Legal, illegal, ganz egal? – Die Legalisierungsdebatte in Deutschland und das Cannabis-Chaos in Thailand

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Schon 2018 hat Thailand als erstes asiatisches Land Marihuana für den medizinischen und industriellen Gebrauch legalisiert, allerdings nur für Cannabis-Produkte mit einem geringen THC-Gehalt von weniger als 0,2 %, die also noch keine berauschende Wirkung haben. In einem zweiten Schritt wurde Cannabis am 9. Juni 2022 auch entkriminalisiert, was die Polizei und vor allem die Justiz entlasten sollte. Denn in dem schon seit Jahrzehnten als permissives Reiseland beliebten Tropenparadies schwoll die Zahl der Verurteilungen für Rauschgiftdelikte in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an, sodass die Gefängnisse aus allen Nähten platzten und die Behandlung der Insassen von Menschenrechtsorganisationen zurecht als skandalös angeprangert wurde. Schon am 9. Juni, an dem das Gesetz in Kraft trat, wurden mehr als 3000 Gefangene entlassen, Amnestien zu den Geburtstagen des Königs setzen regelmäßig weitere Häftlinge frei. Bis jetzt bleibt die Inhaftierungsrate des Landes allerdings hoch, gemessen nach Häftlingen pro 100.000 Einwohner sind das 411. In Deutschland ist die Vergleichszahl 67, den Weltrekord halten die USA mit 505. Diese Zahlen stammen vom World Prison Brief 2022 der Birbeck University in London. In Thailand gab es im vorigen Jahr  mehr als 285.000 Häftlinge, davon 70% wegen Drogendelikten. Anfang 2003 startete der damalige Premierminister Thaksin Shinawatra eine Thai-Version des „war on drugs“ mit Massenverhaftungen und mehr als 2.800 Todesopfern. Bilder der überfüllten Gefängnisse gehen regelmäßig durch die Weltmedien und beschädigen das Image des Touristenlandes, das sich gern als „Smooth as Silk“ vermarktet. Insofern gibt es im Gegensatz zu Deutschland schon einen sehr praktischen Druck auf die Politik, Drogendelikte zu entkriminalisieren, um die Inhaftierungsrate zu senken.

Historische Lasten

Thailand ist zwar nie eine europäische Kolonie gewesen, sah sich aber dennoch als Puffer zwischen dem britischen Malaya und Burma im Westen und dem französischen Indochina im Osten vielfältigen wirtschaftlichen und kulturellen Einflüssen ausgesetzt. Eine verhängnisvolle Hypothek entstand auf britischen Druck 1852, als Rama IV ein „Königliches Opium-Monopol“ einführen und auch das durchorganisierte Kontroll- und Verteilungssystem aus den britischen Kolonien in Asien übernehmen musste. Der Handel war zwar für die Finanzen des Hofes in Bangkok von erheblichem Vorteil, verband aber auch das traditionelle Steuerpachtsystem mit dem Opiumhandel und führte zu einer weiten Verbreitung der Etablissements, die wir in Deutschland Opiumhöhlen nennen und die in Bangkok jetzt moderner als Cannabis-Boutique vermarktet werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg und während des Vietnamkriegs führte der steigende Heroinmarkt in den USA zu einer exponentiell wachsenden Opiumproduktion im gesamten Goldenen Dreieck, und machte den Schmuggel an den endlosen Grenzen, 2.400 km mit Burma und 1.800 km mit Laos, praktisch unkontrollierbar. Da sich dort auch die Polizei und das Militär am lukrativen Drogenschmuggel beteiligten, sind  dabei korrupte Strukturen entstanden, die bis heute nachwirken. Der Drogenumsatz in Thailand wird auf 71 Milliarden US$ geschätzt und expandiert mit dem wachsenden Markt für Amphetamine und Partydrogen noch weiter. Gemessen an diesen Zahlen sind die Erwartungen der Politik, dass die Cannabis-Legalisierung sowohl den Tourismus nach der COVID-Flaute wiederbeleben und bis zu 1,4 Milliarden US$ Zusatzeinnahmen generieren könnte, für die Wirtschaft des Landes nicht wirklich entscheidend.

Der „Glaubenskrieg“ im Parlament

Im September hat das Parlament das Freigabegesetz vom Juni mit großer Mehrheit zurückgezogen, um es zu überarbeiten. Restriktionen im Handel mit Cannabis bleiben ohnehin bestehen, der Verkauf an unter 20-Jährige, schwangere Frauen, stillende Mütter sowie Schüler und Studenten ist  verboten, der Handel in Coffee Shops und Cannabis-Boutiquen, die seit Juli bereits in großer Zahl eröffnet worden sind, soll überwacht und kontrolliert werden. Daran zweifeln allerdings viele Politiker im Parlament und Bürgermeister in den Provinzen sowie Polizisten, die seit Jahren versuchen, den Drogenhandel wenigstens zu reduzieren. Die rasante Entwicklung des Cannabismarkts hat inzwischen den Ruf nach einer Erneuerung des Totalverbots in Politik und Verwaltung laut werden lassen. Die Geister  scheiden sich vor allem in Befürworter eines Verbots und diejenigen, die daran glauben, dass eine Überarbeitung des Gesetzes die meisten Probleme lösen könnte. Zu letzteren gehört Gesundheitsminister Anutin Charnvirakul, der am 25. November  die Regierungsstrategie für eine Gesetzesnovelle mit dem Hinweis verteidigte, dass das erhoffte Milliardengeschäft nicht gefährdet werden dürfe. Außerdem müsse die lange Tradition des Landes mit Kräutermedizin und Naturheilkunde bewahrt und exportfähig gemacht werden. Der Disput geht vor allem darum, ob und wie ein Missbrauch der Droge administrativ kontrollierbar ist. Seit dem 21. November ist beim obersten Verwaltungsgericht die Klage eines Abgeordneten und Arztes gegen den Gesundheitsminister und das Narcotics Control Board anhängig, dass die Dekriminalisierung zurückgenommen werden müsse. In den politischen Diskurs mischt sich gerade auch ein „Youth Network Against Marijuana and Drugs (YNAC) ein, das Cannabis als Genussmittel ebenfalls wieder ganz verbieten möchte. Inzwischen ist allen Beteiligten klar geworden, dass das Gesetz vom Juni vor allem eine stürmische Expansion der Cannabis-Industrie, des Verkaufs und des Missbrauchs durch Endverbraucher hervorgerufen hat, die eigentlich geschützt werden sollten. Eine besonders gefährdete Gruppe sind die Fernfahrer, die sich die langen Fahrten mit einem Joint verkürzen und seitdem in immer mehr Unfälle verwickelt wurden, außerdem stiegen Gesundheitsprobleme und Einweisungen in Krankenhäuser sowie der Marihuana-Missbrauch unter Kindern.

Ist eine Kontrolle des Cannabis-Marktes möglich?

In einem Land mit langer Tradition von Bestechung und Korruption in Politik, Verwaltung und Polizei, die auch durch den kolonialen Opiumhandel mit verursacht war, bleibt die administrative Durchsetzung gesetzlicher Verbote problematisch, damit ist Thailand in der Region keineswegs allein. Erst 2021 kam durch den Tod eines jungen Mannes in Polizeigewahrsam ein Skandal mit ungewöhnlichen Ausmaßen ans Licht. Der 39 Jahre alte lokale Polizeichef mit einem Monatsgehalt von etwa 1000 US$ lebte in Bangkok in einer Luxuswohnung und besaß mehr als 40 teure Autos, darunter einen Ferrari im Wert von fast 1,5 Millionen $. Die Presse hatte auch gleich den Spitznamen Joe Ferrari für ihn bereit , aber das Problem ist systemisch und macht die Polizei und die Armee ironischerweise immer noch zu einem attraktiven Arbeitgeber.

Deutschlands Cannabis- Warteschleife?

Derart massive Korruptionsskandale bei der Polizei sind in Deutschland nicht vorstellbar, was allerdings auch nicht heißt, dass die von der Ampelkoalition geplante Cannabis-Legalisierung ausreichend kontrolliert werden kann. Die Resignation von Polizei und Ordnungsämtern am Berliner Kotti oder im Frankfurter Bahnhofsviertel und die Omnipräsenz des Drogen-Kleinhandels auch an vielen Schulen machen da wenig Hoffnung. Der Ampelkompromiss zur Legalisierung von Cannabis scheint zurzeit wegen der Energieprobleme in den Hintergrund geraten zu sein, aber Ende September berichteten die Medien, dass die FDP Druck mache und dass Finanzminister Lindner die Entkriminalisierung für das kommende Jahr versprochen habe. Die umsatzstarken Branchen Lebensmittel, Kosmetik, Naturheilkunde und Wellness sind an dem Thema höchst interessiert, weil sie auf neue Produkte mit THC, dem psychoaktiven Bestandteil der Hanfpflanze, setzen und deshalb an einer ausreichenden Verfügbarkeit des Rohmaterials interessiert sind. Das geht deutlich über die bisher entstandene Infrastruktur des industriellen Hanfanbaus in Deutschland hinaus, die mit ausgefeilter Sicherheitstechnik die Produktion für die medizinische Verwendung der Pflanzen absichern und vor kriminellen Elementen schützen will. Die Vorbereitungen für eine Ausweitung des Anbaus sind in der Hoffnung auf die versprochene Legalisierung weit fortgeschritten. Nachdem Ende Oktober ein „Eckpunktepapier der Bundesregierung für die kontrollierte Abgabe von Cannabis“ bekannt geworden ist, zeigte sich die führende deutsche Fachfirme „Sanity Group“ mit den Vorschlägen sehr zufrieden. Sanity,  mit Sitz in Berlin, ist im pharmazeutischen, Wellness- und Kosmetikbereich aktiv und will mit Cannabinoiden die Lebensqualität der Kunden erhöhen. Sie betont auf ihrer Webseite, dass der Regierungsentwurf ihre Erwartungen weitgehend erfüllt, wie den Wegfall der THC-Grenze, die strikte Alterskontrolle beim Verkauf und vor allem, dass das Stigma als Rauschgift wegfallen wird. Die Firma teilt mit, dass sie inzwischen Investitionen von Anlegern im Wert von 100 Millionen Euro eingeworben hat, die Rendite-Erwartungen und -Versprechen sind gleichermaßen hoch. Die Kontrolle aller Jugendschutzbestimmungen im künftigen Gesetz könne garantiert werden, weniger glücklich ist man mit dem geplanten Werbeverbot, weil damit die Produktinformation für die Kunden und die Entstigmatisierung der Produkte erschwert werde.

Einen Dämpfer haben die Vorbereitungen und Erwartungen aller Beteiligten am Zukunftsmarkt Cannabis und Cannabinoide im September durch ein Gutachten aus dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundetages erhalten. Darin wird gewarnt, dass die geplante Legalisierung nicht mit EU-Recht vereinbar sei und dass das niederländische Beispiel kein Vorbild sein könne. Gesundheitsminister Lauterbach halt trotzdem an der Planung und Vorbereitung des Gesetzes fest.
Die Erfahrungen der Niederlande zeigen ähnlich wie die in Thailand, dass eine Kontrolle der Produktion und Verteilung extrem schwierig ist, weil die steigende Nachfrage allzu oft illegale Vertriebswege entstehen lässt. Diese bieten  in der Regel auch niedrigere Endverkaufspreise bei dubioser Qualität und hohen Profitraten für die kriminellen Händler und ihre oft selbst abhängigen Kleindealer auf den Straßen. Diskutiert wird über die Freigabe in Deutschland seit vielen Jahren, wobei die Argumente weitgehend als Glaubensfragen unverändert blieben. Der Bedarf an Cannabis-Rohware wird von der Sanity Group mit jährlich 400 Tonnen geschätzt. Den bis jetzt illegalen Umsatz kann man vermutlich nur ahnen, aber die Nachfrage scheint auch schon ohne gesetzliche Regulierung ungebremst zu wachsen.

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