Michael Feldkamp, „Pius XII. – Ein Papst für Deutschland, Europa und die Welt“

Im Jahre 2018 hat Michael Feldkamp eine Biographie des Papstes Pius XII. vorgelegt. Das ist mutig gewesen, denn im selben Jahr würde, das war klar, der Vatikan umfangreiche Akten über diesen 50 Jahre zuvor – im Jahre 1958 also – verstorbenen Papst freigeben. Doch seine Analysen halten den neuen Fakten absolut stand. Seine Biographie ist zur Verteidigungsschrift für Pius XII. geraten, und das mit besten Begründungen. Der Dichter Rolf Hochhuth steht mit seinem 1963 veröffentlichen Theaterstück „Der Stellvertreter“ posthum als Schmierfink da. Pereat!

Sehr überzeugend zitiert Feldmann den jüdischen Diplomaten und Religionphilosophen Pinchas Lapide, der einerseits festhielt, daß die katholische Kirche – von Pius XII. angeführt! – zwischen 700.000 und 850.000 Juden das Leben rettete, daß sich andererseits die westlichen Demokratien und das Rote Kreuz schwere Unterlassungen bei der ihnen möglichen Rettung unzähliger Juden vorwerfen lassen müssen. Das ist starker Tobak. Aber es entspricht der bitteren Wahrheit.

Tagtäglich stand Pius das unsägliche Leid vor Augen, das immer weiter um sich griff, je aggressiver die deutsche Kriegsmaschinerie wurde. Feldkamp lässt daran keinen Zweifel, sehr sachlich und immer bestens mit Belegen gesichert zeichnet er ein völlig kohärentes Bild eines mit all seinen Kräften und Möglichkeiten gegen Verfolgung und Völkermord arbeitenden Papstes. Immer dann, wenn er zum Schweigen gezwungen war, um nicht durch Proteste noch mehr Verfolgung hervorzurufen – das war bei den Nationalsozialisten zu erwarten –, kostete es diesen Papst „fast übermenschliche Anstrengungen“, wie Feldkamp aus der Korrespondenz mit dem Kölner Erzbischof Josef Frings erfuhr. Das betrifft konkret den Fall der Niederlande, wo Pius eine Ausweitung der ohnehin schon katastrophalen Verfolgung befürchtete. Wenn vorher das Bild, das von Pius XII. im Raum stand, unklar, janusköpfig und sogar eher zwielichtig war, so ist es nun wie gereinigt. Der Blick auf einen großen Papst ist nicht mehr durch Anwürfe irregeleiteter Literaten verstellt.

Kurz sei auf die biographischen Analysen eingegangen. Knapp, wesentliches betonend, zeichnet Feldkamp das Bild eines Papstes, der als Apostolischer Nuntius in Bayern und im Deutschen Reich wahrlich viel Erfahrung mit deutschen Sozialisten und Glaubensfeinden sammeln konnte, angefangen von der Räterepublik in Bayern, in der auch ein Sozialist namens Hitler seine politische Laufbahn beginnen sollte. Das Lebensbild komplettiert so die Gesamtanalyse zur theologischen und diplomatischen Lebensleistung Pius XII., zudem lesen sich diese Passagen teils spannend wie ein Krimi, ohne je das Terrain der wissenschaftlichen Arbeit zu verlassen – bis hin zur Schilderung der Besuche v. Ribbentrops beim Papst, in denen der deutsche Außenminister dem Heiligen Vater ganz unverhohlen drohte – alles im Auftrag Hitlers.

Zurück in die Gegenwart. Die Nachwirkungen der Verunglimpfungen, denen das andenken an Pius XII. ausgesetzt wurde, haben buchstäblich bis zur Öffnung der Vatikanischen Archive angehalten, sie ziehen sich dementsprechend durch Feldmann Buch als ein roter Faden. Mit Respekt erfüllt den Leser zum Beispiel, wie Papst Johannes Paul II. den in Rom lebenden Kurienkardinal Cassidy, einen Australier, bat, ein Schriftstück zu verfassen, das Regeln und Grundsätze enthalten solle, damit sich ein Holocaust – von wem an wem auch immer – nie wieder holen könne. Weil Kritik an an Pius XII. in dieser Schrift fehlte, hagelte es Kritik von der politischen Linken am Vatikan. Zu unrecht, wie wir jetzt wissen. Pius XII. hat nicht so gehandelt, daß Kritik berechtigt wäre. Dem durchaus klar adressierten Bedauern Feldmanns, daß es den von kommunistischer Propaganda vollgesogenen Kritikern gelang, ein Seligsprechungsverfahren für Pius XII. bis dazo zu verhindern, schließt sich der Rezensent an.

In seinem Nachwort versteht es Feldmann schließlich, einerseits die Bedenken und Schmerzpunkte der Gegner zu verbalisieren und zugleich völlig sachlich und überzeugend darzulegen, daß Pius nicht nur seine Möglichkeiten geschickt nutzte, sondern sich auch diplomatische seine unverzichtbaren Spielräume erhielt – und das, obwohl er im Vatikan quasi gefangen war. Rom war in den entscheidenden Monaten, als es um den bekanntwerdenden Völkermord an den europäischen Juden ging, von deutschen Truppen besetzt.

Feldkamp wusste es bereits 2018, und drei Jahre später, nachdem er selbst im Vatikan geforscht hat, weiß er, wie richtig er damals schon lag. Den Vatikan News sagte er: „Das Spannende ist jetzt, dass wir heute schätzen können, dass Pius XII. persönlich etwa 15.000 Juden gerettet hat, und zwar durch seinen persönlichen Einsatz, indem er die Klöster geöffnet hat, indem er die Klausur aufgehoben hat, damit dort Menschen versteckt werden können und so weiter. Das ist alles eine riesige Sensation! Die Archivbefunde, die ich jetzt im Vatikan gefunden habe, zeigen mir, wie genau Pacelli informiert gewesen ist.“ Und er ergänzt: „Das Problem mit dem Schweigen ist natürlich immer noch da. Aber es ist jetzt als vernünftig zu betrachten, wenn man bedenkt, dass er in Geheimoperationen hier Menschen in Verstecke brachte. Dann konnte er ja nicht die öffentliche Aufmerksamkeit noch mal zusätzlich auf sich lenken.“ Vor diesem Hintergrund ist und bleibt Feldkamp Pius-Biographie ein glänzend recherchiertes, aktuelles Buch. Es gehört im Bücherschrank exakt an die Leerstelle, die der stillschweigend aussortierte „Stellvertreter“ des entzauberten Rolf Hochhuth hinterließ.

Personenregister, Zeittafel und eine gute Bibliographie zeichnen den kleinen, aber sehr gediegenen Band aus. Die 14,80 Euro, die für das 193 Seiten starke, broschierte Buch erlegt werden müssen, sind gut angelegtes Geld.

Michael Feldkamp, „Pius XII. – Ein Papst für Deutschland, Europa und die Welt“, Propyläen des christlichen Abendlandes, Bd. 2, Aachen 2018, ISBN 978-3-86417-114-7.

Michael Feldkamp im Interview mit Vatican News:

 

Über Sebastian Sigler 105 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.