Landwirtschaft ist verantwortlich für mehr als 90% der tropischen Entwaldung

Bild von Andreas Lischka auf Pixabay
Übersetzung der Pressemitteilung der Chalmers University of Technology 

Für einen effektiven Kampf gegen die tropische Entwaldung muss auch der indirekte Einfluss der Landwirtschaft berücksichtigt werden, so eine internationale Studie mit HU-Beteiligung

Eine neue Studie, die heute in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, stellt fest, dass die globale Landwirtschaft für 90 – 99 Prozent der gesamten tropischen Entwaldung verantwortlich ist. Allerdings führt nur die Hälfte bis zwei Drittel davon zu einer Ausweitung der aktiven landwirtschaftlichen Produktion.

Die Studie ist eine Zusammenarbeit der weltweit führenden Entwaldungsexpert:innen und liefert eine neue Synthese der komplexen Zusammenhänge zwischen Entwaldung und der Ausbreitung von Landwirtschaft. Nach Auswertung der besten verfügbaren Daten zeigen die Forschenden, dass der Anteil der tropischen Entwaldung, der der Landwirtschaft zuzuschreiben ist, deutlich höher ist als jene 80%, die oft in Politik und Wissenschaft angegeben werden.

Die Studie erscheint zu einem wichtigen Zeitpunkt zwischen der Glasgower Erklärung über Wälder auf der COP26 und der anstehenden UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) im Oktober und Dezember 2022. Sie kann dazu beitragen, dass dringende Bemühungen zur Bekämpfung der Entwaldung von einer zweckmäßigen Evidenzbasis geleitet und bewertet werden.

„Unsere Studie verdeutlicht, dass zwischen 90 und 99 Prozent der gesamten tropischen Entwaldung direkt oder indirekt mit der Landwirtschaft zu tun haben. Uns hat aber überrascht, dass nur ein vergleichsweise geringerer Anteil der gesamten Entwaldung – zwischen 45 und 65 Prozent – direkt zu einer Ausweitung der tatsächlichen landwirtschaftlichen Produktion auf den abgeholzten Flächen führt. Diese Erkenntnis ist von großer Bedeutung für die Entwicklung wirksamer Maßnahmen zur Verringerung der Entwaldung und zur Förderung einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung“, sagt Florence Pendrill, Hauptautorin der Studie an der Chalmers University of Technology, Schweden.

Die Tatsache, dass die Landwirtschaft hauptverantwortlich ist für tropische Entwaldung, ist nicht neu, die bisherigen Schätzungen schwankten jedoch stark – von 4,3 bis 9,6 Millionen Hektar pro Jahr zwischen 2011 und 2015. Die Ergebnisse der neuen Studie grenzen diesen Bereich auf 6,4 bis 8,8 Millionen Hektar pro Jahr ein und helfen, die Schwankungen dieser Zahlen zu erklären.

Auf einem wesentlichen Teil der entwaldeten Gebiete passiert nach der Rodung nichts“, sagt Dr. Matthias Baumann, Forscher am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin, der sich mit dem Gran Chaco in Südamerika beschäftigt, einem globalen Entwaldungs-Hotspot. Er betont, dass mehrere Erklärungen für dieses Phänomen möglich sind: „Im Chaco gehören dazu etwa Landspekulation, Bauern, denen das Geld ausgeht, oder präventive Entwaldung aus Angst, dass diese Praxis in Zukunft illegal wird.“.

Das genaue Verständnis der Rolle von Landwirtschaft ist für politische Entscheidungsträger:innen von entscheidender Bedeutung – sei es innerhalb von Verbraucherregularien wie den kürzlich von der Europäischen Union vorgeschlagenen Sorgfaltspflichten für „entwaldungsfreie Produkte“, Initiativen des Privatsektors für bestimmte Rohstoffe oder für die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums in den Erzeugerländern.

Die Studie verdeutlicht, dass lediglich eine Handvoll Rohstoffe für den Großteil der Entwaldung im Zusammenhang mit der aktiven Produktion landwirtschaftlicher Flächen verantwortlich sind – weit über die Hälfte davon machen Weideland, Soja und Palmöl aus. Sie weist aber auch auf die Mängel sektorspezifischer Initiativen hin, die nur begrenzt indirekte Auswirkungen mit einbeziehen.

„Sektorspezifische Initiativen zur Bekämpfung der Entwaldung können von unschätzbarem Wert sein. Neue Maßnahmen zum Verbot der Einfuhr von Rohstoffen im Zusammenhang mit der Entwaldung auf Verbrauchermärkten, wie sie in der EU, im Vereinigten Königreich und in den USA verhandelt werden, stellen einen wichtigen Schritt nach vorn dar, im Vergleich zu den weitgehend freiwilligen Bemühungen zur Bekämpfung der Entwaldung, die es aktuell gibt“, sagt Dr. Toby Gardner vom Stockholmer Umweltinstitut und Direktor der Initiative für Transparenz in der Lieferkette „Trase“.

„Aber wie unsere Studie zeigt, muss die Stärkung der Wald- und Land-Governance in den Erzeugerländern das ultimative Ziel jeder politischen Reaktion sein. Lieferketten und nachfrageseitige Maßnahmen müssen so gestaltet werden, dass auch die indirekten Wege berücksichtigt werden, in denen die Landwirtschaft mit der Entwaldung verbunden ist. Sie müssen Verbesserungen in der nachhaltigen ländlichen Entwicklung vorantreiben, sonst können wir erwarten, dass die Entwaldungsraten vielerorts hartnäckig hoch bleiben“, fügt Toby Gardner hinzu.

Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass Interventionen in den Lieferketten über den Fokus auf bestimmte Rohstoffe und Risikomanagement hinausgehen müssen, um echte Partnerschaften zwischen Produzenten- und Verbrauchermärkten und Regierungen zu fördern. Dazu sollten starke anreizbasierte Maßnahmen gehören, die eine nachhaltige Landwirtschaft wirtschaftlich attraktiv machen, und gleichzeitig die weitere Umwandlung der einheimischen Vegetation verhindern. Die Autor:innen sagen, dass dies einen stärkeren Fokus auf die Inlandsmärkte sowie eine Stärkung der Partnerschaften zwischen Unternehmen, Regierungen und der Zivilgesellschaft in den Erzeugerländern beinhalten sollte.

Die Studie weist auch auf drei kritische Lücken hin, die es zu schließen gilt, um die Bemühungen zur Verringerung der Entwaldung zielgerichteter zu machen. „Ohne ein globales und zeitlich konsistentes Datenprodukt können wir die allgemeinen Entwaldungstrends nicht messen. Darüber hinaus fehlen mit Ausnahme von Ölpalmen und Soja genaue Informationen über Flächen zur Produktion bestimmter Rohstoffe, wobei unser Wissen im Fall von Weideland besonders lückenhaft ist. Drittens wissen wir nur sehr wenig über tropische Trockenwälder und Wälder in Afrika“,sagt Professor Martin Persson von der Chalmers University und fügt hinzu: „Jede dieser Wissenslücken trägt dazu bei, dass wir tropische Entwaldung nicht effektiv bekämpfen können.“

Ein schrittweiser Wandel in den Bemühungen zur wirksamen Bekämpfung und Eindämmung der Entwaldung und Umstellung anderer Ökosysteme und zur Förderung einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung ist dringend erforderlich. In der Erklärung von Glasgow über Wälder wurde anerkannt, wie wichtig es ist, die Krisen des Klimas und des Verlusts der biologischen Vielfalt zusammen anzugehen. Dabei wurden neue ehrgeizige Ziele für die Bekämpfung der Entwaldung und die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft festgelegt. Die Autor:innen dieser Studie weisen darauf hin, dass es von größter Bedeutung ist, dasseinzelne Länder und politische Entscheidungsträger:innen der Verwirklichung dieses Ziels Priorität einräumen.

Disentangling the numbers behind agriculture-driven tropical deforestation: https://doi.org/10.1126/science.abm9267

 

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