Zwei Stühle. Ein Tisch. Ein Mikrophonständer. Ein fossiles Tonbandgerät, von dem unerwarteter WeiseKlang-und Stimmschnipsel aus der deutschen Vergangenheit erklingen. Derart wurdedas Publikum auf die szenische Lesung mit Harry Baer und Axel Pape eingestimmt. Gelesen werden sollte aus dem Drehbuch des Fassbinderfilms „Lola“. Als der Film 1981 in die Kinos kam, galt er als Ereignis. Das Tonband rief mit alten Nachrichten jene Vergangenheit auf den Plan. Es mühte sich. Sonst blieb die Bühne leer. Das ging so einige Minuten und der Kritiker dachte mit Benno Besson: Ein Theater ohne größere Ausstrahlung finde ich nicht gesund. Mit dem Auftritt endlich von Harry Baer und Axel Pape, flohen alle Bedenken hinweg. Das Stück gibt die lebhafte ewige alte Mähr von Gleichgültigkeit und Geld. Daraus machte Wedekind schon „Lolas“ Seelenverwandte „Lulu“.
Auch „Lola“, von den Autoren des Drehbuchs – Peter Mertesheimer und Pea Fröhlich – in eine bayerische Kleinstadt verortet, wird vom sündigen Sinnenreigen der Herren der Stadt als Edelnutte gleichermaßen hofiert wie missbraucht.Sowas gab es sogar in echtund zwar in den 1980er in Berlin (West). Da besaß der bekannte Abgeordnete L.eine eigene Suite in einem Puff auf der Kurfürstenstraße. Ein brisantes Stück also – aber zu lange her? Der Skandal um jenen französischen Politiker und dem afrikanischen Zimmermädchen liegt erst wenige Jahre zurück; vor allem aber geht es um den dargebotenen Abend mit zwei ganz hervorragenden Schauspielern, die es nicht nur mit Bravour verstanden, einem den schändenden Figurenreigen um Lola plastisch vor Augen zu führen.
Beide Schauspieler präsentierten den Inhalt darüber hinaus als Gespann im Widerstreit, was in Eigenregie entstand und also nicht zum Drehbuch gehörte. Genau damit aber fügten sie neben der Ebene des Stoffs und der Ebene seiner Vergangenheit die dritte Ebene ein, nämlich der kritischen Gegenwart. Das ist auch eine einnehmende Art Mauern einzureißen, um weiter zu können. Und in dieser Richtung ging es denn auch aufs Feinste weiter.Beide gruppierten unerbittlich dieeinzelnen Szenen in kleinere und größere aber stets greifbare Bilder. Weder kam ein Abservieren der Handlung auf, noch war es das bloße Nachbauen einer handfesten Geschichte.Vielmehr erlebte das Publikum eine einzigartige Wirkung, die auf überzeugende Weise allein von den beiden beteiligten Schauspielern ausging.
Harry Baer brillierte [zudem] mit spannenden Anekdoten aus seiner Zeit als Akteur in Fassbinders Drehstab. Zu diesem gehörte weiland auch der heutige Weltstar Armin Müller-Stahl, für den es immerhin die erste Rolle nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik war. Auf die Frage nach dem Geheimnis guter Schauspielerei, sagte Müller-Stahl einmal, es wären die Pausen. Dieser Anforderung nun zeigte sich Axel Pape vollkommen gewachsen. Als kongenialer Part beeindruckte er zudem mit einem wohl eher selten gewordenen Facettenreichtum. Zwar ist auch dasStück „Lola“nach dem Leben geschrieben, keine Frage, da geht es um die ganz reale, keine Leichen scheuende Gier nach dem immer süßen Leben. Dagegen ist die Aufgabe der Sprache eines Stücks wie seiner Schauspieler der „Triumph über die Realität“. Und genau das ist Harry Baer und Axel Pape mit ihrer wunderbaren szenischen Lesung in der „Bar jeder Vernunft“ auf das Vortrefflichste gelungen.
Weitere Termine unter www.lola-lesung.de
10 Fragen an Harry Baer und Axel Pape anlässlich des gemeinsamen Programms einer szenischen Lesung desDrehbuchs des erfolgreichen Fassbinder-Films „Lola“.
1. Welche Spuren hat Fassbinder für Sie beide als Anreger und Sinngeber hinterlassen?
Axel Pape:
Z.B. Katzelmacher, Händler der vier Jahreszeiten, Acht Stunden sind kein Tag und Lola. Ich glaube, dass haben wir als Jugendliche instinktiv verstanden. Damit hat Fassbinder bei uns wahrscheinlich mehr erreicht als bei manchem Filmkritiker – und Jugenderinnerungen bleiben natürlich…
Harry Baer:
Er hat mein Leben total verändert, sonst wär ich heute pensionierter Lehrer in Dingolfing.
2. Könnte man sagen, dass Sie mit Ihrer Lola-Lesungauch eine Chance sehen,beim jungen Publikumgerade ein neues Verständnis für Fassbinder anzukurbeln?
Axel Pape:
Wenn man nach den Publikumsreaktionen geht, ja. Ein junges Mädchen hat gesagt: Sie habe von Fassbinder keine Ahnung und sie fände „so was (Lesungen) eigentlich langweilig, aber das (unser Abend) war voll gut, echt klasse“.
Harry Baer:
Das Verständnis für die immer gleich bleibenden Probleme ist die Chance und Humor natürlich.
3. Gab es für Fassbinder – und auch für Sie – eine womöglich auch nur fiktive – Zielgruppe – etwa eine assoziative Öffentlichkeit?Oder geht von Fassbinder noch eine andere Linie aus, die sich bis heute fortsetzt?
Axel Pape:
Ich weiß nicht, wie es bei Fassbinder war, aber ich würde als Zielgruppe niemand ausschließen. Unser Premieren-Publikum war ja ein guter Querschnitt und ist sehr gut mitgegangen. Die verbindende Linie ist wahrscheinlich eine gute Geschichte und sich zu bemühen, sie gut zu erzählen.
Harry Baer:
Fassbinder hat Filmgeschichte geschrieben, ohne an Zielgruppen zu denken.
4. Unter anderem offenbart ihr Programm, wie sehr Fassbinder seinen Schauspielern auchdie Freiheit ließ,eigene Ideen umzusetzen, in die Figur einzubringen, unter anderemanhand einiger bezaubernden Anekdoten um den Schauspieler Mario Adorf, der den zu Geld gekommenen Proll Schuckert quasi noch einmal selber erschaffen hat. Ist das eine gewisse Ausgleichsbewegung zwischenRegie und Schauspieler gewesen?
Harry Baer:
Ja,nicht nur bei Mario Adorf, das war allen die Ausgleichsbewegung.
Axel Pape:
Und Fassbinder hat wahrscheinlich ein gutes Händchen für seine Besetzungen gehabt…
5. Könnte man sagen, dass für alle Beteiligten der Filme Fassbinders diese Zeit nicht ohne die Beobachtung aktueller politischer Konflikte verlaufen ist?
Axel Pape:
Ich glaube, dass die Menschen politische oder gesellschaftliche Konflikte zwangsläufig beobachten, weil sie schwer zu übersehen sind, in jeder Epoche.
Harry Baer:
Natürlich nicht.
6. Der Film „Lola“ kam im Jahr 1981 ins deutsche Kino. Die Jahre 1980/81 selbst waren dominiert vom Afghanistan-Konflikt, von der Teheran-Kontroverse und der aufgrund der geplanten Stationierungder Mittelstreckenraketen erstarkten Friedensbewegung. Der Film aber versetzte das Publikum in das Jahr 1957, in eine bayerische Kleinstadt, in der eine Hand die andere wäscht, wogegen fatalerweise am Ende kein Kraut gewachsen ist. Er führt also an die Wurzeln zurück und rührt kräftig an neu-tradierte Gründungsmythen. Hat Sie beide da am Ende eine gemeinsameGrundeinstellung zusammengeführt? Wie haben Sie sich kennengelernt?
Axel Pape und Harry Baer
Ich denke, da sind wir nicht die einzigen, die sehen, dass bestimmte Strukturen damals wie heute vorkommen. Wenn sie heute Bauskandal im Netz eingeben, finden sie die gleichen Szenarien wie damals bei Lola: Geld, Gier, Korruption und Girls… Also, diese gemeinsame Beobachtung teilen wir wahrscheinlich mit vielen.
7. Lieber Herr Baer, wie ist Ihre Zusammenarbeit mit Fassbinder zustande gekommen?
Harry Baer:
Ich kam 1969 als Schulbandschlagzeuger zum antiteater und daraus sind vierzehn Jahre Filme machen geworden.
8. Was hatte Fassbinder die Freiheit für die Umsetzung seiner Filme gegeben? Hat er am Ende nie mit der Bundesrepublik als ernst zu nehmendes demokratisches Land gerechnet? In den Figuren und im Milieu war dieses Land ja drin. Oder wie viel Bundesrepublik war tatsächlich in seinem Filmen?
Harry Baer:
An Wiedervereinigung war zu dem Zeitpunkt nicht zu denken. Wir konnten nur über die Bundesrepublik denken und schreiben.
Axel Pape:
Das war für uns ja das spannende, unser Land durch eine neue Brille zu sehen.
9. Außerhalb von Fassbinder gab es ja viel Bestätigungs-Kino einer sich nolens volens heilenden Welt. Würden Sie beide – oder jeder für sich -sagen, dass es eine besondere Qualität Fassbinders war, unter ganz eigenen Bedingungen eine eigene – vielmehr die wirkliche Wirklichkeit spiegelnde – Filmsprache hervorgebracht zu haben?
Harry Baer:
Ja. Die besten Beispiele sind Katzelmacher und die darauf folgenden Filme.
Axel Pape:
Klar. Da wurden Wahrheiten versucht zu treffen, die in anderen Filmen nicht vorkamen.
Aber dabei war es immer auch menschlich und sogar humorvoll.
10. Hat es vorher Vergleichbares gegeben?
Harry Baer:
Nein.
Axel Pape:
Nein.
Ich danke Ihnen für das Interview.
Kommentar hinterlassen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.