Leserbrief zu: „Wie Berlin auf Erdogan reagiert“

Wer historische Vergleiche sucht, wird sie finden: In der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1934 veranstaltete die SS die „Nacht der langen Messer“, mit der die SA-Führung unter Ernst Röhm (1887-1934), die zu mächtig geworden war, ausgelöscht wurde. Dass Ernst Röhm Duzfreund Adolf Hitlers war, nutzte ihm nichts: Er und seine SA-Kameraden wurden noch in der Nacht im Gefängnis München-Stadelheim erschossen! In den Tagen danach wurden, nach vorbereiteten Listen, an die 200 Leute umgebracht, die Adolf Hitler hätten gefährlich werden können, unter ihnen auch General Kurt von Schleicher (1882-1934), der der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik gewesen war.

Die Affinitäten des „Röhm-Putsches“ zum Vorgehen des mächtigen Sultans Erdogan zur Ausschaltung seiner Gegner sind unübersehbar. Er hat über 10 000 Türken verhaften lassen, manche nur, weil sie ihm widersprochen haben, was in einer Demokratie straflos möglich sein sollte. Was er mit ihnen vorhat, ist unbekannt. Ich traue ihm zu, dass er die Todesstrafe, die er erneut einführen will, bedenkenlos rückwirkend anwendet, weil das „Volk“ es so will!

Und in Brüssel zögert man immer noch, die Verhandlungen über den EU-Beitritt abzubrechen. Jean-Claude Juncker, der Präsident der „Europäischen Kommission“, verhält sich hier wie die beiden Beschwichtigungspolitiker Neville Chamberlain und Edouard Daladier, die 1938 auf den Obersalzberg bei Berchtesgaden reisten, um Adolf Hitler zu huldigen. Wenige Wochen danach, am 15. März 1939, marschierte er in der Rest-Tschechoslowakei ein.

Gestehen wir es uns doch endlich ein: Erdogan ist ein Faschist, gegen den eine bedeutend härtere Gangart einzuschlagen ist! Dass er demokratisch gewählt wurde vom „Volk“, tut nichts zu Sache. Auch Adolf Hitler ist am 6. November 1932 und am 5. März 1933 „demokratisch gewählt“ worden und hat dann die Demokratie abgeschafft und eine blutige Diktatur errichtet!

Über Jörg Bernhard Bilke 263 Artikel
Dr. Jörg Bernhard Bilke, geboren 1937, studierte u.a. Klassische Philologie, Gemanistik und Geschichte in Berlin und wurde über das Frühwerk von Anna Seghers promoviert. Er war Kulturredakteur der Tageszeitung "Die Welt" und später Chefredakteur der Kulturpolitischen Korrespondenz in der Stiftung ostdeutscher Kulturrat.

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