VDA-Präsident: „Wir bekennen uns zum Pariser Klimaschutzziel“ – Im Jahr 2030 werden 10 Mio. E-Autos auf Deutschlands Straßen fahren – Modellangebot wird verdreifacht – „Abwarten ist keine Option – Wir brauchen einen ‚E-Ruck‘ in Deutschland“
Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), äußerte sich in einer programmatischen Rede vor dem Wirtschaftsclub Wernigerode, in dem zahlreiche Unternehmen, auch Zulieferer, organisiert sind, in Wernigerode/Sachsen-Anhalt zur Zukunft der Automobilindustrie in Deutschland. Aufgrund seiner Nähe zu großen Pkw-Produktionsstandorten in Niedersachsen und Sachsen ist Sachsen-Anhalt Teil eines automobilen Clusters mit zahlreichen Betrieben der Zulieferindustrie. Über 500 der gut 600 VDA-Mitgliedsunternehmen sind Zulieferer.
„Die deutsche Automobilindustrie bekennt sich zum Pariser Klimaschutzziel. Wir wollen unseren Beitrag dafür leisten, dass der Verkehr bis 2050 weitgehend CO2-neutral wird“, sagte Mattes. Ein wesentlicher Baustein, um die Klimaschutzziele im Verkehr zu erreichen, seien die „äußerst ambitionierten EU-Flottengrenzwerte – die schärfsten der Welt“. Dies gelte nicht nur für Pkw, sondern auch für leichte und schwere Nutzfahrzeuge. Zur Zielerreichung müssten alle technologischen Optionen sinnvoll genutzt werden. „Um die vorgegebenen Ziele für Pkw bis 2030 zu erreichen, müssen rund 40 Prozent der in Europa neu zugelassenen Fahrzeuge Elektromodelle (rein batteriegetriebene und Plug-in-Hybride) sein. Für den Bestand heißt das: Allein in Deutschland müssen bis 2030 7 bis 10,5 Mio. Elektrofahrzeuge unterwegs sein. Um den Markthochlauf zu beschleunigen, ist eine europaweit dichte, kundenfreundliche Ladeinfrastruktur nötig sowie ein leistungsfähiges Stromnetz. Zudem wird eine möglichst einheitliche wirkungsvolle Förderkulisse benötigt. Kurz: Wir brauchen einen ‚E-Ruck‘ in Deutschland. Hier ist die Politik gefordert.“
Ob der Markthochlauf der Elektromobilität gelinge, hänge vor allem an der Ladeinfrastruktur, so Mattes: „Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht das Ziel, bis 2020 mindestens 100.000 Ladepunkte für Elektrofahrzeuge zusätzlich verfügbar zu machen. Das ist gut, reicht aber nicht. Auch der Ausbau der privaten Ladeinfrastruktur muss voran gehen. Dazu sind Anpassungen im Miet- und Wohnungseigentumsrecht notwendig.“ Ein internationaler Vergleich zeige den Handlungsbedarf: 0,22 Ladepunkte pro 1.000 Einwohner in Berlin zu 2,1 in Oslo oder 2,5 in Amsterdam.
Der VDA-Präsident betonte: „Dabei geht es natürlich um Geld zur Finanzierung dieser Infrastruktur – aber eben nicht nur. Genauso wichtig sind konkrete Maßnahmen vor Ort in Städten und Kommunen.“ Derzeit gebe es noch keine übergreifende Koordinierung des Infrastrukturaufbaus durch Bund, Länder und Kommunen. „Das hat zur Folge, dass bei verteilter Zuständigkeit bisher keine konkreten Gesamtziele und Pflichten formuliert wurden, und der Aufbau fragmentiert und regional unterschiedlich erfolgt.“
Für einen zügigen und koordinierten Aufbau von Ladeinfrastruktur in den Zuständigkeitsbereichen von Bund, Ländern und Gemeinden müssten rasch überprüfbare Ziele definiert, die Verantwortung für den Ladeinfrastrukturaufbau und -ausbau auf allen Ebenen geklärt und regulatorische Hürden in Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden abgebaut werden. Zudem sollten alle Möglichkeiten zur Entlastung des Fahrstrompreises geprüft werden.
Mattes unterstrich: „Unsere Hersteller und Zulieferer arbeiten hart an der Dekarbonisierung der Mobilität. Aber wir können das nicht allein. Dazu braucht es eine konzertierte Aktion der deutschen Industrie und kluge Rahmensetzung der Politik. Wir erwarten, dass die Politik jetzt und mit den erforderlichen Milliardeninvestitionen in die Ladeinfrastruktur den Rahmen für das Gelingen der Antriebswende und das Erreichen der Klimaziele schafft. Die deutsche Automobilindustrie investiert in die Elektromobilität in den nächsten drei Jahren 40 Mrd. Euro.“
Der technologische Wandel vollziehe sich nicht von selbst – er setze massive Anstrengungen in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen voraus: „Im gleichen Zeitraum, in dem die deutsche Automobilindustrie 40 Mrd. Euro investiert, werden die deutschen Automobilhersteller ihr Modellangebot an E-Autos mehr als verdreifachen – von derzeit 30 Modellen auf knapp 100.“ Weltweit stamme jedes dritte Patent zur Elektromobilität und zum Hybridantrieb aus Deutschland. Bei Brennstoffzellenfahrzeugen komme ein Viertel der Patente aus Deutschland.
Der VDA-Präsident wies darauf hin, dass zwar der Schwerpunkt der Investitionen der Branche bei der Elektromobilität liege, allerdings würden auch andere Optionen weiterverfolgt. So würden Hersteller und Zulieferer den Verbrennungsmotor weiter optimieren, es gäbe hier noch ein Effizienzpotenzial von 20 bis 30 Prozent. „Zudem treiben wir die Entwicklung alternativer Antriebe und Kraftstoffe voran. Um diesen Technologien, ebenso wie der nächsten Generation der Batteriezelle, zum Durchbruch zu verhelfen, sind jetzt Investitionen in Forschung und Entwicklung und in die industrialisierte Produktion von Wasserstoff und E-Fuels notwendig. Nicht zuletzt machen wir mit digitalen Services und vernetzten und automatisierten Fahrzeugen den Verkehr effizienter. In die Digitalisierung und das vernetzte und automatisierte Fahren investieren unsere Unternehmen in den nächsten drei Jahren rund 18 Mrd. Euro.“
Mattes betonte: „Wichtig ist: Keine technologische Lösung darf gegen die andere ausgespielt werden. Alle werden gebraucht. Abwarten ist keine Option. Denn Stillstand ist Rückschritt. Wir müssen jetzt den Einstieg in die Elektromobilität als Massenmarkt schaffen. Und wir müssen die Grundlagen dafür legen, dass auch E-Fuels und Wasserstoff ihren Beitrag leisten können. Nur wenn wir den Wandel als ganzheitliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachten, werden wir die Klimaziele erreichen können.“