„Macht ist überall und kommt von überall.“ (Michel Foucault)

Das englische Wort „power“ steht für Leistung, Kraft, Strom oder Energie. Es kann aber auch Macht und Gewalt bedeuten. „Power“ war das Thema des 4. Prix Pictet, eines Preises für Fotografie und Nachhaltigkeit, der seit dem Jahr 2008 auf Initiative der in Genf gegründeten Privatbank Pictet & Cie zusammen mit der Financial Times geschaffen wurde. Sein Zweck und die damit verbundene Aufgabe: den Einsatz der Fotografie als Medium für die Vermittlung grundlegender Nachhaltigkeitsbotschaften an ein weltweites Publikum. Oder um es mit den Worten von Kofi Annan, seinem Ehrenpräsidenten, zu sagen: „Ich hoffe aufrichtig, dass der Prix Pictet zum besseren Verständnis der Veränderungen in unserer Welt beitragen und das Bewusstsein der Dringlichkeit präventiven Handelns stärken wird.“
Genauso vielfältig, abstrakt und schwer zu greifend wie der englische Begriff, so mannigfaltigund antagonistisch gestalten sich auch die Aufnahmen der Preisträger, deren atem(be)raubende Arbeiten dieses Buch prägen. Allen Fotos wohnt ein unglaublich feines Gespür für die Theatralik und die Vieldeutigkeit des Begriffes „power“ inne, der in der deutschsprachigen Ausgabe mit „Macht“ übersetzt wurde. Ja, sie gehen sogar so weit, dass dem Betrachter unwillkürlich der Begriff „Ohnmacht“ in den Sinn kommt. So zum Beispiel bei einer Aufnahme des ehemaligen Präsidenten von Amerika – Bill Clinton -, der in einem unbeobachteten Augenblick auf dem UN-Klimagipfel in Montreal im Jahre 2005 beinahe ängstlich von seinem Rednerpult aufschaut. Oder der hilflos wirkende Gemeinderat von Yamhill, einer 700 Seelen-Gemeinde in Oregon, mit ihrer höchst destruktiv abgelichteten Bürgermeisterin. Eine völlig andere Seite der Macht oder Energie stellen vollständig verschleierte Frauen, die sich vor einer Hausfassade abseilen, dar. Keine nachgestellte Filmsequenz ist hier zu sehen, sondern sie legen gerade ihre Abschlussprüfung an der Frauenpolizeiakademie in Teheran ab.
Auf 80 Seiten wird der Betrachter durch einen Strudel an Gefühlen und Emotionen gerissen. Einzelne Fotografien hervorzuheben fällt schwer. Allen, doch so unterschiedlichen Preisträgerarbeiten, wohnt eine unglaublich intensive Kraft inne, egal, ob es um Öl- oder Naturkatastrophen, Krieg, Gefängnis oder Ausbeutung geht. Zumeist sind auf gegenüberliegenden Seiten dem Betrachter entgegengesetzte Kontroverse dargestellt. Links der nackte chinesische Minenarbeiter, der auf Knien kriechend, einen Kohlenwagen hinter sich herzieht. Auf der rechten Seite die gewaltige Staubfahne eines Hurrikans in North Dakota, dessen Rüssel alles mitreißt, was auf seinem Weg liegt. Hier das hell erleuchtete Straßenraster des nächtlichen Chicagos, dort die gespenstische Ruine des Kesselhauses der Battersea Power Station, einem ehemaligen Kohlekraftwerk in London. Oder aber die staubverschleierte Straßenszene in Ramadi (Irak) mit dem kaum wahrnehmbaren, zerstörten Wrack eines Panzers, neben einem Wohnmobil in Ungarn, dessen hell erleuchtetes Fenster mit der im Hintergrund riesigen, bröckelnden Mauer kontrastiert.
Diesen verstörenden, schockierenden, eindrucksvollen, beklommenen, bestürzten und/oder nachdenklichen, unglaublich intensiven Bildern kann man sich, einmal aufgeblättert, nicht entziehen. Alle Arbeiten veranschaulichen die mit dem englischen Wort „power“ so knapp und prägnant bezeichnete Macht, Kraft, Leistung und Energie der Fotografie und ganz allgemein gesprochen, auch der Kunst, selbst „unter der Zensur die offiziellen Versionen der Realität zu unterlaufen und bloßzustellen“, wie es der Journalist der Financial Times – Harry Eyres – in seinem Artikel „Das sich wandernde Gesicht der Macht“ so eindrucksvoll schildert.

Fazit: „Macht muss nicht notwendigerweise unterdrücken, einengen und Zwang ausüben; sie ist eine aktive Kraft, die Bedeutung hervorbringt, auch wenn diese Bedeutung laufend infrage gestellt und überprüft werden muss.“ Genau dies erreicht dieses außergewöhnliche Buch, das noch lange nach dem Zuschlagen der letzten Seite nachwirkt.

Stephen Barber, Michael Benson (Hrsg.)
Prix Pictet 04 – Power
teNeues Verlag (Oktober 2012)
132 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3832796797
ISBN-13: 978-3832796792

Preis: 49,90 EUR

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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