Sie gilt als eine seiner Meisterwerke, die „Neunte“. Für die Freiheit war sie geschrieben, die Freiheit wollte sie feiern und auf den Thron heben. Doch Beethovens 9. Symphonie faszinierte später linke und rechte Diktatoren gleichermaßen. Alle nahmen das Recht in Anspruch, sich mit ihrem Freiheitsdenken auf den Bonner Komponisten zu berufen.
Vom Erhabenen zum Lächerlichen ist es nur ein Schritt hatte Gottkaiser Napoleon einst diktiert. Nicht weiter als ein Schritt bleibt auch der von Freiheit in die Tyrannei. Die freiheitlichste Revolution auf dem Kontinent, die Französische, versank kurzerhand im Terrorstaat der Jakobiner und fraß buchstäblich ihre Kinder. Und Napoleon wird später eine Diktatur errichten, die halb Europa in den Krieg stürzt. Die Tränen der Freiheit überzogen buchstäblich das Land mit den Gräueltaten des Imperators. Freiheit und Notwendigkeit traten – wie immer – in der Geschichte auf den Schlachtplätzen Europas tief auseinander, fielen in dunkle Extreme und hinterließen die grausame Blutspur der Macht. Die Geschichte war und ist nichts anderes als der Abenteuerspielplatz dieser Dialektik.
Die Dialektik als Movens
Während Hegel, der in diesem Jahr 250. Geburtstag feiert, diese Dialektik in eine kraftvollere Synthesis überführen will, wo das Wahre eben das Ganze sei, verblasst das Theoreticum der Philosophie immer dann, wenn die blutige Realität sich die Räume erobert. Das musste sich selbst der enttäuschte Hegel eingestehen, dem Freiheit das A und O seines Denkens werden soll, selbst wenn er anfangs Napoleon als die „Weltseele zu Pferde“ verklärte. Doch Hegel sollte, wie Beethoven, ein liberaler Aufklärer bleiben.
Die Interpretationsgeschichte eines der bekanntesten deutschen Symphonien, Beethovens Neunter, hat sich leicht neben Hegels berühmter Dialektik geschrieben und hat statt Harmonie Dissonanzen wie Unkraut hervor treiben lassen. Zerfiel Hegels Philosophie einerseits mit Kierkegaard in den Existentialismus, mit Marx bekanntlich in den fatalen sozialistischen Realismus, der mit Lenin und Stalin die Orgien des Todes feierte, so hat kaum ein anderes Kunstwerk als die 9. Symphonie weit über Beethovens Tod hinaus den deutschen Geist polarisiert. Beethoven starb 1827, krank, taub, vom Leben stigmatisiert, doch ungebrochen blieb sein Pathos für die Freiheit.
Thomas Mann warnte vor der „Neunten“
Hatte Beethoven einst die Neunte Friedrich Wilhelm III. von Preußen gewidmet, in Erwartung, dass sich der zögerliche und zaudernde Regent, der reformwillig, aber nach der Restauration zugleich wieder zum Hardliner wurde, Pressefreiheit und bürgerliche Freiheitsrechte zugunsten des Adels verbrämte, für den Gedanken bürgerlicher Freiheit begeistern möge, forderte später Dichterfürst Thomas Mann sogar in seinem „Doktor Faustus, Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde“, die 9. Sinfonie zurückzunehmen. „Das Gute und Edle“, antwortete er mir, „was man das Menschliche nennt. Um was die Menschen gekämpft, wofür sie Zwingburgen gestürmt, und was die Erfüllten jubelnd verkündigt haben, das soll nicht sein. Es wird zurückgenommen. Ich will es zurücknehmen,“ so der Protagonist Adrian Leverkühn. Doch was trieb den Literaturpreisträger Mann dazu, Beethovens „Neunte“ zurücknehmen zu wollen?
Von links bis rechts
Beethovens 9. Symphonie orchestrierte die Welt, ob von links oder von rechts. Als Hymne der Befreiung aus geistiger Sklaverei, selbstherrlichem Despotentum erwachte sie als musikalisches Manifest der Arbeiterbewegung, trug sie doch wie kaum ein anderes Werk den Emanzipationsgedanken von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wie ein glorreiches Transparent vor sich her. Sie galt für die Lohnarbeiter als Befreiungsschlag gegenüber der Tyrannei eines entfesselten kapitalistischen Unterdrückungssystems.
Ideologisierung durch den Diktator Josef Stalin
Für den sowjetischen Diktator Josef Stalin, der Millionen von Menschen in die GuLags oder auf dem Schafott seiner Ideologien opferte, war sie „die richtige Musik für die Massen“, die „nicht oft genug aufgeführt werden“ könne. Ein geradezu linksradikaler Beethovenkult hatte sich in der Stalin-Ära etabliert, eine Beethoven-Epidemie überschwemmte regelrecht die sozialistische Sowjetrepublik und Beethovens Freiheitsideal wurde von den linken Machthabern instrumentalisiert, so dass vom ursprünglichen Freiheitsgedanken rein nichts mehr übrig bleiben sollte.
Radikalisierte Stalin die „Ode an die Freiheit“ in ihrer Einseitigkeit, so fand auf der anderen Seite geradezu eine nationale Hysterie um Beethoven statt. Die deutschnationale Bewegung entflammte mit ihren Stereotypen für die 9. Symphonie, verdrehte die einstigen Ideale, stellte sie quasi vom Kopf auf die Füße und rechtfertige samt ihrer den grausamen Kampf der NS-Regimes. Freiheit hieß nun bei Alfred Rosenberg und Joseph Goebbels, was die Nazis darunter verstanden Säuberung von unwertem Leben, Volk ohne Raum-Politik und die Auslöschung ganzer Ethnien wie sie im Holocaust spiegelte
Beethovens Vereinnahmung durch die Nazis
Was der Stürmer und Dränger und spätere Klassiker Friedrich Schiller einst in rauschhafter Freude verfasste und Beethoven in Musik verwandelte, entartet im Dritten Reich zur nationalistischen Hybris, zur Titanenmusik von Krieg, Terror und dem zweifelhaften Freiheitsgedanken der Nazis. So verkündigte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels 1942 auf einer Feier der NSDAP zum 53. Geburtstag von Adolf Hitler: „Diesmal sollen die Klänge der heroischsten Titanenmusik, die je einem faustischen deutschen Herzen entströmten, dieses Bekenntnis in eine ernste und weihevolle Höhe erheben.“ Und Goebbels weiter: „Wenn am Ende unserer Feierstunde die Stimmen der Menschen und Instrumente zum großen Schlussakkord der neunten Sinfonie ansetzen, wenn der rauschende Choral der Freude ertönt und ein Gefühl für die Größe und Weite dieser Zeit bis in die letzte deutsche Hütte hineinträgt, wenn seine Hymnen über alle Weiten und Länder erklingen, auf denen deutsche Regimenter auf Wache stehen, dann wollen wir alle, ob Mann, ob Frau, ob Kind, ob Soldat, ob Bauer, ob Arbeiter oder Beamter, zugleich des Ernstes der Stunde bewusst werden und ihm auch das Glück empfinden, Zeuge und Mitgestalter dieser größten geschichtlichen Epoche sein zu dürfen.“
Vielleicht hätte Beethoven, so der denn den Weitblick in die Zukunft gehabt hätte, die „Neunte“ gar nicht geschrieben, weil sie von links und rechts missbraucht wurde? Doch, er hätte sie geschrieben, weil er als überzeugter Idealist auch daran glaubte, dass man doch aus der Geschichte lernen kann und letztendlich die Freiheit über die Tyrannei siegen wird.