Interview mit Stefan Burmeister von Museum und Park Kalkriese Varusschlacht

Die Varusschlacht: Die Schlacht im Teutoburger Wald

Die Varusschlacht: Die Schlacht im Teutoburger Wald, Foto: Markus Hofmann

Den Spruch: „Die spinnen, die Römer!“ kennen wir alle aus Asterix und Obelix. Angelehnt an das römische S.P.Q.R. (Senatus Populusque Romanus) und dann frei von den Autoren ins Italienische mit „Sono Pazzi, Questi Romani!“ transferiert. Heute steht nun an einem dieser gallischen Orte, im Osnabrücker Land, mitten im Teutoburger Wald, das Varus Museum. Hier und jetzt lässt es sich hautnah auf den Spuren der Varusschlacht wandeln und die Geschichte des ereignisreichen Jahres 9 n. Chr. erleben. Denn die Dauerausstellung des Museums beleuchtet die Hintergründe der Schlacht, den Ablauf des Kampfes und seine Folgen. Zahlreiche Fundstücke aus den Ausgrabungen lassen die römische und germanische Lebenswelt jener Zeit wieder auferstehen und versprechen ein spannendes und lehrreiches Erlebnis für jeden. Soviel vorweg: Lustig ging es dabei so gar nicht zu.

Wir sprachen mit Dr. Stefan Burmeister von Museum und Park Kalkriese Varusschlacht und fragten nach: Die Varusschlacht gilt als eine der entscheidendsten Schlachten der antiken Geschichte. Könnten Sie uns bitte kurz die Hintergründe und den Verlauf dieses historischen Ereignisses erklären?

SB: Seit Cäsars Eroberungen Galliens, den meisten ja durch Asterix bekannt, streckten die Römer ihre Fühler auch weiter nach Norden aus. Ab dem Jahr 12 v. Chr. startete Rom eine großangelegte Eroberung Germaniens vom Rhein bis zur Elbe. Es dauerte einige Jahre, doch am Ende triumphierten die römischen Truppen über die germanischen Stämme. Die Gebiete des heutigen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens waren auf dem besten Weg, eine römische Provinz zu werden. Die Varusschlacht im Jahr 9 n. Chr. hat diese Entwicklung gestoppt. Drei römische Legionen, rund 20.000 Mann, liefen in eine von dem germanischen Fürsten Arminius, oder Hermann, wie er später in Deutschland genannt wurde, gelegte Falle. Drei Tage dauerten die Kämpfe, die Germanen griffen die Legionen auf ihrem Marsch immer wieder an, bis diese am Ende vollständig aufgerieben waren.

Diese Niederlage war für die Römer unvorhersehbar und traumatisch. Es war kaum vorstellbar, dass Germanen die Supermacht der Antike derart vernichtend schlagen. Einige Jahre später versuchten die Römer die Kontrolle mit einem militärischen Großaufgebot zurückzugewinnen. Und wieder scheiterten sie in Germanien. 28 Jahre nach dem Beginn ihrer Eroberungen zog Rom sich wieder aus Germanien zurück. Ob das für die weitere Entwicklung der nordwestdeutschen Regionen gut oder schlecht war, darüber kann man spekulieren. Der Lauf der Geschichte wurde dadurch aber ein anderer.

Das Museum bietet eine beeindruckende Sammlung von archäologischen Funden und interaktiven Ausstellungen. Wie wurden diese Ausstellungen konzipiert und gestaltet, um die Geschichte der Varusschlacht für die Besucher anschaulich und ansprechend zu präsentieren?

SB: Die museale Vermittlung der Varusschlacht und der umfangreichen archäologischen Forschungen in Kalkriese steht vor einer Reihe von Herausforderungen. Das Ereignis selbst ist ein düsteres Kapitel, das mit dem Tod zehntausender Menschen einher geht. Auch Kalkriese war, wie wir heute noch sehen, ein killing field. Der weiträumige Museumspark führt unmittelbar auf dieses Feld und erfordert eine respektvolle Behandlung. In den letzten Jahrhunderten kam dem Ereignis auch eine unrühmliche Rolle zu bei der Begründung eines meist aggressiven völkischen Nationalismus. Der Kampf der Germanen gegen die römische Übermacht war ein willkommenes Vorbild auf der Suche nach nationaler Identität. Die historischen Fakten gerieten dabei vollkommen in den Hintergrund.

Unsere Ausstellungen fußen selbstverständlich auf dem Boden aktuellen Wissens; dennoch sollen aber immer auch gedankliche Freiräume geboten werden, Möglichkeiten weiterzudenken. Wenn wir in die Details der historischen Ereignisse reinzoomen, kommen wir schnell an die Grenze unseres Wissens. Es ist eine Frage wissenschaftlicher Redlichkeit, dies kenntlich zu machen. Doch Grenzen sind auch dazu da, überwunden bzw. weiter gesteckt zu werden. Hier ist es unsere Aufgabe, alternative Deutungsmöglichkeiten aufzuzeigen und zum Weiterdenken anzuregen.

Museen präsentieren sich heute nicht mehr als Vitrinenlandschaften und Fundbeschau. Wir arbeiten in der Regel mit Gestaltern und Szenographen zusammen, um Geschichtsvermittlung als umfassendes Erlebnis zu ermöglichen. Ein Museumsbesuch ist eben nicht die Lektüre gelehrter Texte und Betrachtung schöner Objekte, sondern muss für alle was bieten: für Jung und Alt, ebenso für Geschichtsbesessene wie Geschichtsvergessene. So bieten zum Beispiel auch interaktive Medien unseren Besucherinnen und Besuchern Möglichkeiten, sich Inhalte spielerischer und freier selbst zu erschließen.

Herr Burmeister, das Museum beherbergt eine Vielzahl von faszinierenden Ausstellungsstücken aus der Zeit der Varusschlacht. Könnten Sie uns einige der bemerkenswertesten und einzigartigsten Artefakte oder Ausstellungsstücke im Museum nennen und uns etwas über ihre historische Bedeutung erzählen?

SB: Hier sind vor allem zwei Fundstücke zu nennen. Zum einen die eiserne Gesichtsmaske eines römischen Reiters sowie die vor einigen Jahren zu Tage gekommene Rüstung eines römischen Legionärs. Diese Funde sind aufgrund ihrer Qualität und Erhaltung sowie ihres hohen Alters absolut einzigartig. Beide Stücke führen uns aufgrund ihrer besonderen Fundumstände sehr nah an die einstigen Schicksale ihrer Träger.

Die Kalkrieser Funde stammen alle von dem Schlachtfeld, das von den germanischen Siegern nach der Schlacht geplündert wurde. Dennoch blieb sehr viel liegen, was uns bislang unerreichte Einblicke in die Ausstattung einer römischen Armee gibt. Erstaunlich ist zum Beispiel auch der Luxus, den vor allem die Offiziere selbst im Feld genossen hatten. Da wir hier ein Tagesereignis fassen, ist unser Fundplatz quasi eine Momentaufnahme vergleichbar den Funden aus Pompeji.

Herr Burmeister, Ihr Museum bietet eine Vielzahl von Veranstaltungen und Programmen an, darunter Workshops über die Kampftechnik und die Ernährung der Römer und Germanen. Könnten Sie uns bitte mehr darüber erzählen? Was können Besucher von diesen Workshops erwarten und wie tragen sie dazu bei, ein tieferes Verständnis für das Leben und die Kultur dieser Zeit zu vermitteln?

SB: Mit den Workshops testen wir ein neues Format. Gemeinsam mit den Teilnehmenden rücken wir zwei zentrale Themen, die die Menschen vor 2000 Jahren bewegt haben, in den Fokus: Ernährung und Kampf. Klingt klischeehaft, war aber Teil der Lebensrealität. Unsere Besucherinnen und Besucher können bei den Workshops mit unseren Gästeführer:innen viele neue Aspekte kennenlernen, probieren aber auch vieles selbst aus – ob an der Feuerstelle oder mit dem germanischen Schild in der Hand.

Das Varusschlacht Museum arbeitet eng mit der Niedersächsischen Bingo-Umweltstiftung zusammen. Könnten Sie uns mehr über die Partnerschaft erzählen?

SB: Unser Park ist ein besonderer Ort der Geschichte. Hier wird gegraben und geforscht. Unser Park ist aber auch ein wertvoller Natur- und Landschaftsraum. Und die Landschaft spielte vor 2000 Jahren in den Kämpfen zwischen Römern und Germanen eine entscheidende strategische Rolle. Wir verstehen auch die Natur als Teil des kulturellen Erbes. Das machen wir an vielen Stellen im Museumspark sichtbar und zeigen, wie wir unseren Park fit für die Zukunft machen: für eine grüne Zukunft.

Der Wald spielte nicht nur für die Germanen in ihrem Kampf gegen Rom eine tragende Rolle, auch in unserem Vermittlungskonzept ist er zentral. Die klimatischen Veränderungen wie anhaltenden Trockenheit, Stürme und Borkenkäfer, um nur einige Herausforderungen zu nennen, haben in den letzten Jahren unserem Park erheblich zugesetzt und damit auch unser Vermittlungskonzept gefährdet. Hier sind wir bei der Bewirtschaftung unseres Waldbestands gefordert.

Im Park finden sich Hinweistafeln zu unterschiedlichen Landschafts- und Naturthemen. Hier erfährt man, warum wir an vielen Stellen im Park der Natur die Kontrolle zurückgeben, wie nachhaltige Wiederaufforstung funktioniert und was eigentlich Benjeshecken sind. Auch dabei: der eine oder andere Tipp für den heimischen Garten. Das Projekt konnten wir Dank einer Unterstützung der Bingo-Umweltstiftung verwirklichen.

Abschließend, was denken Sie, macht die Varusschlacht auch heute noch zu einem faszinierenden und relevanten Thema für Geschichtsinteressierte und die breite Öffentlichkeit?

SB: Die Örtlichkeit der Varusschlacht wurde seit dem frühen 16. Jahrhundert, als man in Deutschland begann, sich für dieses historischer Ereignis zu interessieren, intensiv gesucht. Es wurde an Hunderten verschiedener Orte vermutet. Das Ereignis hat die Menschen fasziniert. Den Kalkrieser Raum hatten nur Wenige auf dem Schirm als 1989 hier die ersten Funde vom Schlachtfeld zutage kamen. Unsere archäologischen Forschungen zeigen die vielen Facetten der historischen Schlacht. Auch für uns spielt KI inzwischen eine große Rolle, ebenso gemeinsame Projekte zum Beispiel an Großforschungsanlagen wie dem DESY in Hamburg. Selbst wir sind immer wieder überrascht und begeistert, was in unseren Funden bislang unerkannt schlummert.

Über diese Faszination hinaus, muss man sich auch heute noch mit dem historischen Ereignis auseinandersetzen. Die Niederlage Roms in Germanien hat Auswirkungen, die wir heute noch spüren. So geht unsere Vorstellung vom deutschen Wald und seine mythische Überhöhung auf die traumatischen Erfahrungen der Römer in den Wäldern Germaniens zurück. Die politische Instrumentalisierung der Schlacht für die deutsche Identität führt in die düstersten Kapitel der deutschen Geschichte – auch dem müssen wir uns heute noch stellen. Und außerdem ist es sehr interessant und lohnenswert, sich zu überlegen, wie die Entwicklung in Nordwestdeutschland verlaufen wäre, wenn das Gebiet zwischen Rhein und Elbe über Jahrhunderte zum Römischen Reich gehört hätte. Manchmal bedarf es nur einer kleinen Weichenstellung und alles nimmt einen anderen Lauf.

https://www.kalkriese-varusschlacht.de/

Fotos: Markus Hofmann

Text und Interview: Markus Hofmann

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