Macht und Stil

Gottfried Benns Kunsttheorie als Kunstpolitik im 'Dritten Reich'

Sicherlich gehört der Lyriker Gottfried Benn zu den Künstlern, die Voraussetzung und Bedingungen der eigenen künstlerischen Arbeit besonders intensiv reflektiert haben. Benn hat mit unterschiedlichen Fragestellungen über Kunst und Künstler geschrieben; auf der Ebene der Prüfung und Kritik der eigenen Ausdrucksmittel, einer radikalen Infragestellung der eigenen Künstlerpersönlichkeit und ihrer Möglichkeiten versuchte er sein dichterisches Programm weiter zu entwickeln. Aber er verfaßte auch Stellungnahmen zur gesellschaftlichen Position des Künstlers, seiner Verantwortlichkeit („Soll die Dichtung das Leben bessern?“), der Stellung in staatlichen Hierarchien.

Antilyrisches vom Dichter

Spricht Benn über den Künstler, hat er niemals nur die intellektuelle Konzeption im Auge, die kulturelle Erfahrungswelt oder den geistigen Horizont, sondern das ganz alltägliche Empfinden, die banalsten Rahmenbedingungen der Kunstproduktion. Es geht meist weniger um Seelenqual und Berufung, mehr um die organische Masse Herz und Hirn sowie, in gut expressionistischer Weise, um Verdauung und Geschlechtsleben des Künstlers. Der Abschied von der klassischen `gehobenen' Lyrikersprache ist total. Eine Steigerung lyrischer Mittel wird nun durch bewußte Bezugnahme auf aber noch jeden 'antilyrischen' Affekt, durch Wissenschaft und/oder Gassenjargon verstärkt und weitergeführt.

So auch in 'Kunst und Staat', einem Essay, der die Versorgung und Anerkennung der Künstler durch die Allgemeinheit thematisiert. Benn vergleicht hier das Einkommen und die gesellschaftliche Stellung von Beamten und Künstlern. Er beginnt bei seinen eigenen Lebensumständen, in prosaischem Ton („Ich habe seit zehn Jahren eine Praxis für Haut und Geschlechtskrankheiten in Berlin“), geschildert werden dann die Versuche, eine feste Anstellung beim Staat und so ein dauerhaft gesichertes Einkommen zu erreichen, damit sich die schriftstellerische Existenz auf solider Grundlage ruhig entfalten könne. Daß und wie ihm dies nicht gelingt, erscheint paradigmatisch; das eigene Schicksal wird zum Beispiel aus einer langen Reihe von Verletzungen der Würde des Künstlers. Während leicht konsumierbare Kulturreproduktion in großen Institutionen gepflegt wird („Zweiundzwanzig Schöne mit Dauerverträgen und noch mehr männliche Bretterbetreter, damit 'Charleys Tante' und das 'Weiße Rößl' monatelang dem preußischen Volke nahegebracht wird; an der Spitze Intendanten und Regisseure, die nebenberuflich Filme in ihre Tasche drehen;…“) werden diejenigen, die Kultur neu hervorbringen, mißachtet.

Beispiele aus der damaligen Gegenwart des Deutschen Reiches werden immer wieder ergänzt durch historische Exempel. Benn parallelisiert und klagt eine Geringschätzung der Kultur an, die sich durch die Jahrhunderte zieht: „Hohenzollern oder Republik, das ist Jacke wie Hose. Günther, Hölderlin, Heine, Nietzsche, Kleist, Rilke oder die Lasker-Schüler – Der Staat hat nie etwas für die Kunst getan. Kein Staat. Phidias starb im Kerker an Gift, sein Denunziant erhielt vom Volk Steuerfreiheit. Vergil, Dante, Petrarca, – die Verbannten unter Cäsaren oder Demokratien. Der Staat, immer bereit zu dem Geschwätz, daß die Nation sich aus inneren Kräften erneuere, hat der Kunst gegenüber keine andere Geste, als die, die vom Fehlgriff lebt.“ In dem 1927 erschienenen Aufsatz fordert er also Anerkennung ein und wütet gegen den etablierten Kunstbetrieb der Weimarer Zeit, der die Fehler der vorangegangenen Epochen nur wiederhole. Der Künstler, der durch seine Arbeit dem Staat Weihe und Dauer schenkt (Hölderlins 'Was aber bleibet stiften die Dichter' wird zitiert) hat ein Recht auf materielle Grundversorgung und Respekt vor seiner Besonderheit. Umfang und Bedeutung dieser Sonderstellung sollen dann genauer beschrieben werden, hierzu will Benn den Status künstlerischer Arbeit als Ausnahmeerscheinung analysieren – was in 'Das Genieproblem' von 1930 rassebiologistisch versucht wird.

Vom Geld zu den Genen

Eingehend werden im 'Genieproblem' genetische Grundlagen als Voraussetzung geistiger Begabung dargestellt (ein Gedankengang, den Benn später in seinen 'Züchtungs'-Schriften noch radikalisiert); er zählt Stammreihen berühmter Menschen auf und schwärmt von der „ganz überwältigenden Bedeutung der nordisch-alpinen Vermischungszone für die neuere europäische Kultur“. Beschrieben wird außerdem die Bedeutung von 'Geniefamilien', die regelmäßig große Talente erzeugen und der 'Vorzüchtung' in diesen Familien.

Benn erklärt aber auch, innerhalb großer Familien sei das Genie dann schließlich eine Entartungserscheinung, entstanden am Ende und im Niedergang einer erbbiologisch herausragenden Gruppe. Genie als Krankheit der Blutvermischung auf hohem Niveau: „Was das Elternpaar angeht, so scheint möglich differentes Keimmaterial oft der Ausgangspunkt für Geniebildung zu sein“. Diese Wiedersprüchlichkeit, einerseits den Künstler als Mitglied einer natürlichen Elite definieren zu wollen, andererseits aber seine individuelle Sonderstellung, sein Außenseitertum als Ergebnis einer `Entartungserscheinung' innerhalb dieser Elite zu beschreiben, spiegelt die Problematik einer Mißdeutung psychologischer und soziologischer Gegebenheiten vor rassemystischem Hintergrund wieder. Es hat also eine gewisse Folgerichtigkeit, daß er nach der Untersuchung der 'biologischen Grundlagen' zum soziologischen Umfeld kommt. Die richtigen Umstände müssen nun zusammentreffen, damit ein Künstler als Genie aus der Masse der Kreativen herausgehoben werden kann. Er muß im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle sein, unterstützt von den Zufällen des Geschicks oder einem mächtigen Förderer. „Also muß man den höchsten Turm baun oder mit der stärksten Macht liiert sein, um hochzukommen. Nicht das Werk als solches bringt den Ruhm“. Mit der stärksten Macht liiert sein! Die späteren Geschehnisse zeigen, daß sich Gottfried Benn nicht nur theoretisch damit beschäftigt hat, wie ein Künstler aufsteigen könne, um seine gesellschaftliche Position bis zu einer die Zeit gestaltenden Machtfülle zu steigern. Der Traum des kleinen Berliner Arztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten: Einmal cool aus der Limousine schauen und hochgestellte Persönlichkeiten auf Empfängen warten lassen.

Der Glanz der Macht

Mit der Schrift 'Nach dem Nihilismus' beginnt etwas Neues. Die dort geäußerten Gedanken stehen zwischen den expressionistischen provokanten Anklagen und Exaltationen der Weimarer Zeit und dem Möchtegern-Staatskünstler Benn der das 'Dritte Reich' mitdefinieren will. Schon in den gewählten stilistischen Mitteln wird dies deutlich – eine unprätentiöse, relativ sachliche und analytische Sprache wird verwendet, in der ein historischer Abriß der Entstehung dessen gegeben wird, was er 'Nihilismus' nennt, zusammen mit einem Ausblick auf dessen angestrebte Überwindung. Was Benn früher (beispielsweise in seinen Frankreich-Aufsätzen) als europäische Kultur bewundernd geschildert hat, wird nun zum Rahmen für den Aufstieg des Nihilismus. Es scheint, als verenge sich sein Blick: Mit kulturpessimistischem Pathos, das Bestandteil staatstragender Verantwortlichkeit geworden ist, schildert er nur noch die eine Entwicklung, die, aus verschiedenen Quellen gespeist, den 'Untergang des Abendlandes' bringen muß. Ursache hierfür sei das neuzeitliche, rationalistisch-naturwissenschaftliche Menschenbild und der Glaube, die Welt sei organisatorisch so einzurichten, daß es dem Menschen möglich werde, sein ureigenstes, im Grunde gutes Wesen auszuleben. Er klagt an: „Der Mensch ist gut, sein Wesen rational und alle seine Leiden sind hygienisch und sozial bekämpfbar, dies einerseits und andererseits die Schöpfung sei der Wissenschaft zugänglich, aus diesen beiden Ideen kam die Auflösung aller alten Bindungen, die Zerstörung der Substanz, die Nivellierung aller Werte, aus ihnen die innere Lage, die jene Athmosphäre schuf, in der wir alle lebten, von der wir alle bis zur Bitterkeit und bis zur Neige tranken: Nihilismus“.

Wie soll nun eine Situation 'nach dem Nihilismus' heraufgeführt werden? Hierbei spielt der Künstler die entscheidende Rolle: Gottfried Benn proklamiert das 'Gesetz der Form': „Ja, die gezüchtete Absolutheit der Form, deren Grade an linearer Reinheit und stilistischer Makellosigkeit allerdings nicht geringer sein dürften als die inhaltlichen früherer Kulturepochen,…“. Durch die Kunst soll das Gesetz des Lebens nach dem Nihilismus geschaffen werden – als ein ästhetisches. Hier finden wir eine Wendung des Bennschen Denkens, von der entschieden werden muß, ob ästhetische Neudefinition `zufällig' auf eine kleinbürgerliche Existenz trifft, oder dieser scheinbare Neuanfang in der Ästhetik eben durch kleinbürgerlichen Machthunger erzwungen wird.

Macht durch Stil

Der Künstler kann und soll nun, jedenfalls nach Benn, positiv gestaltend wirken, nicht an untergeordneter Stelle, sonder als einer, der die für alle verpflichtenden und rettenden Formen schafft, mit denen die 'abendländischen Werte' (was immer er auch darunter verstehen mag) in eine neue Ära gerettet werden. Daß er dies nur mit Macht vermag, als Staatgründer oder mit Staatsgründern 'liierter', liegt nahe. Benn ist während der Machtergreifung und auch schon davor entschlossen, den sich abzeichnenden neuen Staat auf seine Weise mitzubegründen.

Wie sehr er bereit ist, sich staatsschaffend und staatstragend zu engagieren, wird in 'Der neue Staat und die Intellektuellen deutlich. Der Text wurde als Rundfunkrede 1933 gesprochen; Anlaß war ein Brief Klaus Manns aus dem französischen Exil, in dem dieser das einstige Idol Benn nach seinem Einsatz für das neue Regime befragt und ihm vorwirft, eine verbrecherische Politik mitzutragen oder zumindest hinzunehmen. In seiner Antwort rechtfertigt sich Benn, entwirft aber auch ein Bild des Künstlers im Nationalsozialismus. Von diesem heißt es, er solle sich dem totalen Staat total überantworten. Werte und Richtlinien, die außerhalb der historischen Situation stünden, müsse er nicht anerkennen, denn: „… es gab niemals eine Qualität, die außerhalb des Historischen stand“. Der Künstler muß also den Stil seiner Zeit bilden, entsprechend dem 'großen Aufbruch', der 'Wendung vom ökonomischen zum mythischen Kollektiv'. Also kein Gedanke mehr daran, daß es eine überhistorisch verpflichtende Moral oder einen ewigen Kanon von Schönheitswerten geben könnte, durch deren Geltung Kunstwerke auch noch nach tausenden von Jahren von der Größe vergangener Staaten künden. Gerade so wurde vom ihm ja noch in 'Kunst und Staat' argumentiert – der Staat solle den Künstler fördern, weil dieser ihm Form und Ewigkeit gebe. Nun soll der Künstler die Eruption, durch die ein Staat sich neu schöpft, ganz zu seiner ureigenen Sache machen und sich gleichsam in der großen Bewegung verlieren. „Geistesfreiheit, um sie für wen aufzugeben? Antwort: für den Staat“.

Von den Voraussetzungen der künstlerischen Machtergreifung

Bis zu dieser Stellungnahme sieht die Entwicklung des Bennschen Künstlerbildes ungefähr so aus: Der Kunstschaffende und seine Arbeit werden 'materialistisch' analysiert. Im Mittelpunkt stehen: sein Einkommen, seine erbbiologischen Bedingungen, seine gesellschaftliche Stellung mit ihren politischen Wirkungsmöglichkeiten. Während der Weimarer Zeit trug Benn polemisch Aspekte seiner Anschauungen vor und setzte sie bewußt gegen den bürgerlich-idealisierenden, aber auch den moralisch-klassenkämpferischen Kunstbegriff. In den Diskussionen der Republik, in Auseinandersetzungen mit vor allem links orientierten Kunstkritikern und Literaten, scheint er bemüht, durch Diktion wie Inhalt möglichst stark zu brüskieren. Die Provokationsstrategien, die im Umgang mit einem bürgerlichen Lesepublikum entwickelt und verfeinert wurden, wenden sich nun gegen den antibürgerlichen Intellektuellen, wobei Benn die in provokatorischer Rhetorik gewonnenen Stellungnahmen zu einer Weltsicht verdichtet, die ihn schließlich selbst in die Verantwortung nimmt.

Als sich der Umschwung abzeichnet, argumentiert Benn auf zwei Ebenen: einer geschichtstheoretischen, in der der 'evolutionäre Umschwung' eines Volkes, das Entstehen eines neuen Phänotyps, die wesentliche Rolle spielt, und einer pragmatisch-politischen, nach der der Künstler zur Gestaltung des großen Zeitstils im Bund mit den Autoritäten der Zeit verpflichtet sei. Benn glaubt, einer echten Zeitenwende beizuwohnen, den Beginn einer neuen Ära zu erleben; und seine Auffassung vom Künstlertum verpflichtet den einzelnen Kreativen, sich diesem Neuanfang total zur Verfügung zu stellen, damit er die Freiheit bekomme, dem neuen Staat künstlerisch Form und Gestalt zu geben. Am Ende von 'Der neue Staat und die Intellektuellen schreibt er:“ Halte Dich nicht auf mit Widerlegungen und Worten, habe Mangel an Versöhnung, schließe die Tore, baue den Staat!“.

Offenbar hat Benn gehofft, die rhetorisch totale Überantwortung an den NS-Staat, die 'Aufgabe der Geistesfreiheit' für diesen werde ihm einen kreativen Spielraum und eine Sonderstellung retten können. Nur gibt er seine Geistesfreiheit eben ganz und gar nicht auf: Es ist immer noch typisch Bennsches Hantieren mit provokativen Verstatzstücken aus den Diskursen der Weimarer Zeit, das die Bennschen Texte kennzeichnet. In 'Die Eigengesetzlichkeit der Kunst' wird sein Dilemma besonders deutlich. Er hat beim Verfassen dieses Textes schon erste Begegnungen mit Repräsentanten der neuen Zeit hinter sich und weiß nun besser, was er moralisch und intellektuell von diesen erwarten kann. Auch seine Stellung in der Preußischen Akademie hat sich verschlechtert, Benn muß nun klar geworden sein, daß sich die Nationalsozialisten ihren Staat nicht von Künstlern definieren lassen. Gegen die Forderung nach vollkommener Anpassung formuliert er nun „…, daß nicht alles Artismus ist, was sich nicht programmatisch zum Volksliedhaften bekennt, daß nicht alles Intellektualismus ist, was sich nicht an Feiertagen der Nation plastisch verwerten läßt, daß nicht alles destruktiv ist, was sich nicht für die aktuelle Politik als konstruktiv erweist, das heißt, es gibt Bereiche, die sich der Verwirklichung entziehen.“ Die Ambivalenz seiner Position, einerseits dem NS-Gedanken dienen zu wollen, als einem großen Experiment zur Schaffung eines neuen Menschentypus, der geschichtlich tätig sein kann, andererseits für den Künstler gerade wegen seiner Hingabe und Opferbereitschaft Freiheit, ja ehrende Behandlung einzufordern, wird sich immer mehr verschärfen, bis hin zu Benns Schreibverbot im Jahre 1938.

Davor liegen harte Angriffe auf verschiedenen Ebenen, durch die SS-Zeitung 'Das schwarze Korps', aber auch durch einzelne Eiferer, die ihn unter die 'Kunstbolschewisten' rechnen und (lebensgefährlich im 'Dritten Reich') von ihm behaupten, er sei Halbjude. Im Text 'Expressionismus' versucht er noch dem gewandelten Zeitgeist seine künstlerische Herkunft zu vermitteln und schmackhaft zu machen. Die Expressionisten werden zu Vorahnern der völkisch-nationalen Erhebung, von ihnen schreibt er: „Auch die kleinste Gruppe vor der letzten Wende der Welten: lebte der Kunst, das heißt: lebte in Todbereitschaft und lebte aus Deutschlands gläubigem Blut“. Sein Engagement trägt aber keine Früchte; in den letzten Monaten des Jahres 1933, dessen Anfang für ihn so ruhmreich und herrlich ausgesehen hatte, beginnt schon seine endgültige Isolierung. Verunsichert und schwankend zwischen Anbiederung und Selbstmitleid versucht er, mit 'Die Dichtung braucht inneren Spielraum' 1934 nochmals Einfluß zu nehmen. Nachdem er hier gefordert hatte, auch ausländische Literatur müsse gelesen werden können (damit man zur Klarheit über ihren Unwert gelange nämlich), fordert er markig: „Was die Zukunft angeht, so erscheint es mir selbstverständlich, daß kein Buch in Deutschland erscheinen darf, das den neuen Staat verächtlich macht“. Aber schon wenige Zeilen später klagt er ein, die Dichtung brauche, eine „gewisse Experimentierbreite. Man gesteht der Wissenschaft ohne weiteres zu, daß sie in jahrelangen Experimenten Arbeitskräfte und auch öffentliche Mittel verbraucht, auch wenn von vorneherein nicht feststeht, daß ein Resultat dabei herauskommt, ja man übt keine Kritik daran, wenn sich nach Jahren herausstellt, daß gar kein wesentliches Resultat aus den Arbeitsanstrengungen hervorgegangen ist. Dies kann noch mehr die Kunst verlangen“. Immer noch soll also ein Spagat zwischen politischer Zensur und 'innerem Spielraum' bei der formalen Gestaltung geleistet werden.

Auf diesem Stand ist die letzte wirkliche Stellungnahme, bald wird die 'aristokratische Form der Emigration' folgen, der Wiedereintritt in die Armee.

Illusionen über eine NS-Kulturtheorie

Trotz seines Wunsches, die Ideologie des 'Dritten Reiches' mitzutragen und damit mitzubestimmen, ist Benn vollkommen ins Abseits geraten und gescheitert. Seine expressionistische Vergangenheit, aber auch sein Stilwille und sein Bemühen, die nationalsozialistische Kunst als Fortsetzung und Vollendung europäischer Avantgarde zu beschreiben, machen ihn unmöglich. Wenn in der nationalsozialistischen 'Kunsttheorie' (die als geschlossenes Konzept nie bestanden hat) eines klar war, dann, daß man eben mit diesen europäischen Traditionslinien der Avantgarde brechen wollte. Auch Benns beständiger Hinweise auf Marinetti und die Kulturpolitik des faschistischen Italiens ändern daran nichts.

Die größte Gefahr für Benn ist sein eigenes Bemühen um Klahrheit und thesenhafte Verschärfung seiner intellektuellen Position. Denn obwohl er mit Begriffen und Voraussetzungen operiert, deren irrationalen Kern wir heute bei aller scheinbaren Sachlichkeit in ihrer Absurdität sofort erkennen, ist seine Argumentation formal klar und führt zu eindeutigen Stellungnahmen. Anders als andere Opportunisten greift er nicht die Begriffe einer größeren Gruppe um Leute wie Rosenberg `Der Mythus des 20. Jahrhunderts') oder Goebbels auf, um sie zu variieren oder unklar urdeutsch über sie zu bramarbasieren, sondern er entwickelt trotz aller Anpassungsrhetorik eigene Gedanken mit eigenem Stil. Da halfen keine noch so begeisterten Aufrufe zur Aufgabe der Gedankenfreiheit – Benn dachte zu sehr selbst und konnte so der imaginierte Künstlertypus nicht sein, der im neuen Staat seinen Platz gefunden hätte.

Es gelingt ihm also weder, den Expressionismus als Teil der nationalsozialistischen Kunst zu etablieren, noch wird seine eigene künstlerische Laufbahn gesichert, ganz zu schweigen davon, daß er 'mit der stärksten Macht liiert 'sei.

Worauf beruht sein vollkommenes Mißverstehen der Situation? Benn argumentiert, trotz seiner begeisterten antimarxistischen, antidemokratischen und streckenweise rassistischen Rhetorik, als hätte er es immer noch mit dem alten Publikum zu tun. Er rechnet unausgeprochen damit, daß sein künstlerischer Weg als autonomer Ausdruck seiner Persönlichkeit anerkannt wird und seine Versuche, den Weg theoretisch zu reflektieren und zu begründen, ihn glaubwürdig machen. Genauso wie er die NSDAP, deren Programm er scheinbar nie gelesen hat und über deren Politik er verschwommene idealistisch-konservative Ansichten hegte, verheerend falsch einschätzte, so täuschte er sich auch über die neuen Rahmenbedingungen der Kunstreflexion. Nach Verbot von Kunstkritik und freier Presse war für Benn und seine Art der Stellungnahmen schlicht kein Boden mehr vorhanden. Die demokratischen Gesprächsbedingungen der Weimarer Republik, an denen Benn, wenn auch als aggressiver und provokanter Gegenspieler, teilhatte, waren verschwunden. Benns Redeweise war aber von ihnen immer noch mehr imprägniert als er selbst wahrhaben wollte.

Die braunen Machthaber waren jedoch an zwei Dingen vornehmlich interessiert: Volkstümlichkeit der Kunst und Abbruch möglichst vieler Entwicklungslinien der Moderne, wo sie nicht disziplinierend und vereinheitlichend auf die sozialen Strukturen einwirkte. Daß es differenzierte Zwischenpositionen hätte geben können, zeigte das Italien Mussolinis, auf das Benn mit Hoffnung hinwies. In den Gauen seines Heimatlandes sollte allerdings aufgeräumt werden mit der Moderne, und eine Diskussion darüber war nicht vorgesehen. Gefällige Kunst ohne klaren ideologischen Inhalt konnte akzeptiert werden, neben solcher, bei der wegen der politische Botschaft Form und Ausdruck Nebensache waren. Aber ein elitärer Künstler, der experimentierend eine Form des strengen, stilorientierten Deutschtums schaffen wollte, in dem die Entwicklung der europäischen Avantgarde augehoben und weiterentwickelt worden wäre, ein solcher war nicht erwünscht.

Nachdem er sich in den Augen der Weltöffentlichkeit auf schlimmste Weise komprommitiert hatte und (sicher auch mit polemischer Lust) für den neuen Staat Stellung bezogen hatte und gegen die alten sozialistischen und demokratischen Gegner, denen er in Redeweise und Interesse ähnlicher war als er wahrhaben wollte, erkannte er endlich, daß seine Annäherungsversuche von falschen Voraussetzungen ausgingen. Ende 1934 schreibt er an Ina Seidel: „…Das Ganze kommt mit allmählich vor wie eine Schmiere, die fortwährend 'Faust' ankündigt, aber die Besetzung reicht nur für 'Husarenfieber'. Wie groß fing das an, wie dreckig sieht es heute aus. Aber es ist noch lange nicht zu Ende.“

Wie man mit den falschen Leuten über die falschen Sachen redet

Gottfried Benn war nicht der Mann, der sich einer der Hausmächte im organisatorischen Chaos des führungslosen Führerstaates, in dem alle möglichen staatlichen und Parteistrukturen nebeneinander bestanden, angeschlossen hätte. Auf solche Weise hätte er sich vielleicht ungefährlich ein Forum sichern können – er vertraute jedoch auf seine Überzeugungskraft, die sich immer noch stets der falschen Worte bediente.

Neben den schon erwähnten Diskursformen der republikanischen Zeit, die Benn weiter verwendete, schadete ihm aber auch vor allem, daß er einem folgenschweren Irrtum unterlag, der noch in heutigen Stellungnahmen zur NS-Kunst und NS-Kunstpolitik nachwirkt. Er sprach deshalb im falschen Ton zu den falschen Leuten über die falschen Sachen weil er von der Entstehung einer Kunstheorie des nationalsozialistischen Regimes ausging. Eine solche Kunstheorie hat es aber nicht gegeben und konnte es auch gar nicht geben. Das 'Dritte Reich' konnte und durfte keine Kunstkritik (es gab nur einen beschreibenden kurzen 'Kunstbericht'), keine Kunstdogmatik, keine Kunstheorie oder gar Kunstphilosophie entwickeln. Ein Pendant zum (zwar einfältigen aber doch inhaltlich und konzeptionell einigermaßen geschlossen ausformulierten) 'Sozialistischen Realismus', wie es ihn damals in Sowjetrußland gab, existierte nicht. Verschiedene Gründe verhinderten dies: Eine verbindliche Kunsttheorie hätte die Gegensätze zwischen den verschiedenen Lagern im Kunstbereich noch verstärkt und die ohnehin erheblichen Kompetenzstreitigkeiten und Reibungsverluste bis hin zur totalen Blockade des Kunstbetriebes gesteigert. Auch Adolf Hitler entschied letztinstanzlich oft widersprüchlich und wohl nicht im Rahmen einer noch so primitiven theoretischen Konzeption, sondern aus unklaren, persönlichen Motiven heraus. Wären von Parteiseite klare Richtlinien entwickelt worden, hätte man immer wieder Konflikte mit dem 'Führer' riskiert. Die Macht Hitlers konnte sich tatsächlich nur in der Atmosphäre einer gewissen theoretischen und weltanschaulichen Unsicherheit voll umsetzen. Nur unklare Leitbegriffe und emotionale Gemeinsamkeiten schufen hier eine labile Ordnung und Struktur.

Eine Folge der fehlenden theoretischen Auseinandersetzung war ein vollkommen fehlender Stilwille; das Streben nach klaren Formprinzipien, anhand derer eine Gruppe von Künstlern ihren jeweiligen Ausdruck finden kann, wird gänzlich unmöglich. Benn war aber in seiner Sicht der Dinge von den Diskussionen der '-ismen' aller Art, der künstlerischen Selbstdefinition verschiedenster Gruppen, geprägt. Daher übersah er, daß die Kunst des 'Dritten Reiches' den Beifall der Bevölkerung finden sollte und gar nicht in erster Linie den großen Stil des Staates wiedergeben sollte. Aus meiner Sicht ist es daher problematisch, die NS-Kunst anhand der Ideen einer Kunstauffassung untersuchen zu wollen, die in ihr scheinbar zum Ausdruck kommt. Die ausgestellte und staatlich anerkannte Kunst war fast ausschließlich eine Kunst, deren wesentliches Charakteristikum die Beliebtheit beim Publikum war. Bekenntnishafte, ideologische Kunst, in der nationalsozialistische Ideen dargestellt und gefeiert wurden, war eher die Ausnahme.

Gottfried Benn hatte für diesen volkstümlichen Charakter des neuen Staates kein Gespür und argumentierte im Stil eines Intellektuellen der Weimarer Republik an den realen Problemen vorbei. So verkannte er auch die Art des ` nationalen Aufbruchs' völlig. Statt eines spartanischen, formvollendeten, ästhetischen Führerstaates, einer Erziehungsdiktatur als Gesamtkunstwerk, entstand ein sehr lästiger kleinbürgerlicher Überwachungsstaat ohne theoretischen Überbau, in dem die 'Kunstpolitik' nur Wiederschein der Machtpolitik war. Die große Form wurde nicht vom Künstler als Herrn der Geschichte vorgegeben, sondern von Leuten, die, wie Benn zu spät sah, „die Fresse von Cäsaren und das Hirn von Troglodyten“ hatten.

Literaturhinweise

Zu Gottfried Benn

Originaltexte :

Benn, G., Gesammelte Werke in 4 Bänden, hrsg.v. D. Wellershof, Wiesbaden 1958-1961

ders., Der neue Staat und die Intellektuellen, Stuttgart 1933

ders., Kunst und Macht, Stuttgart 1934

Sekundärliteratur:

Ridley, H., Gottfried Benn – Ein Schriftsteller zwischen Erneuerung und Reaktion, Opladen 1990

Schröder, J., Gottfried Benn – Poesie und Sozialiation, Berlin/Köln/Mainz 1978

Speck, R., Gottfried Benn und die Kunst, Köln 1987

Zum `Dritten Reich'

Brenner, H., Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek b. Hamburg 1963

Rave, P.O., Kunstdiktatur im Dritten Reich, Berlin o.J.

Wulf, J. (Hrsg.), Kultur im 3. Reich – 5 Bände, Reinbek b. Hamburg 1963-1966 (Nachdruck bei Ullstein, Berlin)

Über Villhauer Bernd 23 Artikel
Dr. Bernd Villhauer, geb. 1966, studierte Philosophie, Kunstgeschichte undAltertumswissenschaft an verschiedenen Universitäten im In- undAusland. Von 2004-2009 war er Programm-Manager für Theologie undPhilosophie für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) in Darmstadtbevor er zum Mohr Siebeck Verlag nach Tübingen wechselte. Seit 2011 ist er Verlagslektor im Verlag Narr Francke Attempto.

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