Es genügt nicht, in Gedanken bei den Opfern zu sein. Es sind auch Gedanken notwendig, um weitere Opfer zu verhindern. Mutig und erfreulich, dass mein Parteivorsitzender jetzt sagt, wir müssen über Abschiebungen reden. Hoffentlich stellt jetzt niemand einen Ausschlussantrag, weil er meine Thesen übernimmt.
Zuerst sollten wir aber mal nüchtern die Lage analysieren. Für den Tatverdächtigen, der mehrere Menschen ermordet und schwer verletzt hat, gilt:
Der Tatverdächtige ist arabischer Herkunft.
Der Tatverdächtige ist vielfach bei der Polizei aufgefallen und war gefährlich.
Der Tatverdächtige ist mit der großen Zahl von Flüchtlingen 2014/15 nach Deutschland gekommen und hatte nur einen zweifelhaften Asylgrund.
Der Tatverdächtige war ein alleinreisender junger Mann.
Der Tatverdächtige benutzte ein Schneidewerkzeug wie ein Messer oder eine Axt zu einem Angriff auf völlig unbeteiligte, wehrlose Menschen.
Nahezu alle diese Aussagen treffen auf verurteilte Täter zu, die Angst und Schrecken in einer immer länger werden Reihe von Städten verbreitet haben.
Würzburg hat das zweimal durchgemacht, einmal mit der Axt im Regionalzug, einmal mit dem Messer in der Innenstadt. In Reutlingen ist ein Täter nach einem Mord mit einem riesigen Dönermesser durch die Innenstadt gelaufen. In Offenburg wurde ein Arzt in seiner Praxis ermordet. In Chemnitz geschah es auf offener Straße, in Dornbirn im Ausländeramt. In Freiburg wurde eine Flüchtlingshelfer von einem Täter dieser Kategorie ermordet, ein anderer Täter war dort Kopf der Massenvergewaltigergruppe. Vor zwei Monaten traf es Illerkirchberg. Die Liste der Städte wird immer länger. Und das wird nicht der letzte gleichartige Angriff gewesen sein, es wird weitere Opfer geben, wenn unser Land nicht eine ganz einfache Konsequenz beherzigt: Wer zur Gefahr für ein Land wird, das Hilfe gegen Gefahr leistet, darf nicht bleiben.
Wir geben dem Staat einen großen Teil unserer geborenen Freiheit, damit er uns Schutz gewährt. Es ist seine wichtigste Aufgabe, dieses Schutzversprechen einzulösen. Deshalb darf eine solche offenkundige Serie gleichartiger Straftaten nicht ohne systematische Reaktion bleiben. Die Abschiebung der Gefährder ist daher zwingend. Und zwar auch im Sinne der 95% der Geflüchteten, die sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und in Mithaftung für diese Taten geraten, weil immer mehr Menschen nicht nur im Zug in Sorge sind, was der arabisch aussehende Mann vielleicht im Schilde führt.
Ich habe diese Frage in meinem Buch „Wir können nicht allen helfen“ ausführlich erörtert und zitiere daraus erneut:
„Die Genfer Flüchtlingskonvention regelt in Artikel 33 das so genannte Zurückweisungsverbot wie folgt:
Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit. seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.
Auf die Vergünstigung dieser Vorschrift kann sich jedoch ein Flüchtling nicht berufen, der aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet, oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.
Das bedeutet also, dass sogar die Genfer Flüchtlingskonvention im Sinne Kants davon ausgeht, dass ein Gastrecht durch schwere Straftaten verwirkt wird. Sie regelt sogar ausdrücklich, dass ein Verbrecher auch dann zurückgewiesen, also abgeschoben werden kann, wenn dies eine Gefahr für sein Leben oder seine Freiheit bedeuten würde. Bewusst wird der Begriff eines „Gebietes“, nicht eines „Staates“ verwandt. Dies soll es den Vertragsstaaten erlauben, Flüchtlinge zurückzuweisen, wenn nur Teile ihres Herkunftslandes ein sicheres Gebiet sind. Eine Regelung, die im Falle Afghanistans auch für unbescholtene aber abgelehnte Asylbewerber als Rechtfertigung für Abschiebungen dient. Meine Formulierung, es gebe auch in Syrien Gebiete, die nicht im Krieg sind, und dorthin könne die Abschiebung eines Straftäters erwogen werden, schöpft also den Spielraum der Genfer Flüchtlingskonvention nicht einmal aus. Denn diese würde ja sogar die Abschiebung in die eigentlichen Kriegsgebiete gestatten.
Als ich auf diesen Umstand in der Debatte öffentlich aufmerksam machte, bestätigten mir zwar Politikwissenschaftler, dass meine Aussage zutrifft, am Shitstorm änderte das aber nichts. Und bei vielen politischen Gesprächspartnern stellte ich fest, dass sie zwar die Flüchtlingskonvention als Argument zitierten, mindestens aber den einschlägigen Artikel nie gelesen hatten. Die Genfer Konvention gilt bei uns als eine Art Bibel der Flüchtlinge. Dass der Vertragstext aus gutem Grund auch derartige Härten enthält, ist dabei im kollektiven Bewusstsein praktisch verloren gegangen und wird in Deutschland aus falsch verstandener Humanität kaum noch angewandt.
Erst im Juni 2017 zeigte dies ein Aufsehen erregender Fall eines afghanischen Asylbewerbers, der ein fünf Jahre altes Kind erstach. Der Mann hatte eine Haftstrafe von sechs Jahren abgesessen, weil er eine Wohnung angezündet und die Tat seinem Cousin in die Schuhe zu schieben versucht hatte. Die Abschiebung nach der Entlassung scheiterte daran, dass er zum Christentum konvertierte und sich nun darauf berief, ihm drohe in Afghanistan Gefahr. Ein Gericht gab ihm Recht und erließ ein Abschiebeverbot. Ich halte diese Rechtspraxis nicht mehr tragfähig. Eine Gesellschaft, die so offen für Hilfe sein will wie Deutschland, hält es auf die Dauer nicht aus, wenn sich solche Fälle häufen. Zum Schutz der Hilfsbedürftigen dürfen Gewalttäter sich nicht auf das Asylrecht oder gar das Christentum berufen, um in unserem Land Gewalttaten begehen zu können.
Die Genfer Flüchtlingskonvention stärkt mit dem vorbehaltlosen Zurückweisungsrecht für Verbrecher das Gewaltmonopol des Staates. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Staates, die Menschen, die sich ihm anvertrauen, zu beschützen. Welche Instrumente hierfür in welchem Kontext angemessen sind, ist eine schwierige Abwägungsfrage.
Es ist aber nicht zu leugnen, dass eine potenzielle Gewaltbedrohung durch einzelne Flüchtlinge ein qualitativ anderes Problem für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft darstellt als eine solche durch Inländer mit einem verfestigten Aufenthaltsrecht. Dass die Duldsamkeit gegenüber Ersteren niedriger ist, entspricht nicht nur der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung. Es ist auch ethisch gut begründbar. Denn einen moralischen Anspruch auf Hilfe ohne die gleichzeitige Verpflichtung zur Achtung des Helfenden gibt es nicht.
Die Zurückweisung eines Hilfesuchenden, der ein Minimum an Achtung für den Helfenden vermissen lässt, ist eine notwendige Grenzziehung, die uns in allen sozialen Kontexten schon die Selbstachtung gebietet. Auch unser Staat muss diese Selbstachtung unter Beweis stellen, wenn er das Vertrauen, das ihm die Bürgerinnen und Bürger entgegenbringen, dauerhaft rechtfertigen will.“
Quelle: Boris Palmer