„Er tanzte nicht gern. Er spielte nicht gern. Er trank nicht einmal gern. Eifersucht war seine einzige Leidenschaft. Er freute sich an ihr, er lebte von ihr.“ Joseph Roth schrieb diese Worte in seiner großartigen „Geschichte von der 1002. Nacht“. Liebe und Eifersucht, ein altes Menschheitsthema, der Stoff, aus dem Dramen und Tragödien gestrickt sind. Dieses stechende Gefühl irgendwo zwischen Herz und Magengegend hat wohl jedes Paar bereits einmal erlebt. Manche weniger, andere mehr. Sie kann zerstörend, ja krankhaft sein, eine kleine Prise von ihr der Beziehung allerdings auch Würze geben. Doch was, wenn die Eifersucht zur Obsession wird? Wie schon 2010 in seinem mit dem wichtigsten britischen Preis für Literatur, dem Booker-Preis, ausgezeichneten Roman „Die Finkler-Frage“zeigt sich der 1942 in Manchester geborene Howard Jacobson auch in seinem neuen Roman als Meister darin, die Obsessionen unserer Zeit ins Visier zu nehmen. Entstanden ist ein beeindruckendes, wenn auch zuweilen verstörendes Buch über das gefährliche, amouröse Spiel seines Protagonisten und Ich-Erzählers Felix Quinn, eines äußerst belesenen Besitzers einer antiquarischen Buchhandlung im vornehmen Londoner Stadtteil Marylebone. Er lebt mit seiner Frau Marisa zusammen, eine Frau, die für ihn Sokrates und Salome zugleich ist, in ihm also alle Leidenschaften weckt, geistige wie körperliche. Aber seiner Liebe zu ihr und seinem extrem ausgeprägten Masochismus fehlt noch das Zentrum, das Mittel, exquisit zu leiden: die Eifersucht. „Man liebte, um zu verlieren, und je mehr man liebte, umso mehr verlor man. Angst und Eifersucht waren keine Spaltprodukte der Liebe, sie waren die Liebe an sich.“ So setzt er alles daran, diese Eifersucht in sein Leben zu holen.
In seinem selbstinszenierten Prozess der Vollendung hin zu einem Besessenen läuft ihm der gut aussehende Mittdreißiger Marius über den Weg. In ihm erkennt er das pornographische Komplement seiner noch ausgegorenen Gelüste, „von ihm schien ein kaltes Feuer auszugehen, wie Funken von einer Wunderkerze. (…) Es war aufregend, in seiner Nähe zu sein, irgendwie gefährlich, als wäre der Tod, von dem er sprach, ein Größe, über die er Macht besaß“. Er plant, arrangiert und setzt Marius als Figur in eine obszönen Fiktion, die er nach dem Muster sämtlicher pikanter Romane, die er gelesen hatte, entwirft: „von der Schönheit der Abstraktion hin zur Hässlichkeit der Tat.“ Es kommt, wie Felix es bis ins Detail geplant hat, die Menage a trois beginnt, Marius und Marisa werden ein Liebespaar und Felix Quinn der (geistige) Voyeur der Erlebnisse seiner Frau. Aber ob Felix, der Glückliche, dessen Name natürlich ironisches Programm ist, damit nun tatsächlich sein Glück gefunden hat?
„Liebesdienst“ ist nicht im konventionellen Sinne eine Familiengeschichte und genauso wenig eine klassische Liebesgeschichte, obwohl es wiederum genau als solche durchgeht. Wenn überhaupt, dann ist es eine Antifamiliengeschichte, in dem der Ich-Erzähler als Beispiel dafür dient, „wie sich ein Mann vom evolutionären Imperativ befreien kann.“ Howard Jacobson, der manchen nicht zu Unrecht als bedeutendster Schriftsteller Großbritanniens gilt, hat einen technisch brillanten Roman vorgelegt, der über weite Teile seine Handlung in einer kunstfertigen Schwebe zwischen Illusion und Wirklichkeit hält, sich durch seine ungeheure Musikalität der Sprache, kraftvolle Charakterisierungen und unglaubliche Scharfsinnigkeit auszeichnet. Das zuweilen schockierende, streitlustige, unverschämte, aber auch durch die Überzeichnung seiner Charaktere witzige und auf jeden Fall intellektuell stimulierende Buch offenbart eine imaginative Kraftentfaltung des Begehrens und der Zerstörung in einem Menschen und gibt durch die ungeschönte „Lichtdurchlässigkeit des Fleisches, den Blick auf die bibbernde Nacktheit unserer Seele“ frei. Gespickt mit unzähligen Verweisen auf literarische Analogien von Joyce, Klossowski, Dickens, Dostojewski, Tolstoi, Bukowski oder D. H. Lawrence spinnt er den Leser ganz allmählich in ein dichtgewobenes Netz aus scharfsinnigen psychologischen Beobachtungen ein, die er mit höchst unterhaltsamen Aphorismen zu Ehe, Liebe, Leidenschaft und Kunst garniert, bis Felix' Ansinnen gar nicht mehr so abwegig erscheint.
Fazit: „Liebesdienst“ von Howard Jacobson erweist sich als Buch, das Grenzen überschreitet und virtuos und gekonnt auf dem schmalen Streifen jenes Territoriums zwischen Sakrament und Schund wandelt und mit der versöhnlichen Quintessenz aufwartet: Die Liebe mag kompliziert, komisch, grausam, abartig sein, doch können und wollen wir von ihr nicht lassen – ebenso wenig wie von diesem überaus amüsanten, zugleich tiefgründigen und vor allem auch spannenden Roman, der hervorragend und kongenial von Thomas Stegers ins Deutsche übertragen wurden.
Ich bin die Wunde, bin der Stahl,
Ich bin der Streich und bin die Wange,
Ich bin das Glied und bin die Zange,
Und bin der Quäler und die Qual
(Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen)
Howard Jacobson
Liebesdienst
Aus dem Englischen von Thomas Stegers
Titel der Originalausgabe: The Act of Love
DVA (November 2012)
390 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3421044066
ISBN-13: 978-3421044068
Preis: 22,99 EURO
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