2003 erschienen gleich mehrere Standardwerke zu Gilles Deleuze, was um so erfreulicher ist, da die Auseinandersetzung mit dem postmodernen Denker – auch und gerade nach der Kritik von Manfred Frank – noch in ihren Anfängen steckt.
Unter den bislang im deutschsprachigen Raum erschienenen Arbeiten zu Deleuze ist einerseits die von Friedrich Balke publizierte Einführung hervorzuheben, andererseits sein mit Joseph Vogl herausgegebener Sammelband Fluchtlinien der Philosophie, in der auch Deleuzes letzte und kürzeste Schrift – Immanenz – Ein Leben Eingang gefunden hat.
Neben Mirijam Schaubs beiden Büchern Gilles Deleuze im Wunderland: Zeit- als Ereignisphilosophie und Gilles Deleuze im Kino: Das Sichtbare und das Sagbare, die nunmehr im Münchner Wilhelm Fink Verlag vorliegen und sich insbesondere Deleuzes Kinoprojekt zuwenden, sind Röllis und Zechners Monographien ganz dem philosophischen Denken des Franzosen verpflichtet.
In seiner umfangreichen Studie, die als Dissertationsschrift bei Turia & Kant vorliegt, beschäftigt sich Rölli eingehend mit Deleuzes Begriff des transzendentalen Empirismus, wobei darüber hinaus auch dessen Hauptwerk Differenz und Versöhnung in den Mittelpunkt gerückt und einer tiefgründigen Analyse unterzogen wird.
Rölli holt bei seiner Annäherung an Deleuze weit aus, erläutert die Begriffe des Transzendentalen und des Empirismus in der abendländischen Geistesgeschichte, was ihn immer wieder zu Hume und Kant führt. Um tiefergehende Einblicke in das Denken des Postmodernisten zu liefern, setzt sich Rölli auch mit Husserl und Heidegger auseinander.
Seine bis ins Detail gehende Beschäftigung mit den Schriften dieser Denker gerät aber zu ausführlich. Der Leser wünschte sich vielmehr einen tieferen Blick auf jene Begriffspersonen, die Deleuze im Rahmen seiner geschichtsphilosophischen Analysen interessierten – auf Spinoza, Nietzsche, Foucault und Bergson. Denn: Alle diese Denker waren es – die stoische Philosophie nicht zu vergessen –, in und aus denen Deleuze seine Randgänge des Denkens entwickelte.
Die Geschichte der Philosophie läßt der Franzose nur dort gelten, wo diese – wie bei Nietzsche – zu einem aktiven Moment wird, zu einem unvorhersehbaren Ereignis, das zum Denken zwingt, das von außen zustößt. Dieses Sich-Ereignen des Denkens, das in der permanenten Erschaffung von Begriffen kulminiert, war auch das ausgewiesene Ziel von Deleuze und Guattari in ihrem letzten gemeinsam veröffentlichten Werk Was ist Philosophie?
Deleuze selbst warnte vor einer Vergeschichtlichung der Philosophie und der Verklärung ihrer Denker. Auch Röllis Arbeit ist nicht davor gefeit, das Historische, den geschichtlichen Deleuze, zu sehr herauszuarbeiten, was aber keineswegs ihren Wert für die Forschung schmälert – sie bleibt ein wichtiger und ausgezeichneter Beitrag.
Einen sehr gelungenen Einstieg in das Werk von Deleuze bietet das Buch Der Gesang des Werdens von Ingo Zechner. Während Rölli bereits eine fundierte Kenntnis der Deleuzeschen Schriften voraussetzt, erklärt Zechner in aller Einfachheit die oft schwierigen Neologismen des Franzosen. Bereits in den Anfangskapiteln, in denen das Verhältnis zwischen sokratischer beziehungsweise kierkegaardscher Ironie und Humor am Beispiel der Schriften von Deleuze gespiegelt wird, erhält der Leser einen anschaulichen Zugang zu deleuzianischen Begriffen wie Rhizom, transzendentales Feld und Immanenzebene. Zechner zeichnet in seiner Monographie aber auch immer wieder Deleuzes kritisches Kantbild nach, verweist auf seine Kritik am repräsentativen Denken, betont im Zusammenhang mit dem Prozeßcharakter dieses Denkens zugleich den Ereignischarakter desselben. Schließlich gibt es gute Einblicke in das Theatrum Philosophicum.
Daß es sich bei der Philosophie des Postmodernisten um eine Umkehrung des Platonismus handelt, wird dort deutlich, wo Zechner seine deleuzianische Ideenlehre vorstellt. Interessant ist darüber hinaus die im Schlußkapitel entwickelte Einführung in einen fröhlichen Atheismus, wobei auch die Ethik des Franzosen zum Thema gemacht wird.
Kurzum: Sowohl Rölli als auch Zechner erweisen sich als profunde Kenner dieses in Deutschland weitgehend – und zu unrecht – unbedachten Denkers, der keineswegs, wie ihm von Seiten der akademischen Philosophie vorgeworfen wird, lediglich sich in bloßen Wortspielereien und denkerischer Zufälligkeit gefällt. Deleuzes hat eine Renaissance verdient, Rölli und Zechner haben dazu schon Wesentliches beigetragen.
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