Leo Leonhard im Kulturbahnhof Eller in Düsseldorf

Leo Leonhard beim Drucken

Derzeit werden wir auch in Düsseldorf Zeugen der Wiederentdeckung eines großen Künstlers. Mit dem Nachlass von Leo Leonhard, der nun von seinem Sohn – dem international bekannten Londoner Geigenrestaurator und Geigenbauer Florian Leonhard – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, tritt das Werk eines lange Vergessenen, Unentdeckten ans Licht der Öffentlichkeit. Ein fertiges, vollendetes Werk, das Sammlerinnen, Sammler und Kunstliebhaber begeistern wird: ein phantastisches Werk aus Zeichnung, Grafik und zum Teil sehr großformatiger Malerei, das jahrelang in einem Atelier in Bickenbach bei Darmstadt in einer Art Dornröschenschlaf auf seine Wiederentdeckung wartete. Aber wer ist Leo Leonhard?

Der 1939 in Leipzig geborene Künstler Leo Leonhard ist einer jener seltenen Kunstschaffenden, dessen Werk im Bereich der Grafik und der Malerei gleichermaßen bedeutend ist. Aufgewachsen in Ostdeutschland, flüchtete die Familie 1952 über West-Berlin nach Westdeutschland.  Für sein Werk ist es nicht unerheblich, dass er zuerst Germanistik in Marburg studierte. Dann folgte von 1961 bis 1964 ein Studium an der bedeutenden Kunstakademie in Düsseldorf.

Hier wurde der Grafiker und Bildhauer Otto Coester sein Lehrer, der vor dem Krieg intensiven Kontakt zu Alfred Kubin pflegte, selbst bei Gerhard Marcks studiert hatte und 1959 an der documenta II teilnahm.  Über Coester ist Leo Leonhard so mit der Tradition der Vorkriegsavantgarde verbunden, vor allem auch mit surrealistisch-phantastischen Tendenzen der Kunst.

Am Anfang seines Werks stehen die informellen Abstraktionen der späten 1950er und 1960er Jahre. Seine erste Einzelausstellung hat Leo Leonhard im Jahr 1966 in der Galerie von Christa Moering in Wiesbaden, die 1956 eröffnet wurde. Hier verkehrten unter anderem Künstler wie Ludwig Meidner oder auch Ernst Wilhelm Nay. Die Phase der Abstraktion mit Arbeiten wie „Von Gelb zu Violett“ (1959) oder „Jeanne d’Arc (1959) endet vorerst schon 1961 mit Hommagen an Gainsborough und Velázquez. 1962 zeigt sich Leonhard, erst knapp über 20 Jahre alt, in einem Selbstporträt „Selbst als alter Meister“.

Danach nimmt Leonhard die abstrakte Malerei mit Einflüssen so unterschiedlicher Maler wie etwa Nay, Klee oder Bacon wieder auf, um erst im Jahr 1970 mit Arbeiten wie „Der Plattenhof“ und „Hamms Vision“ oder, 1971, „Der Gotteslachs“ sein Frühwerk zu beenden und einen neuen, surrealistisch-phantastischen Ausdruck zu finden.

Bis zu seinem Tod im Jahr 2011 arbeitete Leonhard als freier Maler und Grafiker – und gab sein Wissen als Gymnasiallehrer und späterer Professor für Zeichnen an der Fachhochschule Mainz auch an neue Generationen weiter. Leonhard war seit 1969 Mitglied der Darmstädter Sezession, die 1919 unter anderem von Max Beckmann und Ludwig Meidner gegründet wurde. Es scheint bedeutsam, auf solche Traditionen hinzuweisen, denn Leo Leonhard war ein Künstler, der in seiner Zeit wirkte – und dem Einflüsse und Traditionen von großer Wichtigkeit waren.

Leonhards Themen sind vielfältig. Da ist zum einen sein Interesse für die Literatur: Zahlreiche Buchillustrationen etwa zu „Faust“ oder „Woyzeck“, weiterhin Arbeiten zu Ezra Pounds Gedichtsammlung „Cantos“ (die selbst Literatur über Literatur sind), andere zu Wieland oder Grabbe künden davon. Leo Leonhard ist selbst ein Künstler, der Kunst über Kunst machte: ein Kenner der Kunstgeschichte, der Hommagen etwa an Joseph Beuys anfertigte, der 1961, als Leonhard an die Düsseldorfer Akademie kam, dort auf den Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei berufen wurde. Aber auch Hieronymus Boschs Triptychon „Garten der Lüste“, Giotto oder die italienische Kunst der Renaissance und der Barockzeit inspirierten Leonhard zu solchen Hommagen – etwa an Piero della Francesca („Roll over Piero“) oder Caravaggio, dessen „Berufung des Hl. Matthäus“ er mit einem seiner „Pflastermaler“ huldigte.

Die Ölmalerei Leo Leonhards entsteht noch einmal vermehrt nach Beendigung der Lehrtätigkeit, zuerst mehr als Übertragung grafischer Ideen, später dann selbstbewusster, realisiert „aus den Bedingungen der Malerei heraus“, wie Leonhard selbst anmerkte. Leonhard hat intensiv darüber reflektiert, wie man mit den Vorbildern der Kunstgeschichte umgehen kann. Angestrebt war ein „Dialog mit verehrten alten Meistern“, aber auch Deutung oder Kritik, oftmals noch unterlegt mit Tagebucheintragungen, welche konzeptuelle Ideen verschriftlichen, die aber keine, wie Leonhard sagt, „Deutungsspielräume“ einengen sollen.

Das überhaupt zum Thema zu machen, ist alles andere als selbstverständlich. Aber Leo Leonhard war einer jener Künstler, der sich Gedanken machte: über die Rolle des Kunstwerks, über die Rolle des Rezipienten, über die Rolle des Künstlers. Roland Held hat ihn in seinem Nachruf als „Pictor doctus“ bezeichnet, als Maler mit Bildung. Ein 1985 entstandener Video-Film von Dieter Zeitz, „Neulich in Neutsch. Leo at work“ zeigt diesen Künstler bei der Arbeit, beim Landschaft-Aquarellieren in Neutsch, einem Ortsteil der Gemeinde Modautal im Odenwald. Hier zeigt sich, wie der Künstler Akribie mit hintersinnigem Humor und Witz mit Ernsthaftigkeit verbindet.

Richten wir unseren Blick auf jene Werke, bei denen sich die Zeitebenen vermischen – etwa bei den bereits angesprochenen Hommagen: Das kunsthistorische Zitat ist wichtig im Werk von Leo Leonhard, den wir als Künstler wahrzunehmen haben, der eng mit der Idee des „Pastiche“ verbunden ist, die in der Postmoderne, vor allem in der Rezeption von Filmen, wiederentdeckt wurde. Immer wieder imitiert die Kunst von Leo Leonhard andere Kunst und ist sofern ein offenes, intertextuelles Werk. Dabei ist, das ist wichtig, diese Imitation zumeist von Hochachtung geprägt.

Leo Leonhard hat immer wieder betont, wie wichtig ihm der „Dialog mit verehrten alten Meistern“ ist. Das Thema durchzieht sein gesamtes Werk. Immer wieder – in Ölmalereien, aber auch im Bereich der Grafik – taucht das Motiv des „Pflastermalers“ auf oder eines Tünchers, der ein bekanntes Werk aus der Kunstgeschichte übermalt – etwa von Michelangelo.

Beide Varianten kreisen um die Verehrung des Vergangenen beziehungsweise die Negierung, das zu schnelle Vergessen der Vorbilder aus der Kunstgeschichte: Der Anstreicher mit der Farbrolle, der ein Bild Michelangelos übertüncht oder der Pflastermaler, der im Begriff ist, Caravaggios „Berufung des Hl. Matthäus“ auf die Straße zu malen – sie beide setzen sich mit der Vergangenheit auseinander. Die Kunstgeschichte ist Leo Leonhard eine Goldgrube, aus der er sich immer wieder mit immens viel Kenntnis bedient hat. Das tut er aber stets mit Blick auf die Gegenwart: Er wollte die heutige Zeit durch die Augen der damaligen Meister und deren Zeiten sehen.

Leonhard sparte die aktuelle Politik nicht aus: Er machte die großen Themen der siebziger und achtziger Jahre auch zu seinen: Die Protestbewegungen, Umweltzerstörung, Konsumismus – das sind wichtige Themenfelder seiner Radierkunst. Büchners „Hessischer Landbote“, die Streitschrift aus dem Jahr 1834, dieses frühe Manifest einer sozialen Revolution, die sich gegen die sozialen Missstände der Zeit wendet, ist dem Darmstädter stets ein Vorbild gewesen, dem es selbst immer wieder darum geht, die sozialen Verhältnisse seiner Zeit zu hinterfragen.

Leo Leonhard ist ein Künstler, dem es mit einer ganz eigenen Handschrift, mit ungewohnten Bildideen gelang, sich einzuschreiben in die lange Geschichte der Kunst, mit Hochachtung vor dem Gewesenen, mit kritischem Auge auf aktuelle politische und soziale Entwicklungen. Die Entwicklung von informellen Abstraktionen der späten 1950er und 1960er Jahre hin zu surrealistischen Tendenzen, zu einem phantastischen Surrealismus in den 1970ern, hin zu den großen postmodernen Hommagen und politischen Werken in den 1980er Jahren, den grotesken Verzerrungen oder auch den Familienbildern, diese Entwicklung ist eine nicht ganz lineare, oftmals in Wellenbewegungen verlaufende, welche dennoch die Kunstgeschichte mit unserer Zeit, die kulturelle Tradition mit der brisanten Gegenwart verbindet. Denn die Themen der Kunst, sie sind – durch die Zeiten – stets universell.

Gemeinsam mit der Wiesbadener Galerie Rubrecht Contemporary und der internationalen Plattform Rubrecht Severens Fine Arts (Wiesbaden, Maastricht) wird seit 2022 der Nachlass des 2011 in Bickenbach bei Darmstadt verstorbenen Künstlers von Marc Peschke, Theo Rosenfeld und Florian Leonhard aufgearbeitet. Nun sind Leo Leonhards Arbeiten auch endlich wieder bei Einzel- und Gruppenausstellungen in Galerien und Museen – und auch bei Kunstmessen zu sehen. Wir feiern die Wiederentdeckung eines wahren Meisters, der wie kaum ein anderer die Mittel und Werkzeuge seiner Kunst beherrschte und intellektuell durchdrang. Bis zum 21. April sind ausgewählte Arbeiten von Leo Leonhard im Kulturbahnhof Eller in Düsseldorf zu sehen!

 

Capriccio an der Autobahn, 1979

10. März bis 21. April

Alle Infos: https://www.kultur-bahnhof-eller.de/

 

Kultur Bahnhof Eller

Vennhauser Allee 89

Düsseldorf

10.3.- 21.4.2024

Di bis So 14 bis 18 Uhr

Eintritt 3 Euro

www.kultur-bahnhof-eller.de

Zur Eröffnung am Sonntag, dem 10. März 2024 um 11.30 Uhr sind Sie und Ihre Freunde herzlich eingeladen. Zur Einführung spricht Florian Leonhard, der Sohn des Künstlers.

Sonntag, den 24. März um 16:00 Uhr findet ein Besucher-Gespräch über die Ausstellung statt. Der Eintritt ist frei.

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Über Marc Peschke 18 Artikel
Marc Peschke, 1970 geboren, Kunsthistoriker, Texter, Kulturjournalist und Künstler, lebt in Wertheim am Main, Wiesbaden und Hamburg. Er hat in Mainz Kunstgeschichte, Komparatistik und Ethnologie studiert. Seitdem schreibt der gebürtige Offenbacher unter anderem über Bildende Kunst, Fotografie, Fotokunst und Popmusik. Gelegentlich arbeitet er auch als freier Kurator, war Mitinhaber und Mitbegründer der Fotokunst-Galerie KUNSTADAPTER in Wiesbaden und Frankfurt am Main – sowie der Kultur-Bar WAKKER in Wiesbaden. In Wertheim am Main ist er Kurator des exklusiven Kunstraum ATELIER SCHWAB. Seit 2008 zahlreiche eigene Ausstellungen im In- und Ausland. Marc Peschkes künstlerische Arbeiten entstehen zumeist auf seinen zahlreichen Reisen und sind in verschiedenen nationalen und internationalen Sammlungen vertreten. Seit 2020 ist Marc Peschke unter dem Namen MASCHERA auch wieder als Musiker aktiv. Im Jahr 2022 wird er kuratorisch die Wiesbadener Fototage unterstützen. www.marcpeschke.de