlosen Warteminuten fuhr er wirklich los.
Als die Fahrkartenkontrolle kam, hatte die Schaffnerin Umschläge mit Formularen in der Hand, die man ausfüllen und abschicken konnte, um etwa 5 € vom Fahrpreis erstattet zu bekommen. Sie hatte markiert, dass der Zug 60 Minuten Verspätung gehabt hätte, obwohl es bis Erfurt an die 100 Minuten wurden.
Aber wir kamen in Erfurt an und ich war dankbar und erleichtert.
Eine Anzeige, wo der Schienenersatzverkehr für den Zug Richtung Nordhausen zu finden sei, gab es nicht. Am nahegelegenen Busbahnhof stand ein Hinweisschild, dass der Ersatzverkehr in 150 Metern zu finden sei. Auf dem Weg dorthin kam ich an einem Bus vorbei, der vor dem Intercity-Hotel stand. Da es keinerlei Hinweise gab, ging ich vorbei in Richtung der Busse, die an den Ersatzhaltestellenschildern standen. Dort ging es aber nur Richtung Weimar. Ich wandte mich an drei Bahnmitarbeiter, die in der Gruppe zusammenstanden und fragte, wo denn der Bus Richtung Nordhausen sei. Da zeigte die Mitarbeiterin auf den eben losfahrenden Bus, an dem ich vorbeigegangen war. Der nächste würde erst in einer Stunde kommen. Warum der Bus nicht markiert war, wollte ich wissen. Das wusste sie nicht, teilte mir aber mit, dass sie seit 6 Uhr morgens hier stünden und der Bus immer an dieser Stelle abfuhr.
Am Straßenrand wollte ich nicht stehenbleiben, also ging ich zum Busbahnhof zurück, um mich auf eine Bank zu setzen. Da hielt direkt vor mir ein Bus nach Straußfurt, den ich kurzentschlossen bestieg. Es war mir angenehmer, im klimatisierten Bus zu sitzen und mich durch die Dörfer des Erfurter Nordens fahren zu lassen, als auf dem erhitzten, dreckigen Busbahnhof zu bleiben. Ich genoss die Sightseeing-Tour durch die netten Örtchen, erfuhr vom Busfahrer, dass diese Strecke stündlich befahren würde, fragte mich, wie das finanziert wird, denn der Bus war leer, bis auf drei Passagiere, die unterwegs ausstiegen.
In Straußfurt fand ich den Bahnhof problemlos, kam aber genau eine halbe Minute zu spät. Als ich die Unterführung erreichte, fuhr der Zug ab. Ich fand aber ein schattiges Plätzchen, las eine Stunde in köstlicher mittäglicher Stille und erreichte mein Ziel mit dem nächsten Zug und zweistündiger Verspätung.
Wir sollen alle auf die Schiene, das fordert eben Opfer, die wir frohgemut bringen sollten, denn schließlich fährt die Bahn zwar nicht mehr pünktlich und manchmal gar nicht, aber dafür mit 100% Ökostrom, wenigstens wenn man eine Bahncard hat. Es gab auch schon mal den Versuch, eine Strecke nur von Frauen betreiben zu lassen: Im Zug, in den Stellwerken, auf den Bahnhöfen. Wie das Experiment einer femininen Streckenführung ausgegangen ist, weiß ich nicht, bin mir aber sicher, dass es Schlagzeilen gemacht hätte, wenn es erfolgreicher gewesen wäre als der Betrieb durch überwiegend männliche Versager. Ironie off.
Quelle: Vera Lengsfeld