Eigentlich sollte das ganze Nationaltheater laut loslachen, als sich der Vorhang zur zweiten Neuinszenierung der Saison 2014/15, zu Giacomo Puccinis „Manon Lescaut“, hob. Da schickte Skandal-Regisseur Hans Neuenfels eine Reihe überdicker rothaariger unisexual Wesen auf die Bühne, die neckisch von der Liebe singen, unter der Fuchtel des leptosomen Gesangslehrers Edmondo alias Dean Power. Von einer Liebe, die für sie, die grotesken Chor-/Statisterie-Gestalten, unerfüllt geblieben ist. Es lacht aber keiner im Publikum. Denn jeder hat zu tun, um das Gesehene zu deuten. Im Lauf des Abends gibt Neuenfels, der wieder einmal seine Ironie-Tage gehabt hatte, als man ihn nach München holte, um hier seinen ersten Puccini in Szene zu setzen, noch mehr zu denken, zu tüfteln und zu deuteln, angefangen bei den grauen „Mäusen“ bis hin zu einer scheinheiligen Äbte-Riege. Eingespannt in diesen Rätselabend sind Stefan Mayer, der das schwärzeste aller Bühnen-Dekors eiskalt neongasig von Designer Stefan Bolliger umrahmen und ausleuchten lässt und Andrea Schmidt-Futterer, die als Kostümdesignerin viel Kunst- und nur schwarzen Stoff zurSchneiderei gab – denn außer den Rotschöpfen der Liebeshungrigen durfte sie kein Fetzchen Buntes verarbeiten. Ist ja auch eine tiefschwarze Angelegenheit, diese Oper. Eine Heldin, die dem Luxus verfiel, Pech hat mit einem stinkreichen alten Galan, ihr Glück mit einem feschen, leicht entzündbaren, aber armen Studiosus sucht, fliehen muss, geschändet wird und schließlich in der Ödnis Amerikas nach Deportation das Leben aushaucht.
Dass die Darstellung dieser zuerst verwöhnten, dann aber zur abgetakelten, maroden Zerrissenen verdammten Titelfigur bei Superstar Anna Netrebko auf Widerstand stieß, ist spätestens im kurzen Schlussakt klar. Zwei Wochen vor der Premiere warf die Netrebko hin, weil sie Neuenfels` Galanterie-Theorien nicht folgen konnte. Kristine Opolais schlug da die Münchner „Manon“-Stunde, nachdem sie – über die Kinoleinwand war es weltweit zu erleben – schon sommers in London in dieser Rolle glänzte, zusammen mit Traumpartner Jonas Kaufmann. Beide sparten sie im Nationaltheater nicht mit heißer Liebesglut, sangen, erst im 4. Akt wie aus einer Kehle, mit Kraft und Saft und viel Überschuss, bis die völlig derangierte Manon vollkommen fertig war und ihren ihr völlig verfallenen Des Grieux im Stich und im Leben zurück ließ.
Am Pult des rüde spielenden Bayerischen Staatsorchesters stand erstmals der sichtlich ehrgeizige Franzose Alain Altinoglu. Er war durchglüht von Puccinis aufpeitschend-dramatischer Leitmotivik, forderte den Holzbläsern für Manon, den Streichern für Des Grieux alles ab, was die auf Abbé Prevost fußende Schmonzette hergab, war aber viel zu nervig und überforderte selbst sein eigenes disziplinäres Kontingent. Das mit Spannung erwartete, vielsagende, zu Herzen gehende Intermezzo, das den 3. Akt einleitet, gelang dann doch zu überdreht und gab wenig von dem Feingespinst musikalischer Raffinesse frei, dem sich der „Manon Lescaut“-Liebhaber so gerne genussvoll hingibt.
Bewundernswert: der wandelbare Staatsopernchor unter Sören Eckhoff, der all die bissigen Neuenfels-Sperenzchen mitmachte und sich professionell wie gewohnt in die sich etwas dahinschleppende Liebes-Akrobatik einbrachte. Puccinis dritte Oper vom ausgehenden 19. Jahrhundert – in München seit Humokis nicht unbedingt geliebten Versuch vor 12 Jahren wieder mal fällig gewesen – lebte diesmal von der kaum unschlagbaren Intensität des Protagonisten-Paars Opolais/Kaufmann, brachte einen beachtlichen Bariton ins böse Spiel, Markus Eiche als durchtriebenen Lescaut, ließ einige Ensemble-Mitglieder in Winzig-Rollen Großes bieten: Ulrich Reß als Tanzmeister, Okka von der Damerau als Musikus, nicht zu vergessen den Recken Roland Bracht als widerlichen Geronte.
Trost für die, die keine Tickets mehr bekommen für die nächsten Aufführungen am 19., 24., 27. und 30. 11. sowie am 4. und 7. 12., warte bis zur Gratis-Vorstellung „Oper für alle“ am letzten Juli-Tag des nächsten Jahres.
Applaus für Kristine Opolais (Manon), Jonas Kaufmann (Des Grieux) und den Chor der BSO. Foto: Hans Gärtner
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