Friedrich Hirschl: „Ein Rest von Blau. Gedichte“, 189 Seiten, 19,90 €, edition Lichtung, Viechtach 2022, ISBN 978-3-941306-53-0
Man weiß
Man weiß
um ihren Wert
Golden
die Zeiger der Uhr
Schnell wie ein Wimpernschlag
verstreicht sie
Wer weiß
Vielleicht flieht sie
vor uns
Das, was über einem Gedicht steht, gibt Auskunft über das, was es enthält, was es verhandelt. Das Thema. Nicht bei Friedrich Hirschl. Da steht zum Beispiel über diesem Gedicht von Seite 131 „Man weiß“. Weiß man, wovon die vier Mini-Strophen erzählen? Nicht sofort. Mit diesem „Wissen“ wäre ja zu rechnen. Steht aber nicht zur Verfügung, denn man weiß erst, wenn man alles gelesen hat, worum es geht: um die Zeit. Die wertvolle, werthaltige. Die Uhr, die sie anzeigt, muss nicht „golden“ sein. Auch eine Uhr aus versilbertem Nickel ist nützlich, wert-voll, wert-haltig. Vorausgesetzt, sie zeigt die „richtige“ Zeit an. Zeit verstreicht, „schnell wie ein Wimpernschlag“. Sind`s Wimpern, die schlagen? Nicht Lider? Für den Dichter sind`s die Flügel der Lider, die Wimpern.
Ein studierter Philosoph, ein Theologe – mit langjähriger Praxiserfahrung, nicht als Priester, sondern als Pädagoge – ist der Verfasser von „Man weiß“ in dem Buch „Ein Rest von Blau“, dem Buch, in dem „Man weiß“ nur ein ein Teilchen ist. Der 66-jährige Friedrich Hirschl denkt, lässt denken, gibt zu denken. In jedem seiner klitzekleinen Lyrismen. Sie kommen daher – ohne Satzzeichen, ganz locker. Sie blühen. In ihrer Worte-Sparsamkeit öffnen sie sich, langsam, bedächtig, keusch und lau. Oder auch eiskalt. Leuchtend und farbenprächtig. Mit allen Farben des Himmels und der Erde.
Kein einziger der gut 170 Texte deckt quantitativ eine ganze Buchseite, vielmehr hängt fast jedes der hauchzarten Gedichte wie ein Fähnchen am linken oberen Seitenteil. Höchst selten erreicht eine Zeile den rechten gedachten Seiten-Rand. Scheu, schüchtern, schmal drückt sich jeder Text ins linke obere Seiten-Feld.
Die Hand, die Hirschl seinen Lesenden reicht, um sie mitzunehmen auf einen Spaziergang, einen Ausritt, einen Aus-Flug, eine Reise durch Gefilde mit Regen aus grauen Wolken, über Brücken, ins Schneetheater, unter den Sternenhimmel . . . diese Hand ist spürbar. Man braucht sie nicht zu sehen.
Wolken jagen
Wolken jagen über uns hinweg
Des Himmels flüchtige Gedanken
Der Wind heult mir die Ohren voll
Es rast das Herz der Zeit
Das in den heulenden Wind involvierte „lyrische Ich“ – es bringt sich, wie so oft bei Hirschl, selbst mit ins Spiel. Doch nie anstelle eines Mentors, einer Autorität, eines Weisheit-Weisers, vielmehr als wohlwollender Begleiter und am Geschehen Beteiligter, und das manchmal durchaus mit einem kleinen Augenzwinkern:
Hochsommerlich
Die Wiese mit luftigem
Kurzhaarschnitt
Der Alte auf der Bank
wie erschlagen
Des Himmels heiße Braut
hört nicht auf
im Fluss zu baden
Wie und was der Passauer Lyriker Friedrich Hirschl, einer aus Niederbayern, der dem ganzen weiß-blauen Literatur-Staat höchste Ehre macht, hervorbringt – es scheint eingebettet in die ihn prägende Landschaft um die Dreiflüssestadt mit ihren farbsatten Wässern von Donau, Inn und Ilz. Farben gibt`s bei Hirschl, die gibt`s gar nicht. Oder sie kennzeichnen etwas was so nicht sein kann wie etwa ein „grüner Jubel“, in den „Wiese Baum Strauch“ ausbrechen. Für die, die genau hin-hören beim Lesen, gibt es den grünen Jubel. Hirschl schließt Tore auf für Wolkenseher und Sternesucher, für Schattenplatzfinder und Abendhimmelträumer.