Sie hat schwarze Hände. Voller Ruß von den Ascheresten eines Manuskripts, das sie im lodernden Feuer verbrannt hat. Als sie eine weiße Wand berührt, hinterlassen ihre Hände merkwürdigerweise jedoch keine Spuren. Nichts bleibt von Hedda Gabler – ihr gehören die Hände. Weder im Leben, noch im Tod. Dieses besonders eindringliche Bild prägt Intendant und Regisseur Martin Kusej dem Publikum im Residenztheater München ins Gedächtnis ein.
„Hedda Gabler“ im „Resi“. Da erwartet man Großes, Neues. Denn hier wurde Ibsens Meisterwerk am 31. Januar 1891 uraufgeführt. Also Chance und Herausforderung für Martin Kusej zu Beginn seiner zweiten Spielzeit am Bayerischen Staatsschauspiel. Und der gebürtige Kärtner ist mutig ans Werk gegangen: So düster, so abgründig, so niederträchtig hat man Ibsens Antiheldin in den letzten Jahren selten auf deutschen Bühnen gesehen. Hedda Gabler in der Lebensgruft, tot schon zu Lebzeiten.
Düsterfrau im fahlen Licht
Ibsens dramatischer Vierakter erzählt die Geschichte einer Generalstochter, die sich mehr von einer Ehe erhoffte, als sie bekam, damit furchtbar hadert und sich in Allmachtsphantasien flüchtet. Noch vor dem ersten Wort aus Ibsens Feder hört man aus dem Off Worte aus Nietzsches „Also sprach Zarathustra“: „Einst blickte die Seele verächtlich auf den Leib: und damals war diese Verachtung das Höchste.“ Zarathustra als Opener für „Hedda Gabler“? Übermensch und Übermenschin?
Die Inszenierung beginnt düster-puristisch, und düster-puristisch bleibt sie (Bühne: Annette Murschetz). Kaum Weiß im dominierenden Schwarz. Harte, klare Schnitte trennen die einzelnen Szenen voneinander: völlige Dunkelheit, untermalt von dissonanten Tönen (Musik: Jan Faszbender). Die teure Villa, in die Hedda mit Ehemann Jørgen Tesman kurz nach der ebenfalls teuren Hochzeitsreise einzieht, ist links nur durch eine strahlend weiße, stuck-verzierte Wand und Tür angedeutet. Der Rest der weit nach hinten reichenden Bühne bleibt schwarz. An den seitlichen Wänden dunkelgraue, schieferartige Platten, rechts ein fahl angeleuchteter Haufen aufeinander geworfener schwarzer Bistro-Stühle.
Leere Villa, leere Seelen, leere Ehe
Barbara de Koy als Juliane, die Tante Tesmans, lässt durchblicken, was es mit den Lebensumständen der Tesmans auf sich hat. Die in Michigan geborene Schauspielerin zeichnet spielsicher eine hysterische und besitzergreifende eifersüchtige alte Jungfer. Alles ist auf Pump finanziert, alles auf einen nahenden beruflichen Erfolg Tesmans gesetzt. Er, der Kulturwissenschaftler, soll bald zum Professor ernannt werden. Aber Alternativen gäbe es sowieso keine, denn Generalstochter Hedda verlangt nach einem standesgemäßen Leben. Kleinbürgertum kommt für sie nicht in Frage. Das war, sozusagen, der „Deal“ einer Ehe, die Hedda nicht aus Liebe eingegangen ist.
Aber was soll man schon machen, wenn man selbst älter und der Heiratsmarkt langsam leerer wird? Dann tut es notfalls auch ein Tesman, jedenfalls dann, wenn er vielversprechende Karriereaussichten zu haben scheint. Man ahnt: das kann nicht gut ausgehen. Und Norman Hacke spielt ihn wunderbar, diesen ahnungslosen, hoffnungslos verliebten, braven Deppen. Ständig ist Tesman bemüht, Hedda bei Laune zu halten, ihr alles recht zu machen. Seine Unterwürfigkeit erntet indes nur eines: Verachtung.
Ennui und Verachtung einer toten Lebendigen
Hedda macht keinen Hehl daraus, dass sie Tesman, die Tante und das „lächerliche“ Leben, das sie nun führt, verachtet. Birgit Minichmayrs Darstellung der Hedda lässt das Blut in den Adern gefrieren. Fleischgewordene Verachtung. Gelangweilt und angewidert von einer Kleinbürgeröde innerhalb einer viel zu großen Villa. Für Möbel reichte selbst das geborgte Geld nicht mehr aus. Man wohnt in fast leeren Räumen einer potemkinschen Edelbehausung.
Heddas einziger Zeitvertreib ist das Herumschießen mit ihren Pistolen – Erbstücke des General-Vaters. Ihr bleiches und gefühlloses Gesicht könnte direkt aus einem Wachsfigurenkabinett entstammen. Keine Spur einer menschlichen Regung, die über Gefrierschranktemperatur hinausreichen würde. Minichmayrs reduziertes Mimikspiel könnte kaum präziser sein.
Wie alle Figuren erscheint auch Martin Kusejs Hedda im historischen Kleid der Ibsen-Zeit (Kostüme: Heide Kastler). Ihr langer schwarzer satinartiger Rock und die cremefarbene Bluse, die später einem schwarzen, ebenfalls satinartigen Oberteil weicht, haben nichts Verspieltes an sich. Steife Korsettartigkeit. Das für diese Zeit eigentlich untypische, kurze Haar passt indes nicht ins Bild. Oder soll es ihre strenge Erscheinung unterstützen, sie abgrenzen?
Auch ihre Stimme ist rauh und hart. Mit klirrenden Worten und giftigen Blickpfeilen spießt Hedda ihre Mitspieler auf und treibt diese mit der Macht der Verachtung vor sich her. Deklassierend. Man erlebt einen fast asexuellen Zombie. Ein Rätsel, wie diese Hedda überhaupt schwanger werden konnte. Aber der Bauch, über den sie sich jedes Gespräch verbietet, ist unübersehbar.
Ibsenesker Wiedergänger aus der Vergangenheit
Ibsen-gemäß bricht nun in diese Ehehölle unvermittelt die Vergangenheit ein und lässt keinen Stein auf dem anderen stehen. Anders als etwa in den „Gespenstern“ oder der „Wildente“ deckt Ibsen in „Hedda Gabler“ jedoch keine Lebenslügen auf, entlarvt keine streng verheimlichten Vaterschaften. Sondern bringt mit Ejlert Løvberg – ebenfalls Kulturwissenschaftler und Studienkollege Tesmans – eine Figur ins Spiel, die die Ehe endgültig zur Komplettfarce degradiert.
Zur Erklärung: Ejlert Løvberg war einst Heddas Verehrer, und vertraute ihr seine dionysisch-satyrischen Ausschweifungen an. Eben jene stoppten jedoch auch seine Karriere. Nun steht er plötzlich wieder vor ihr. In der Villa. Geläutert. Nicht nur den Exzessen hat er abgeschworen, er hat obendrein einen kulturgeschichtlichen Bestseller geschrieben und bereits nachgelegt mit einem neuen Manuskript, ebenfalls bestsellerverdächtig. Sebastian Blomberg spielt Løvberg so bemüht selbstkontrolliert – das wilde Tier in ihm scheint nur auszuruhen –, dass man schmunzeln muss. Er wirkt wie ein Gummibaum, der sich als harte Eiche verkleidet hat. Ja, es gibt durchaus auch Amüsantes.
Die Vernichtung
Durch Løvbergs Ruhm wirkt nun also Tesmans Werk über den „Hausfleiß im Brabant des Mittelalters“ noch lächerlicher. Bestsellerpotential null. Das erkennt auch Hedda überdeutlich und holt zum Vernichtungsschlag aus, indem sie Løvbergs Schwachstelle bearbeitet: Seine dionysisch-satyrische Natur. Auch Thea Elvsted kann ihn davor nicht retten, ein scheinbar naiv-liebes, zugleich aber enorm enervierendes Frauchen, das Løvberg aus der Provinz nachgereist ist.
Die gerade aus Hannover ans Residenztheater verpflichtete Schauspielerin Hanna Scheibe schafft es meisterhaft, den Spagat zwischen platt-motivierender Künstlermuse und nervigem Dummchen dazustellen. Ständig plappernd, ständig Løvberg betüddelnd, ständig bemüht, ihn vor sich selbst zu schützen. Dabei so unaufgeräumt und fahrig wie ihre dauerzerzausten Haare. Aber ihre Besorgtheit ist durchaus ambivalent. Je mehr es mit Løvberg bergab geht, umso mehr bejammert Elvsted sich selbst. Løvbergs Karriere war auch ihr „Kind“. Kusej führt Elvsted so als Paradebeispiel des Menschen mit Helfersyndrom vor, dessen Antrieb vor allem eines ist: das eigene Ego.
Zarathustra-Hedda triumphiert – und scheitert.
Als Løvberg sein unveröffentlichtes neues Manuskript in einer durchzechten Nacht, die im Bordell endete, verliert, sieht Hedda ihre Chance kommen. Jene Hedda, die, da ausgerechnet ihr Ehemann das Manuskript auf der Straße gefunden hat, genau dieses längst selbst in den Händen hat. Von da an spielt Hedda – wie Nietzsches Übermensch – Schöpfer(in): „Ja! Ein einziges Mal in meinem Leben möchte ich Macht haben über das Schicksal eines Menschen.“ Und für Hedda heißt das: Ejlert Løvberg zum Suizid, also zur Selbstvernichtung zu überreden. Und zwar „in Schönheit“, unbedingt und bitte bitte „in Schönheit“, also mit einem präzisen Schuss aus einer ihrer Pistolen. Erbärmliche Machtphantasien einer gescheiterten Frau.
Aber es kommt es, wie es kommen muss. Nichts ist es mit der erträumten Schönheit der Tat des Suizidenten. Nein, nur ein hässlicher Unfall geschieht. Ausgerechnet bei einem weiteren Bordellbesuch Løvbergs löst sich ein Schuss aus der Pistole unter seiner Jacke und lässt ihn qualvoll verenden. Als Hedda die Nachricht vom schäbigen, so nicht geplanten Ende erhält, ist ihre Wut so groß, dass sie nur noch hilflos heiser fauchen und schreien kann.
Richter Brack, Überbringer der Nachricht, ist ein korpulenter, schmieriger Mann mit fettigem Haar. Von dem herausragenden Oliver Nägele wird er so treffend gezeichnet, dass man Heddas Ekel vor ihm förmlich selbst spüren kann. Und ausgerechnet der lässt dann auch noch durchblicken, dass er um alles weiß und die Polizei leicht dazu bringen könnte, Fragen nach dem Eigentümer der Pistole und dem Warum und Weshalb zu stellen. Könnte, aber nicht müsste. Solange Hedda eben, na ja, sie wisse schon. Als Vorgeschmack auf Kommendes knutscht er sie schon einmal ab.
Und Hedda? Erkennt ihre Nicht-Macht. In der Hand eines anderen sein? Niemals! Sie geht nach hinten ab. Und drückt ab. Ende einer Pistolenfrau. Derweil versuchen Tesman und Thea, Løvbergs Manuskript zu rekonstruieren, das Hedda in einer schon dem Wahnsinn anheimfallenden Allmachtsphantasie zuvor im offenen Feuer verbrannt hatte. Ab da hatte sogar Ehemann Tesman genug. Vom Suizid Heddas ein paar Meter weiter sind Tesman, Thea und Brack demgemäß lediglich kurz indigniert. Ungerührt gehen sie weiter ihrem Tagwerk nach. Vorhang.
Hedda Gabler hinterlässt keine Spuren. Sie ist nicht Zarathustra. Sie wollte nur wie Zarathustra sein. Aber dieser großartige Abend in München geht an den Zuschauern nicht spurenlos vorbei. Die düstere Inszenierung wirkt nach. Hier wurde man Zeuge eines Abstiegs in die Untiefen einer verlorenen Seele. Zurückgekehrt an den Ort, an dem das Stück einst uraufgeführt wurde.
Quelle: http://www.freundederkuenste.de/aktuelles/reden-ist-silber/meinung/leere-villa-leere-seelen-leere-ehe-zarathustra-phantasien-in-der-lebensgruft-intendant-martin-kusej-inszeniert-henrik-ibsens-hedda-gabler-am-muenchner-residenztheater.html
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