Schmetterlinge – wenn wir sie durch die Lüfte „torkeln“ sehen, ist ihr Leben eigentlich fast schon vorbei. Eine lange Zeit des Verborgenen, Unauffälligen ging ihrem kurzen Glanz voran. Auch in »Magnifica« liegt etwas unter der Oberfläche verborgen. Schmetterlinge fungieren dabei – wenn auch unauffällig und diffus – als verbindendes und immer wieder eingeflochtenes Element, als Umriss-Skizzierende der Zukunft einer neuen Generation im Aufbruch.
Diese neue Generation lebt in Gestalt von Magnifica und ihrer Familie, deren Sohn Andrea sie eines Morgens Knall auf Fall verlässt. Nur ein Glas mit Papierschnitzeln und darauf notierten kurzen Gedankenfetzen, lässt er als „Erklärung“ zurück. Und einen Stift, einen goldenen Füller. Wird er zurückkehren? Wir erfahren es nicht. Aber die „Prachtvolle“, „Stolze“ oder „Herrliche“ – wie man Ihren Namen aus dem Italienischen übersetzen könnte – wird es nutzen, um ihren Gedanken einen Ankerplatz zu geben. Maria Rosaria Valentini, so darf vermutet werden, gibt damit sicherlich ihrer Mutter, Großmutter und vor allem ihrer Heimat ein literarisches Zuhause. Es ist das erste Buch, das von der italienischen Autorin ins Deutsche übertragen wurde.
Erzählt wird das Leben von drei Generationen, hauptsächlich in Gestalt dreier Frauen, beginnend in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Valentini, die seit vielen Jahren in der Schweiz lebt, siedelt es in einem Dorf zwischen den Lepinischen Bergen und dem Apennin, der Ciociaria, ihrer Heimat, an. Diese Gegend war bis zum Zweiten Weltkrieg eine der ärmsten Regionen Italiens und erlebte schwerste Kriegszerstörungen. Noch bis in die 60er Jahre wanderten viele Bewohner in norditalienische Großstädte oder nach Nordeuropa und Amerika ab. „Manche wagten es, auf anmutige, gefährliche Weise, unabänderliche Grenzen zu überwinden.“ Doch einige blieben, auch wenn auch sie im Verborgenen den Traum der großen Freiheit und vielversprechenden Ferne träumten. „Klug und still zügelte sie ihre Wünsche und stellte sich vor, sie würde Geduld klöppeln.“, lässt die Autorin ihre Hauptprotagonistin Ada Maria feststellen. Deren Mutter Eufrasia und ihre Tochter Magnifica sind die stillen Heldinnen des Romans, die nicht laut und fordernd ihr Leben verrichten, sondern eher „Augenblicke und Gedanken auskleiden“. Vor allem Ada Marias Gedankenmäander sind der rote Faden im Buch, der nicht nur die drei Frauen leitet, sondern auch ihr unmittelbares Umfeld umgarnt.
Valentini berichtet unaufgeregt und ruhig, der Gegend angepasst, vom mühsamen Leben der Verbliebenen. Der Text offenbart eine sonderbare Entrücktheit, die dennoch Zärtlichkeit, Liebe und vor allem eine stille Sehnsucht atmet. Trotz des leisen Erzählflusses kleidet sie ihre Zeilen fast üppig aus – wie frisches Blattwerk der Bäume und ganz speziell der Buchen. „Die Ereignisse gleiten auf unsichtbaren Tafeln in rascher Reihenfolge vorbei, laufen Sehnsüchten und Hoffnungen hinterher.“, liest man schon fast am Ende des Romans. Dieser Satz gibt den Duktus des Romans auf hervorragende Art und Weise wieder. In Gestalt der erzählenden Ada Maria wird die Vergangenheit – wie einem Mosaik gleich – Stück für Stück zusammengesetzt. Dies passiert nicht unbedingt fließend und opulent ausschweifend, sondern eher in einzelnen Erinnerungssequenzen und Szenen, in die „Verwandschaftsbeziehungen, Seufzer, Sprünge, Akkorde“ wie auf einer Decke in „die gezackten Bordüren einer Kindheit“ eingestickt werden, die letztendlich Heimat und Familie bedeutet. Diese Decke liegt wie ein schwereloses Tuch über dem Romankonstrukt und dessen Strom der Erinnerungen.
Hervorzuheben ist die Sprache von Maria Rosaria Valentini, die in Monika Köpfer eine eindrucksvolle Übersetzerin gefunden hat. Schwerelos und ohne Brüche überträgt sie die poetischen, mitunter fast lyrischen Sentenzen der Autorin… „kurze Passagen, in die die gemurmelten Worte dieses Augenblicks hineintröpfelten, Versprechen und Dinge, die sie sich in den Kopfgesetzt hatte, sich anmaßte, weitreichende Wünsche, Einblicke in die törichten Risse ihres Herzens, Schwüre, Entschuldigungen.“ Valentinis Text scheint beinahe zu atmen und seinen Hauch auf die Gedanken des Lesenden zu blasen.
»Magnifica« ist ein Buch über Schönheit und Traurigkeit, über Einsamkeit und Miteinander und über Schicksal und Hoffnung. »Magnifica« è magnifico!, möchte man nach dem Zuschlagen der letzten Seite, vielleicht etwas pathetisch, aber immer noch mit einem Kribbeln auf der Haut, ausrufen. Dieses Buch ist wundervoll! Es schwingt noch lange beim Leser nach. Oder um es mit einer Passage aus dem Roman zu sagen: „Denn manchmal sind Worte Brot, Wasser, Fleisch.“
Hintenan möchte dieses wunderschöne Gedicht aus der Feder von Carlo Karges (1951-2002), einem Mitglied der deutschen Rockband NOVALIS, stellen, da es den Ton und auch den Inhalt des Romans eindrucksvoll wiedergibt:
Schmetterlinge
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß, wie Wolken schmecken,
der wird im Mondschein
ungestört von Furcht,
die Nacht entdecken.
Der wird zur Pflanze, wenn er will,
zum Tier, zum Narr, zum Weisen,
und kann in einer Stunde
durchs ganze Weltall reisen.
Er weiß, dass er nichts weiß,
wie alle andern auch nichts wissen,
nur weiß er was die anderen
und er noch lernen müssen.
Wer in sich fremde Ufer spürt,
und Mut hat sich zu recken,
der wird allmählich ungestört,
von Furcht sich selbst entdecken.
Abwärts zu den Gipfeln
seiner selbst blickt er hinauf,
den Kampf mit seiner Unterwelt,
nimmt er gelassen auf.
Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß wie Wolken schmecken,
der wird im Mondschein,
ungestört von Furcht,
die Nacht entdecken.
Der mit sich selbst in Frieden lebt,
der wird genauso sterben,
und ist selbst dann lebendiger,
als alle seine Erben.
Maria Rosaria Valentini
Magnifica
Originaltitel: Magnifica
Aus dem Italienischen von Monika Köpfer
DuMont Buchverlag, Köln (12. März 2018)
303 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3832198741
ISBN-13: 978-3832198749
Preis: 22,00 EURO