Rückgrat zeigte die Ratspräsidentin der EKD mit ihrem Rücktritt allemal, auch gegen die Gegnerschaft in den eigenen Reihen, denn beargwöhnt wurde die dynamische Theologin immer vom Kreis der evangelischen Orthodoxen.
So ist der Schritt nur die konsequenzlogische Reaktion auf einen „Ausrutscher“, den man durchaus verzeihen sollte. Würde man diesen zum Kriterium machen, müssten ganze Gruppen von Politikern und Managern zurücktreten. Im Fall der Landesbischöfin von Hannover ist dies bedauerlich, zeigt aber auch, daß es Käßmann letztendlich um Glaubwürdigkeit geht, die sie ohne diesen Rücktritt sicherlich verloren hätte. Hier zeigt sich das Gewissen einer Theologin, die nicht nur von der Öffentlichkeit Glaubwürdigkeit verlangte, sondern diese auch zur eigenen Wertmaxime erklärte.
Käßmann besticht mit ihrer Authentizität, wenn sie an sich selbst die moralischen Standards anlegt und nicht die formalen, die sie keineswegs zu diesem Schritt nötigten. Denn noch vor zwei Tagen stellte sich die EKD hinter die charismatische Käßmann, die als oberste Repräsentantin der Evangelischen Kirche nicht nur engagiert ihr Amt bewußt innehatte, sondern die auch versöhnen konnte, die manche Kluft zwischen den unterschiedlichen Konfessionen hätte schließen können, die die christliche Religion wieder in die Bewußtheit der Menschen führte, nicht zuletzt mit ihrer offenen gelebten Authentizität, die sie nun selbst zu Fall brachte. Wer authentisch ist, hat in dieser Gesellschaft keinen Platz, was Käßmann spätestens dann zu spüren bekommen hätte, wenn sie wieder unpoluläre Entscheidungen getroffen hätte, denn dann wären die hochfeinen Moralisten irgendwann wieder zur Stelle und würden gnadenlos zurückschlagen, und zwar mit eben jenen moralischen Fingerzeig, der den Ausrutscher immer wieder zum Thema und zum andauernden Anstoß der Kritik machen würde, spätestens dann würde man sie zum Rückzug zwingen. In diesem Fall aber wäre der Fall Käßmann tatsächlich ein tragischer, dem sie nun bewußt und durchdacht vorgebeugt hat.
In ihrer viermonatigen Amtszeit hatte sie für Aufsehen gesorgt, nicht zuletzt mit ihrer Kritik am deutschen Afghanistaneinsatz und der schalen Rede von „kriegsähnlichen Zuständen“. Käßmann räumte radikal mit Phrasen vom humanitären Aufbau auf. Der Afghanistaneinsatz ist und bleibt, wie jeder, der des Gesunden Menschenverstandes fähig ist, ein Krieg – trotz gegenteiliger Versprechen eines zu Guttenberg.
Wäre der Entschluß des Rücktritts nicht ihre ureigenste Entscheidung gewesen, könnte manch einer eine Intrige vermuten, die die von Regierungskreisen offen kritisierte Käßmann gern in einem einflußärmeren Amt gesehen hätten.
Käßmann war eine Frau des Volkes, eine Seelsorgerin, wie man sie sich wünschte, eine entschlossene Kämpferin für eben das Authentische. Mit ihrem Rücktritt verliert die evangelische Kirche nicht nur eine charismatische Persönlichkeit, sondern auch eine engagierte Kämpferin für die Religion und die Ökumene.
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