„Namen sind Schall und Rauch“ – so lautet eine im Volksmund weit verbreitete Wendung, die ihren Ursprung in Goethes „Faust“ (Der Tragödie erster Teil) hat. Sind Namen tatsächlich so unbedeutend, vergänglich und nicht greifbar wie ihr physikalischer Vergleich? Sagen sie wirklich nichts über eine Person oder eine Sache aus? Die lateinische Redensart „Nomen est omen“ – „Der Name ist ein Zeichen“ meint genau das Gegenteil.
Der namenlose Ich-Erzähler in Dinaw Mengestus Roman hatte zumindest seine dreizehn Vornamen an der Grenze von Äthiopien zu Uganda zurückgelassen, als er genau wie sein angehender Freund Isaak, dessen Heimat in den Unruheherden des Norden des Landes liegt, in der Hauptstadt Kampala ankommt. Aufgewachsen in ärmlichen, dörflichen Verhältnissen, suchen beide hier nach einer Chance auf Bildung, Anerkennung und der Verwirklichung ihrer Träume. Jeden Tag drücken sie sich auf dem Campusgelände herum, analysieren und beobachten die Studenten und ihren gesellschaftlichen Status. Im Gegensatz zum eher zurückhaltenden und nachdenklichen, angehenden Schriftsteller, als welcher sich der Ich-Erzähler erweist (von seinem Freund wird er „Professor“ gerufen), kommt Isaak die Rolle des einfallsreichen, kämpferisch-ruhelosen Charismatiker zu. Beide werden unweigerlich in den revolutionären Optimismus der Nachkolonialzeit hineingezogen, der vor allem an den Universitäten des Landes zu brodeln beginnt. So ist es letztendlich nur eine Frage der Zeit bis Isaak, der bereits einer stetig wachsenden Anhängerschar unter den Studenten als Führungsfigur dient, von dem dubiosen Joseph angeworben wird und sich bedingungslos als Scherge in dessen brutalem Bürgerkrieg verdingt.
Der Name Joseph scheint von Dinaw Mengestu nicht zufällig gewählt zu sein. Obwohl die Handlung in den 70er Jahren angesiedelt ist, weist die Romanfigur deutliche Anleihen mit dem brandaktuellen LRA-Anführer und selbsternannten Propheten Joseph Kony auf. Dessen krude Ideologie: Der Volksstamm der in Norduganda lebenden Acholi müsse von der Unterdrückung befreit, der Staatspräsident aus dem Amt gedrängt und ein Staat auf Grundlage der Zehn Gebote errichtet wird. Das systematische Verrohen und das Herausreißen aus allen Bindungen gehören dabei zu den Methoden der LRA, die seit Ende der achtziger Jahre ihr Unwesen in Norduganda treibt und als eine der berüchtigtsten Rebellenarmeen Afrikas gilt. Schätzungen zufolge hat die LRA in Uganda im Laufe der Jahre mehr als 65.000 Kinder und Jugendliche entführt, nach UNO-Angaben mussten rund 1,8 Millionen Menschen in der Region vor den Überfällen in Sammellager flüchten. Dies fließt zumindest in Ansätzen in die Romanhandlung ein.
Allerdings hat Dinaw Mengestu einen weiteren Handlungsstrang in sein raffiniert komponiertes Werk eingeflochten. Diesen siedelt der in Addis Abeba geborene und zwei Jahre später mit Mutter und Schwester in die USA emigrierte Autor, in Amerika an. In diesem wird aus der Sicht von Helen, einer „nicht mehr ganz so jungen“, seelisch ausgelaugten Sozialarbeiterin („Ich hatte zu viel Herz und meinen gesamten Glauben eingebüßt“) in der Ich-Form berichtet. Sie bekommt eines Tages den Fall „Isaak“ zugeteilt, einen schwarzen Mann, mit einem Einjahresvisum und einer mehr als vagen Vergangenheit. Helen verliebt sich in den intelligenten, aber von einer steten Unruhe getriebenen Afrikaner. Nicht nur die Kleinstadt-Bigotterie im Mittleren Westen und der immer noch schwelende Rassismus (im ersten Jahrzehnt nach der Aufhebung der Rassentrennung), sondern auch der verschlossene „Emigrant“ gestalten die Beziehung des so ungleichen Paares mehr als schwierig: „Ohne ein Außen, das uns erdete, spielte sich jeder intime Moment zwischen Isaak und mir in einer isolierten Parallelwelt ab, die hinter seiner Wohnungstür begann und endete.“
Die beiden, sich stetig abwechselnden Erzählstränge nähern sich sukzessive aneinander an, um am Ende komplett miteinander zu verschmelzen. Vor allem die äußerst aufschlussreichen Parallelen, die Dinaw Mengestu zieht, machen sein Buch so unglaublich interessant und außergewöhnlich. Denn in Wahrheit unterscheiden sich beide Welten, hier die USA und da Uganda, bei näherem Hinschauen kaum voneinander: Auf der einen Seite die gescheiterte Gleichberechtigung und Gleichgültigkeit Amerikas gegenüber seiner schwarzen Bevölkerung, auf der anderen der fehlgeschlagene Traum der ugandischen Unabhängigkeit der panafrikanischen Bewegung. Und dann ist da noch die seelische Erschöpfung der beiden Hauptprotagonisten, die trotz ursächlicher und vermeintlicher Unterschiede, gewisse Analogien aufweist. Über allem schweben Fragen der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit und des Heimatbegriffs. Diese fungieren in Mengestus zuweilen zerstörerischer und beunruhigender Geschichte als Roh- und Brennstoff, mit dem er kunstvoll – aber nie didaktisch, sondern mit einem distanzierten, beinahe neutralen Blick auf die Welt – seine Erzählung entfacht, um das Rätsel von Identität und deren räumlicher und familiärer Wurzeln zu erforschen. Letztendlich ist es gleichfalls ein Text über die Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen zwei engen Freunden.
Fazit: Dinaw Mengestus Roman erweist sich als stürmische und zugleich zarte Auseinandersetzung mit Identität, Liebe, Enttäuschung, Freundschaft und Verlust. Oberflächlich betrachtet ist „Unsere Namen“ ein Buch über einen Immigranten, aber tatsächlich ist es eine Geschichte über die Suche nach unseren Ursprüngen und Prägungen und was passieren kann, wenn Dinge wie Familie und Heimat „in Rauch aufgehen“. Obwohl den Roman viele harte Wahrheiten und eine große Traurigkeit durchziehen, verspürt man nach dem Zuschlagen der letzten Seite den Drang, wieder von vorn zu beginnen.
Dinaw Mengestu
Unsere Namen
Aus dem Amerikanischen von Verena Kilchling
Titel der Originalausgabe: All Our Names
Kein & Aber Verlag (September 2014)
336 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3036957022
ISBN-13: 978-3036957029
Preis: 22,90 EUR
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