Bernhard Weßling: Was für ein Zufall! Über Unvorhersehbarkeit, Komplexität und das Wesen der Zeit, Springer, Wiesbaden 2022, ISBN: 978-3-658-37754-0, 27,99 EURO (D)
Der Autor sieht Zufälle als nichts Ungewöhnliches an, sondern als ein typisches Phänomen bei uns auf der Erde und im gesamten Kosmos. In diesem Buch geht es vor allem um die Fragen: Woher kommt der Zufall, wie kommt er in unsere Welt und warum ist er normal?
Der Autor entwickelt auf der Basis der Naturgesetze eine neue Sicht auf den Zufall und geht dabei vor allem auf Chemie, Quantenphysik und Biologie ein und streift dabei die Astronomie und die Philosophie.
Im ersten Kapitel schildert er mit biografischem Hintergrund zahlreiche Zufälle, die seinen Weg in die Wissenschaft und Grundlagenforschung öffneten. Danach präsentiert er anhand von zahlreichen Beispielen wie die Corona-Pandemie, Geschichte, Politik und Technologie die These, dass es die existentiellen Zufälle sind, die den Lauf der Geschichte bestimmen, in allen Aspekten des Lebens und der Natur. Danach diskutiert er die These, das Kreativität Zufall im Gehirn sei.
Danach geht es um den Begriff der Entropie. Einerseits ist dies die Beschreibung von Ordnung bzw. Unordnung, andererseits wird die Einheit der Entropie vorgestellt. Es wird gezeigt, wie komplexe Strukturen entstehen können, auf der Grundlage von Nicht-Gleichgewichts-Thermodynamik wird erläutert, dass alles um uns herum und wir selbst Nicht-Gleichgewichts-Systeme mit dissipativen Strukturen sind.
Die fehlende Akzeptanz mancher neuer Ideen in der Wissenschaft beschreibt er anhand der Nicht-Gleichgewichts-Thermodynamik. Weiterhin beschreibt er auch seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Dispersionen und Emulationen.
Anschließend betrachtet er anhand anhand charakteristischer Beispiele aus der Biologie, dem Wetter, Klimageschehen, komplexen Netzwerken und Kosmologie die Dynamik und Nicht-Linearität von Nicht-Gleichgewichts-Systemen.
Über die Geburt des Zufalls schreibt er: „Die Ereignisse, die zufällig bzw. nicht vorhersehbar geschehen, haben alle ihre materielle(n) Ursache(n). Im Prinzip handelt es sich dabei um deterministisches Chaos. Alle einzelnen Vorgänge und die ihnen zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten sind berechenbar.“ (S. 179)
Abschließend erklärt er das Phänomen der Dekohärenz.
Das nächste Kapitel über die Zeit beginnt mit einer Vorstellung, was verschiedene Physiker über die Zeit dachten. Dann wird erläutert, dass sie Zeit nicht fließen und nicht vergehen kann. Ferner entwickelt er eine neue Hypothese über das Wesen der Zeit, die lautet: „Die Zeit entsteht durch das Fließen der Entropie. Die Entropieproduktion bzw. der Entropieexport aus offenen Systemen heraus führt zu einem Entropiefluss durch den dreidimensionalen Raum, wodurch die vierte Dimension der Raumzeit, die Zeit, gebildet wird. Die von uns gemessene Zeit ist proportional zur Entropieproduktion, zum Fließen der Entropie. Die Zeit ist eine Art Matrix, in der die Entropie fließt.“ (S. 210)
Zum Schluss geht es um unsere Wahrnehmung der Zeit. Dabei geht es vor allem um die Steuerung der verschiedenen Rhythmen in den Zellen und Organen des Körpers und ihre sensorische und neurologische Verarbeitung und die psychologischen Aspekte der Zeitwahrnehmung.
In den Schlussbemerkungen fasst Weßling nochmal zusammen: „Der Entropiefluss in offenen Systemen hat sich als wesentliches Element für die Ursache des Zufalls und für das Wesen der Zeit gezeigt. Nur in Nicht-Gleichgewichtssystemen sehr fern vom Gleichgewicht bewegt sich etwas, und zwar nicht linear. Entropie fließt, Strukturen werden aufgebaut, ständig können wir Veränderungen beobachten und Entropie wird exportiert.“ (S. 231)
Der Anhang ist sehr umfangreich und findet sich auf einer Webseite (siehe dazu S 237). Am Ende des Buches gibt es ein Inhaltsverzeichnis des Anhangs.
Das Buch bietet viele neue Perspektiven aus naturwissenschaftlicher Sicht und spannende Aspekte über den Zufall. Dies wird gekonnt mit dem Forscherleben des Autors und seinen Erkenntnissen verbunden. Als Nicht-Fachmann ist es stellenweise schwer zu verstehen und die Thesen zu genau zu beurteilen. Ein vollständiges Panorama über Zufall und Nicht-Gleichgewicht wird es dann geben, wenn die vielen Ansätze der Philosophie als Wissenschaftsdisziplin mit einfließen.