Da legt man sich, seit Jahren, eine kleine bayrische Weihnachts-Bibliothek an, um grad in der „staadn“ Zeit etwas in diese Passendes lesen zu können. Ein, zwei Meter lang steht Weihnachtliches im Regal, und immer wieder kommt was Neues dazu. „Auf Weihnachten zua“ betitelte Paul Ernst Rattelmüller seine im Süddeutschen Verlag 1976 edierte Sammlung, die er am 1. Dezember los- und am letzten Dezember ausgehen ließ. Lis Raabe brachte 1984 bei Heyne ein Taschenbuch voller „Alter Weihnachtsbräuche aus deutschsprachigen Ländern“ heraus. Mit „Weihnachtsgeschichten aus München“ kam uns Gundel Paulsen bei Husum noch einmal 2001 recht – mit einem Allerlei aus berühmten und weniger berühmten Schreibfedern. „Fränkische Bräuche zur Weihnachtszeit“ beschrieb der Volkskundler Reinhard Worschech 1978 im Stürtz-Verlag, die ihm – „von Martini bis Lichtmess“ – Otto Mayer illustrierte. Und so könnten die bayrischen Weihnachtsbibliotheks-Belege noch etliche Zeilen weitergehen. Mit mundartlich gefärbten oder voll in „Bairischem Deutsch“ stehenden Gedichten ist es in den Büchern nicht weit her. Rattelmüller ließ, des mundartlich formulierten Titels wegen, auf eine gute Ernte hoffen. Doch blieb sie relativ bescheiden. Die in abgeschwächter Mundart gehaltenen Liedtexte unter der Überschrift „Auf den Heiligen Abend zu lernen“ hat der einstige oberbayerische Bezirksheimatpfleger vermutlich (er gibt`s ja leider nicht kund) dem Werk August Hartmanns„Weihnachtslied und Weihnachtsspiel in Oberbayern“ (1885) entnommen. Dort heißt es:
Alle fangt an, / Wer singen kann, / Pfeifen und geigen! / Keiner soll schweigen! / Lasst euch nur hörn / Dem Kindlein zu Ehrn!
Jesulein süeß, / Von Herzen dich grüeß!/ Tuest mir gefallen; / Lieb dich vor Allen. / Du bist ganz mein: / Schließ mich ins Herz ein!
Erst ab der 3. Strophe färbt sich das Lied immer stärker mundartlich, auch wenn noch von „Kind(e)lein“ (statt vom „Kinderl“) die Rede ist:
Maria, sitz zue! / Leg`s Kindlein in d` Rueh, / Dass es tuet schlafen / Und nit erwachen! / Denn es liegt hart, / Ist klein und zart.
Öchslein, nit brüll, / Wann`s Kind schlafen will! / Den Atem lass gehen / Übers Kindelein schön, / Dass es tuet nit erfriarn! / Der Joseph soll`s wiagn!
Dieses „Bairische Deutsch“ kann auch ein Uneingeweihter lesen und verstehen. Im Lied „Hol mi da Binkel!“ würde er (und wohl auch mancher Eingeweihte) schon gleich über das 4. Wort der 1. Strophe stolpern: „Binkel“ In dieser Wendung hat es wohl nur im übertragenen Sinn mit Bündel, Beutel oder Beule zu tun. Die 2. Strophe mag trefflich ins Hochdeutsche übersetzen, wer kann:
Sackra! Mein Oadling; i hab`s scho daraten; / Loosts na den Engel dort außt, wia a schreit!“ / Hamt eahm die Zotten und `s G`nack kloa vobraten / Und alsa g`sengta auf d`Welt obakeit. / Aba da tausend! Er singt wolta schö`; / Loosts und heids staad! I möcht`n vosteh`.
Auch wer über „Oadling“, „außt“, „Zotten“, „vobraten“, „g`sengta“, „wolta“ und „heids staad“ stolpern mag – zu „vosteh`“ ist der Text dennoch.
„Staad“ – dieses Adjektiv gehört in Altbayern zum Winter-, vornehmlich zum Weihnachtsvokabular. Die „staade“ Zeit wird häufig angesprochen. Bei Ludwig Zehentner („Bairisches Deutsch“, 1997, S. 277) ist zu lernen:
„a) ruhig, still. Im Wald is so staad, / Alle Weg san vawaht (THOMA, Hl. Nacht). Bi(n) s.! Sei still! Geh, sei doch du s.! b) gemächlich, bedächtig. Die staden letzten Römer (AMERY, K. 160).// die -e Zeit: der Advent.//schön s., Adv.: allmählich. Jetzt wird` schön s. Zeit zum Gehen.// -lustig, Adj., (mdal.): unmerklich langsam. Na hat`s staadlusti zum Renga ogfangt.“
Der Regensburger bzw. Freisinger Sprachforscher weist auf das mittelhochdeutsche „staet(e)“ hin und fordert zum Vergleich mit dem hochsprachlichen „stet(ig)“ auf. (Anmerkung: Wer sich statt MAYER „AMERY“ nannte, hieß mit Vornamen CARL, nicht KARL, wie Zehentner mit der Abkürzung K. suggeriert.)
Dem Altbayern geht es also um eine – nur ihm und seiner Mundart zu dankende – Mischung aus Ruhe, Bedächtigkeit, Gemächlichkeit, die Fähigkeit des Zuwartens und der, wie heute gesagt wird, Entschleunigung. In der „staadn Zeit“ hat man Zeit. Da pressiert`s nicht. Da bringt man Geduld auf und fährt nicht gleich aus der Haut, wenn einmal etwas länger als gewohnt oder erwartet dauert. Da eilt nichts. Da sitzt man beisammen und kehrt den Sinn nach innen. Alle Geschäftigkeit sei einmal dahingestellt. Die Sorgen rücken fern. Die Gedanken an Endlichkeit und Ewigkeit dagegen rücken nah. „Staad“ – allein schon der Wort-Klang wirkt kalmierend.
Die Miesbacherin Rosmarie Heindl aber gibt in ihrem Gedicht „Staade Zeit“ zu bedenken:
Laut is worn, de staade Zeit,
Lassts es trotzdem in eier Haus.
Singts a staade Weis,
De macht`s Laute leis,
Kehrt d`Unruah und d`Hast hinaus.
Wenn des Liacht kämpft mit da Dunklheit
Nach am uroidn Ritual,
Dann gebts eich d`Händ weltweit,
Advent is heit
Und da Erlöser steht scho am Portal.
Stellts d`Gabn bereit, zünds a Liachtl o,
Nehmts des Elend in Arm und des Leid,
Denn des Liacht macht warm
und `s Gebn froh.
Und staada werds in eich – de Zeit.
Dieses Gedicht steht in keinem der Bücher aus dem Weihnachtsbibliotheks-Kontingent. Es stand vor 30 Jahren in der Weihnachts-Ausgabe des „Münchner Merkur“. Damals sandten, aufgefordert,Leserinnen und Leser Weihnachtsgedichte an die Redaktion. Einige von ihnen sind in Bairischem Deutsch gehalten, so wie das Gedicht der Miesbacherin.
Sieglinde Ostermeier aus Freising erzählte, in hübschen Mundart-Reimen, vom bedauerlicherweise heutzutage fehlenden „Englshaar“ an Weihnachten. Leider, sagte sie, „leit“ heut auch „koa Glöckerl mea, / boi`s Christkindl kimd“. Sie weinte den „gstoina Christbaam“ nach und bedauerte, dass „koa Sternschnuppn“ mehr „foid“. In die Mettn ginge, behauptete sie, schon gar niemand mehr, und längst würden keine „Lebkuacha“ mehr gebacken und keine „Bratäpfe“ gäb`s mehr aus dem Rohr. Stattdessen dächten „d`Leid“ schon „im Somma an Weihnachtn“ und überlegten bereits „zur Schlussverkaufszeid“, was sie als Geschenke einschaffen sollten. Die Christbäume wären heute aus Styropor, von denen „koane Nodln owafoin“. Zu alledem „plärrts überoi … aus Lautsprecha“ Stille Nacht. „Weihnachtn is hoid aa nimma, wos amoi war.“
Eben dies beklagt „Das Boarische Weihnachtsbüachl“ von 1985 der in Starnberg beheimatet gewesenen Hanna Walther in Geschichten und Gedichten. In einem der ersten lyrischen Beiträge ist statt von der „staadn“ von der „hoamlichn Zeit“ die Rede, was aber in etwa das Gleiche meint. In einem Gedicht des Mittelteils kommt in der Wahl des Konjunktivs, also der Möglichkeitsform, zum Ausdruck, dass heute wohl auf so manches alte Brauchtum kein Verlass mehr ist, wenn es heißt:
Mir kaaman gern zum Kindlwiagn, / Mir kaaman gern zum Stoill. / Na lassat mar a Gsangl hörn, / Mir viere oder drei, / Und taatn a weng musiziern / Mit Flötn und Schalmei.
Mir braachtn aa zum Kindlwiagn / A schneeweiss`s Lambefell, / Und gaabn für Ochs und Esl dir / An Howan und a Heu. / Geh, lass uns halt die Kindl wiagn, / Des daat uns narrisch freu!
„Staad“ wird`s bei der aus dem Rupertiwinkel stammenden promovierten Philologin und „Büachl“-Autorin Hanna Walther erst Am Heilign Obnd:
Koa Schneewind waaht,
Koa Flockn foillt.
`s is seltsam staad.
`s Chistkind kimmt boild!
Vom „Kindl-Anschießen“ mit richtigen Böllern wird dann erzählt, und ganz unwirklich wird es, wenn der Himme glüaht mit lauter Stern“ und auf oamoi was vo fern funkelt, nämlich a schneeweiss`s Gwandl, gschnecklats Haar. Das Christkind ist zu sehen, wie es auf einem Schlitten daherfährt. Den Schein, der am Heiligen Abend am Himmel sichtbar ist, gilt manchem als ein göttliches Zeichen. Und der eine oder andere fragt sich, nicht laut, aber „staad“, ganz für sich:
Wer woass`s, ob `s Chistkindl nomoi kimmt!
A Kind müasst ma halt sei!
Das Fatschnkindl-Foto machte Hans Gärtner auf dem Weihnachtsmarkt von Schloss Tüßling/Oberbayern.
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