„Ohne Liebe bin ich nichts.
Selbst wenn ich in allen Sprachen der Welt,
ja mit Engelszungen reden könnte,
aber ich hätte keine Liebe,
so wären alle meine Worte hohl und leer,
ohne jeden Klang,
wie dröhnendes Eisen oder ein dumpfer Paukenschlag.“
Die beste „Definitionen“ zum Thema Liebe findet sich tatsächlich in der Bibel im 1. Korinther 13. Ansonsten ist dieses psychische Phänomen nicht nur im eigenen Erklären, sondern auch den spezifischen und heute bekannten naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden äußerst schwer zugänglich. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass über die Liebe deshalb nichts Allgemeingültiges ausgesagt werden könnte. Die Trefferquote bei einer Google-Suche liegt im Millionen-Bereich. Jeder hat offensichtlich darüber seine ganz eigene Meinung, die sich aus dem eigene Erleben speist. Erlebnisse lassen sich nun mal sehr schlecht im Labor mit Instrumenten messen. Aber man kann über sie beschreibend berichten. Und das tun wir Menschen schon seit Jahrhunderten. Vor allem in der Literatur nimmt ihre Interpretation einen großen Stellenwert ein. Es gibt kaum einen Autor, der die Liebe nicht zum Sujet seiner Beschreibung herangezogen hat. Doch wie und vor allem wo nahm alles seinen Ursprung?
Marilyn Yalom, Professorin für Französische Literatur an der Stanford University, die bereits vielfältige Beiträge und Bücher zur Kulturgeschichte der Frau, mit besonderem Fokus auf Frauen in Frankreich und in den Vereinigten Staaten, geschrieben hat, nimmt sich in ihrem jüngsten Werk diesem großen Thema an. Dabei stellt sie eine interessante, wenn auch vielleicht nicht ganz ernst zu nehmende These auf: Die Liebe wurde in Frankreich erfunden. Ob nun Wahrheit oder Mythos, eines ist sicher: die anscheinend liebesbegeisterten Französinnen und Franzosen haben es im Laufe von Jahrhunderten geschafft, dass Frankreich als das Land der Liebe schlechthin gilt. „Die Amerikaner meiner Generation hielten die Franzosen für die Stifter der Liebe. Aus ihren Büchern, ihren Chansons, ihren Zeitschriften und Filmen fabrizierten wir uns ein Bild davon, wie aufregend Liebe sein kann – und das war weit entfernt vom aseptischen amerikanischen Modell der Fünfzigerjahre. Die Frage also lautet: Wie sind die Franzosen geworden, wie sie sind? Dieses Buch möchte eine Antwort darauf geben.“
Auch wenn man durchaus der Meinung sein könnte, „die Liebe, wie wir sie heute kennen, habe es schon immer gegeben“, entstand damals in Frankreich „etwas historisch gesehen Neues, eine kulturelle Explosion, die für Liebende das Recht einforderte, ihre Leidenschaft entgegen allen gesellschaftlichen und religiösen Widerständen auszuleben.“, so Yalom. Chronologisch versucht sich in ihrem Werk herauszufinden, wo sich in der französischen Geschichte die Ursprünge finden lassen und zwar am Beispiel ihres Fachgebietes – der Literatur. „Wie die Franzosen die Liebe erfanden“ ist also keineswegs eine trockene wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein höchst amüsantes und für jeden Literaturbegeisterten erhellend zu lesendes Buch über die Liebe in ihrer kulturellen Form.
Marilyn Yalom beginnt im Frankreich des 11./12. Jahrhunderts, alsder Ehebruch als literarisches Thema erstmalig in Mode kam. Franzosen erfanden damals die Ideale der Minne und sorgten für deren Verbreitung. Die Dame bekam eine Starrolle in dem Kult der 'fin'amor', die sich schließlich zu einem Modell für alle westlichen Männer und Frauen entwickeln. „Heute sagen wir romantische Liebe dazu.“ Die amerikanische Autorin beginnt mit dem französischen Pendant zu Romeo und Julia: Abaelard und Heloise, den Schutzheiligen der französischen Liebespaare und Märtyrern der Liebe. Ihnen folgt im 12. Jahrhundert der 'galanterie' (eine Reihe verfeinerter Sitten im Umgang mit dem anderen Geschlecht, die sich zuweilen bis in die Jetztzeit gehalten hat), als herausragendes Beispiel „Die Prinzessin von Cléves“ von Madame de La Fayette, einer der ersten „psychologischen“ Romane überhaupt. Weiter geht es mit der Komödie und Tragödie im 17. und dem vorrevolutionäres Frankreich des 18. Jahrhundert. Namen wie Molière („Der Menschenfeind“), Racine („Phädra“) und Prévost mit seiner femme fatale „Manon Lescaut“ tauchen genauso auf wie Rousseaus „Julie oder Die neue Héloïse“, „Gefährliche Liebschaften“ von de Laclos oder die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse.
Yalom betrachtet die republikanische Liebe (Élisabeth Le Bas, Madame Roland), untersucht sozioerotische Variante selbiger bei Constant, Stendhal („Rot und Schwarz“) und Balzac, wo zumeist ein junger Mann in eine ältere Frau verliebt ist oder umgekehrt, schwenkt ein in die Bahn der französischen Romantik und der Belle Époque. „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert sowie die Heldenkomödie „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand nehmen dabei einen besonderen Stellenwert ein. Aber auch der gleichgeschlechtlichen Liebe zollt sie ihre Aufmerksamkeit, deren Vertreter Verlaine, Rimbaud, Wilde und Gide sowie Colette, Gertrude Stein und Vilette Leduc ausführlich „untersucht“ werden. „Auch hier setzten die Franzosen eine sexuelle Revolution in Gang, die im restlichen Jahrhundert noch mehrfach hohe Wellen schlagen sollte.“ Natürlich dürfen auch die neurotische Liebe bei Marcel Proust sowie die verliebten Existenzialisten Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre nicht fehlen, die sie während ihrer Studienzeit noch persönlich in Paris erlebte. Letztendlich schwenkt die Autorin auf der Zielgeraden noch bei Marguerite Duras und letztendlich der Liebe im 21. Jahrhundert ein. Auch wenn heute der französische Roman wohl nicht mehr der privilegierte Ort der Liebe ist. Am ehesten hat er sich wohl noch in den stillen, leisen französischen Filmen gehalten.
Marilyn Yaloms sehr persönlich gehaltenes und mit vielen individuellen und eigenen Bonmots aus ihrem großen (französischen) Bekanntenkreis gewürztes Buch, hält eine Fülle an Historischem und natürlich auch Literaturwissenschaftlichem bereit. Geschrieben in einem lockeren, sehr gut lesbaren Stil, ist ein äußerst amüsantes, aber trotzdem hochinteressantes Buch entstanden, das vor allem dem Literaturliebhaber eine Fülle an neuem Lesestoff bietet. Letztendlich sehen Franzosen, so Yalom, „die Liebe lieber als ein Spiel, bei dem man sich nicht in die Karten schauen lässt“. Sie haben „mit ihrer jahrhundertelangen höfischen Kultur ihre Vorstellungen über die Liebe von oben her entwickelt. Könige und Königinnen, adlige Damen und Herren, Minnesänger und Schriftsteller haben Loblieder und Gedichte auf die Liebe ersonnen und diese Liebe in einer Welt von ihresgleichen ausgelebt.“ Die Tradition des galanten Liebesgeplauders ist in Frankreich jedenfalls nie ausgestorben. Auch wenn sie feststellt, „dass sich die Regeln für das Zusammenleben kontinuierlich ändern. (…) Aber die Liebe ist deshalb keineswegs verschwunden. Wie seit jeher ist sie in Frankreich auf eine geradezu obsessive Art allgegenwärtig.“ Auch wenn sie in ihrer bezaubernden Tour durch die Jahrhunderte sicherlich ein paar gewagte Verallgemeinerungen anbringt, über die sich trefflich streiten lässt, so stellt man nach der Lektüre eindeutig fest: Wer will schon streiten, wenn es um die Liebe geht. Denn: „Votre passion pour la littérature française nous honore. Et le plaisir?“ (Ihre Leidenschaft für die französische Literatur ehrt uns. Und das Vergnügen?)
Marilyn Yalom
Wie die Franzosen die Liebe erfanden.
Neunhundert Jahre Leidenschaft
Aus dem amerikanischen Englischen von Michaela Meßner
Titel der Originalausgabe: „How the French Invented Love. Nine Hundred Years of Passion and Romance“
Graf Verlag (Dezember 2013)
443 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3862200388
ISBN-13: 978-3862200382
Preis: 22,99 EUR
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