Die konservative Protestpartei AfD erreicht bei den Umfragen immer bessere Werte. Für den Wahltag am 25. Mai halten Wahlforscher mittlerweile sogar einen Erdrutsch für möglich. Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung könnten die Euro-Kritiker die Liberalen abhängen und mit Linken und Grünen gleichziehen. Schon bei der Bundestagswahl hatten mehr als zwei Millionen Deutsche der neuen Partei ihre Stimme gegeben. Sollte sich das nun wiederholen, dann muss man die AfD als eine relevante Neugröße in der deutschen Parteienlandschaft betrachten – ähnlich wie die Grünen vor 30 Jahren.
Mit einer etablierten AfD auf der konservativen Seite des Parteienspektrums verändert sich die Republik. Die Achse des Politischen verschiebt sich nach rechts. Man wird es fortan mit drei bürgerlichen und drei linken Parteien zu tun haben. Für Grüne und Liberale dürfte es künftig umso wichtiger werden, wie genau sie ihre neue Mittigkeit definieren und den kleiner werdenden Platz behaupten. Und für die Volksparteien werden Mehrheitsbildungen noch komplizierter.
Vor allem der CDU beschert die AfD eine historische Veränderung ihrer strategischen Position. Über Jahrzehnte war es für die Union von herausragender Bedeutung, dass sich rechts von ihr keine demokratische Partei etablieren konnte. Das garantierte der Union immer und immer wieder die Mehrheitsfähigkeit als größte Partei Deutschlands. Diese Konstellation sorgte dafür, dass die Union zur staatstragenden Größe reifte und sie in 45 von 65 Republikjahren den Kanzler stellen konnte. Wird diese Schlüsselfunktion nun geschleift, dann droht der Union auf Dauer eine Erosion wie der SPD mit dem Aufkommen der linken und grünen Konkurrenz.
Die Wählerschaft und die Funktionärsriege der AfD sind Fleisch vom Fleische des deutschen Bürgertums. Es tummeln sich dort langjährige CDU- und FDP-Wähler, die sich der neuen Formation zuwenden, weil ihnen die CDU unter Angela Merkel einfach zu weit nach links gerückt ist.
Für Angela Merkel könnte diese Entwicklung zum größten Fehler ihrer Amtszeit werden. Sie läuft Gefahr, die Union nach dieser Legislatur strategisch so geschwächt zu hinterlassen, dass sie ihre Ausnahmestellung in Deutschland für immer verloren hat. Da die Union nie ideologisch, wohl aber funktional aufgeladen war, verlöre sie ihr wichtigstes Aktivum – die Selbstverständlichkeit der bürgerlichen Macht.
Nun zeigt sich die Kehrseite der Merkel-Strategie, sich und die Union stets so weit nach links zu bewegen, dass von dort keine Gefahr mehr droht. Die Merkel-CDU ist in den vergangenen Jahren zu einer schwarz angemalten SPD geworden. Sie hat von Geld- bis Genderfragen programmatische Raubkopie bei den Sozialdemokraten betrieben, so dass für diese die Räume zwar eng wurden.
Die deutsche Linke konnte kaum noch eine Forderung anmelden – von der Abschaffung der Wehrpflicht über die Sozialstaatsexpansion bis zur überhasteten Abschaltung der Atomkraftwerke – schon hatte die CDU alles erledigt. Der schwarze Igel rannte so schnell nach links, dass der rote Hase nur staunte.
Umgekehrt gibt es seit Jahren kein bürgerliches Projekt mehr. Keine Steuervereinfachung auf dem Bierdeckel, keine Flexibilisierung des Rentensystems, keine Bahn- oder Bildungsprivatisierung, keine Familienentlastung, keine Kultur-, Kirchen-, Kinder- oder Heimatinitiative, nicht einmal der Schmerz der kalten Progression wird den eigenen Leuten genommen. Für die Kernwählerschaft der CDU ist die Politik der eigenen Partei damit zusehends zum Entfremdungsspiel geworden.
Papst- und Kirchenkritik, Schwulen- und Familienpolitik irritiert
National- und Heimatkonservative wurden unter Merkel früh marginalisiert, die Katholiken fühlten sich mit Papst- und Kirchenkritik, Schwulen- und Familienpolitik zusehends irritiert, der Mittelstand und die Wirtschaftseliten sind derzeit entsetzt über den Rollback der Agendapolitik mit Mindestlöhnen, Mietpreisbremsen und Renten mit 63. Auch das Personal der CDU wirkt mittlerweile durchgemerkelt, alles variabel mittig, politisch korrekt und linkskompatibel. Knorrige Konservative, selbstbewusste Unternehmer oder wertorientierte Haltungsfiguren sind rar geworden.
Die CSU ist da geschickter, sie pflegt ihre Traditionsbajuwaren und Gebirgsschützen, ihre Mittelständler und Kirchentreuen, ihre Leistungseliten, Handwerker, Mütter und Bauern, denn sie weiß, dass das die Kraftquellen der Partei sind. Die urbane Feelgood-Manufactum-Bürgerlichkeit ist dagegen politischer Treibsand.
Horst Seehofer hat darum einen Peter Gauweiler nicht bloß geduldet, er hat ihn zu seinem Vize gemacht. Ein Friedrich Merz ist hingegen bei der CDU einfach weggemerkelt worden. Wenn Gauweiler und der bavaristische Staatsintellektuelle Winfried Scharnagel ein Buch über bayerische Autonomie und Brüsseler Zentralismus schreiben, dann kommt Seehofer zur Präsentation. Wenn Merz ein Buch über Deutschlands Marktwirtschaftsdefizit veröffentlicht, dann zieht man im Kanzleramt die Augenbraue hoch – wenig hilfreich.
Lange Zeit schien die Merkel-Strategie einer linksgeneigten Weichspülpolitik aufzugehen und tatsächlich „alternativlos”. Ihr persönliche Integrität, die weltpolitisch gute Figur und unbestrittene Führungskraft hat alles überdeckt. Der agendapolitisch gezündete Aufschwung machte es ihr zudem leicht – solange die Wirtschaft in den Fabriken lief, konnte sie in den Berliner Salons die Walzer linksherum tanzen.
Doch mit der Politik der Großen Koalition verrät nicht nur die SPD, sondern eben auch die CDU just das deutsche Erfolgsmodell der reformierten Sozialrepublik. Ohne Not werden die Agendareformen revidiert und die Erfolgsbasis der deutschen Wirtschaft attackiert. Viele Bürgerliche sind darüber besorgt. Sie hätten nach dem fulminanten Wahlsieg der Union 2013 eine geradlinige Politik erwartet, doch sie werden enttäuscht.
Damit droht nun der Anfang vom Ende der Ära Merkel. Denn plötzlich gibt es zur Alternativlosigkeit eine Alternative – und die nennt sich auch noch so. Der Erfolg der AfD wird daher die Union tiefer erschüttern als das im Moment zu sehen ist. Er trifft die Bürgerlichen im Kern ihrer Milieus. Nach dem 25. Mai wird es zu einer großen CDU-Debatte kommen, dann wird die Union wieder konservative, christliche und wirtschaftsliberale Gesichter brauchen, um ihre breite Basis zu behaupten.
Und auch die Nachfolgefrage von Angela Merkel ist mit Blick auf 2017 eröffnet. Denn Ursula von der Leyen wird die Sehnsucht der Union nach sich selbst nicht stillen können.
Dieser Kommentar ist Teil der Kolumne „What's right?“, die Wolfram Weimer wöchentlich für das Handelsblatt schreibt.
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