Lesen in der Ökologie des Menschen Zweiter Teil des Symposiums der Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. – Stiftung

Beim zweitägigen Symposium der Joseph Ratzinger – Papst Benedikt XVI. – Stiftung in Berlin(ZENIT berichtete), hat der Paderborner Philosoph Berthold Wald an eine derzeit wieder hoch aktuelle Äußerung von Papst Emeritus Benedikt XVI. zur Multikulturalität erinnert. Kardinal Joseph Ratzinger habe wenige Monate vor seiner Wahl in Berlin gesagt, dass Multikulturalität das Abendland in seiner absoluten Profanität zu sich selbst zurückrufe. Der nun emeritierte Papst erkannte damals die moderne Situation des Glaubens in Europa als Sonderweg im weltweiten Vergleich. Wald nahm die Regensburger Rede zum Anlass, über die Rolle der säkularen Vernunft, des christlichen Glaubens und von Interkulturalität im globalen Diskurs nachzudenken. Der Philosoph stellte zunächst fest, dass Multikulturalität nicht selbst eine Kultur sei, denn Vielheit könne nicht etwas Eigenes sein. Vielmehr setze Interkulturalität eine jeweilige kulturelle Identität voraus.
Der Staat verhalte sich neutral, aber nicht gleichgültig. Benedikt XVI. habe in seiner Vorlesung von Regensburg aufgezeigt, dass mittels der säkularen Rationalität nicht auf die Grundfragen des Menschseins zugegriffen werden könne, was einen elementaren Mangel bedeute. Der emeritierte Papst habe zur Debatte nicht nur über die Pathologie der islamistischen Gewalt, sondern auch über die der westlichen Hybris aufgerufen. Demzufolge eröffne die Multikulturalität erst die Möglichkeit, neu zu lernen. In der Regensburger Rede verbanden sich notwendige Kritik mit begründeter Hoffnung, durch die Selbstüberschreitung jenseits kultureller und religiöser Grenzen über diese Fragen nachzudenken, da die Grundbedürfnisse aller Menschen, auch und gerade in der Sehnsucht nach Wahrheit, identisch seien.
Die Münchner Islamwissenschaftlerin Rocio Daga-Portillo sprach über die Sprengkraft der Regensburger Rede des emeritierten Papstes vom 12. September 2006 aus Sicht der Muslime. Die in Spanien, Ägypten und den USA ausgebildete Expertin war über die Reaktionen in der islamischen Welt auf die Vorlesung nicht überrascht, betonte in ihrem Vortrag aber den Mut des emeritierten Papstes, das Thema der Gewalt angesprochen zu haben. Durch die Erfahrung des Kolonialismus wurde die Person Mohammeds zum Identitätsmerkmal und damit gilt seitdem: „Beleidigung Mohammeds bedeutet Beleidigung der Muslime und der Gemeinschaft, der Umma.“ Die Wunde des Kolonialismus könne nur durch Vergebung und gegenseitigen Respekt geheilt werden. Gleichzeitig empfahl die Spanierin eine kritische Auseinandersetzung der Muslime mit ihrer eigenen Geschichte auf wissenschaftlicher Ebene.
In den klassischen Scharia-Rechtsbüchern, entwickelt nach dem Tod des Religionsstifters im 7. Jahrhundert bis zum 10. Jahrhundert, gilt die Beleidigung Mohammeds nicht als die Beleidigung durch ein Individuum. Am Anfang der islamischen Geschichte wurde die„Verleugnung seiner Prophetie“ als gemeinschaftliche Rebellion gegen die Herrschaft verstanden. Die älteste ausführliche Quelle über das Vergehen der Beleidigung des Propheten der Muslime stammt aus dem 14. Jahrhundert. Gemäß dem modernen Blasphemie-Gesetz wird die Beleidigung Mohammeds wieder als Rebellion bestraft, obwohl sie als Beleidigung eines Individuums gegen die Person des Propheten gesehen wird. Das Buch über den Jihad in den klassischen Scharia-Rechtsbüchern ziele darauf ab, für die Armee zu rekrutieren und diese zu organisieren. Herrschaft war religiös legitimiert und die Religion hatte die Funktion einer Staatsbürgerschaft; Angehörige anderer Religionen zählten demnach nicht als vollwertige Bürger.
In seiner Rede am 22. September 2011 vor dem Deutschen Bundestag wählte Papst Benedikt XVI. aus seinen „großen Anliegen“ aus, zeigte sich die Professorin für Römisches Recht Nadja El Beheiri überzeugt. Es sei ihm nicht nur um das Verhältnis von Glaube und Vernunft, sondern vor allem auch um Kritik an der positivistischen Wissenschaftstheorie gegangen. Schon lange vor seiner Apostolischen Reise nach Berlin habe sich Benedikt XVI./Joseph Ratzinger mit den Thesen von Hans Kelsen, dem „Meister des Positivismus“ auseinandergesetzt, da ihn die Wahrheitsfrage schon früh zentral beschäftigte. „Zeugnis für die Wahrheit geben bedeutet, von Gott, der schöpferischen Vernunft, her die Schöpfung lesbar und ihre Wahrheit so zugänglich zu machen, dass sie Maßstab und wegweisendes Kriterium in der Welt des Menschen sein kann“, zitierte El Beheiri ihn aus seinem Jesus-Buch. Für ihn könne die objektive Vernunft, die sich in der Natur zeige, ein Weg zur Erkenntnis des Schöpfers sein.
Ähnlich verhält es sich mit der Entscheidung aus naturrechtlicher Perspektive, derzufolge diese im Wege der Evidenz gefunden wird. Naturrecht stehe für ein schauendes Erfassen der Wirklichkeit, der Weisungen der Schöpfung. „Die Bedeutung, die einer grundlegenden Evidenz bei der Entscheidungsfindung zukommt, gehört zu jenen Punkten, bei denen sich die Erkenntnisse des Theologen Ratzinger und des Juristen Waldstein harmonisch ineinander fügen“, sagte die in Budapest lehrende Professorin. Wolfgang Waldstein ist der Salzburger Professor für Römisches Recht, den der Papst in seiner Naturrechtsrede so ausführlich wie keinen Zweiten zitierte. Daraus zieht El Beheiri den naheliegenden Schluss, der Papst habe sich nach langen Überlegungen ein Naturrecht zu eigen gemacht, das in der griechisch-römischen Antike begonnen und bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für die Rechtsentwicklung in Europa bestimmend gewesen ist. Mit Blick auf seine Geschichte ist das Naturrecht grundsätzlich nicht an den christlichen Glauben gebunden, sondern an eine „um stete Reinigung bemühte Vernunft“.
Der Philosoph Martin Rhonheimer von der Päpstlichen Universität Santa Croce konzentrierte sich ebenfalls auf die Naturrechtsrede Benedikts XVI., die die Frage ins Zentrum stellte, wie Recht von Unrecht unterschieden werden könne. Der emeritierte Papst habe mit seinen Ausführungen vor dem Deutschen Bundestag keine Demokratiekritik üben wollen. Seine Ansprache sei vielmehr rechtsethisch zu verstehen gewesen. Das Naturrecht sei ein Maßstab für geltendes Recht, um erkennen zu können, ob es sich wirklich um Recht oder nicht doch materiell um Unrecht handele. Die Frage stelle sich, wer das Naturrecht interpretiere. Wenn kein Konsens zustande komme, könne die Auslegung ja nicht Freipass für Anarchie sein. Die Kirche könne heute nicht mehr oberster Verfassungsrichter einerRespublica christianasein. Mit seiner Feststellung, dass es wahre und richtige Maßstäbe für Recht gibt, habe Benedikt XVI. die positivistische Hintergrundkultur kritisiert. „Dadurch kann Demokratie nur gewinnen“, wertete der in Zürich geborene Rhonheimer. Ihm sei es darum gegangen, auf die Stimme der natürlichen Vernunft zu hören. Auch der liberale Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek sei davon überzeugt gewesen, dass bestimmte Verantwortungsbereiche einer Mehrheitsregierung entzogen sein sollten.
Ausgehend von der in der Papst-Rede vom 22. September 2011 erwähnte Ökologie des Menschen sprach die Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz über die „Ökologie der Geschlechtlichkeit“. Exemplarisch schilderte die Professorin wie sich Utopien fließender Identität im Sinne eines totalen Selbstentwurfs zunehmend durchsetzen, anhand einer transsexuellen Frau, die biologisch Vater wurde. Samen, der von ihr vor der Geschlechtsumwandlung eingelagert wurde, half bei der Erfüllung des Kinderwunsches, bei dem eine Leihmutter half. Gender nauting, Navigieren zwischen den Geschlechtern ersetzt dabei die Dualität von Mann und Frau als biologische Gegebenheit.
Den Körper durch den Begriff Cyborg, also Cyber Organismus, zu ersetzen, schlug schon die amerikanische Feministin Donna Haraway vor: Der Körper ist dabei nicht mehr eine materielle Gegebenheit. Vielmehr muss man von ständigen Prozessen ausgehen, in dem der Körper auch keine rein kulturelle Schöpfung darstellt. Gerl-Falkovitz sprach von einer Pflicht zur fortlaufend zu inszenierenden Identität: „Diese Vision kennzeichnet eine Zerstörung, zumindest die Vernachlässigung eines umfassenden Leibbegriffs.“ Die Genderforschung sieht sie „weithin im Bann der Leibferne und Körper-Dekonstruktion“.Den Grund dafür sei,dass leicht aus dem Sein ein Sollen geschlossen werden kann. Daherbezeichnetsie[…]Judith Butlers Überlegungen in „Gender Trouble“ von 1991alseine „erneute Variante der extremen Bewußtseinsphilosophie“, sowie als einen „Radikal-Konstruktivismus“, eine Vorstellung, in der die Faktizität des Körpers vom Einzelnen bestimmt wird. Dieser setzt Gerl-Falkovitz die Sprache des Leibes entgegen. „Das Geheimnisvolle, dass nur Frau und Mann ein Fleisch werden und dabei neues Leben im Fleisch hervorbringen, ist das Phänomen, um das es geht.“ Diese Tatsache verweise darauf, dass Gott selbst Beziehung, ja Liebe sei. Als Konsequenzrät sie zueiner umfassenden Erziehung zur Geschlechtlichkeit[…].

Quelle: www.zenit.org

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