Laisser-faire in Unter Sankt Veit oder Ein Stück Italien in Grinzing

Oft eilen wir an den öffentlichen Gärten und Parks einer Stadt oder Gemeinde vorüber, ohne sie zu beachten. Erst wenn wir Gäste herumführen, werden wir daran erinnert, welche grüne Oasen sich in unserer näheren Umgebung befinden. Entweder von der Stadt regelmäßig gepflegt und verschönert oder von Privatinitiativen wieder entdeckt und herausgeputzt, bereichern sie unsere Umgebung. Und dann gibt es noch die versteckten Kleinode, die man allenfalls nur erahnen kann: die von Mauern und Hecken umschlossenen Privatgärten. Jede Großstadt hat sie. So auch Wien.
Der Landschaftsarchitekt Georg Freiherr von Gayl hat sich gemeinsam mit Fotograf Ferdinand Graf von Luckner auf die Suche nach ihnen gemacht und ist fündig geworden. Ob den beiden Autoren dabei ihre Adelstitel von Vorteil waren, lässt sich allenfalls im Wissen um die Affinität der Österreicher für selbige nur erahnen. Aber so wie ich persönlich einige Wiener erlebte, muss man seinen Magister nicht unbedingt erwähnen oder deren morbiden Charme retournieren, um ihre äußerst herzliche Seite herauszukitzeln und sie zum Öffnen ihrer stählernen oder hölzernen Tore zu bewegen.
Die meisten sehenswerten Privatgärten haben Gayl und Luckner im Nordwesten der Stadt gefunden. Aber auch der Süden und die Innere Stadt bieten sie von der Größe eines ganzen Straßenblocks. Selbst nachdem sich die Stadt seit den 1980er Jahren stark verändert hat (und immer schöner geworden ist), so fanden sie Häuser, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein schien und die sie in Ausstattung und Flair in das 18. Jahrhundert versetzten. Der Autor und sein Fotograf zeigen in ihrem Buch Gärten aus verschiedensten Epochen und mit ganz unterschiedlichem Charakter. Viele gut erhaltene alte Anlagen sind darunter, genauso wie faszinierende Dachgärten im 1. Bezirk, die eine grandiose, vom Wienerwald im Nordwesten eingefasste, Dachlandschaft eröffnen.
In Bild und Text versuchen die beiden Autoren herauszufinden, warum Menschen auf eine bestimmte Weise ihre Gärten gestalten, was ihnen ausgezeichnet gelungen ist. Nicht verwunderlich scheint dabei, wie wichtig persönliche Prägungen sind. Die Bilder der eigenen Kindheit sind bei der Gestaltung des grünen Refugiums zuweilen wichtigster Ansatz- und Ausgangspunkt. Schritt für Schritt erkundeten Gayl und Luckner die sorgsam gehütete Oase, seine versteckten Bereiche, mit Sitz- und Aussichtsplätzen oder einem Wasserbecken. Beinahe etwas Mystisches liegt über allen vorgestellten „Schlupfwinkeln“. Und genau diese Mystik des Verborgenen und Unbekannten machen die beiden Autoren dem Leser und Betrachter dieses Bandes zugänglich.
Fazit: Egal ob romantisch verträumt in Nussdorf, Döbling, Hietzing oder Grinzing, repräsentativ in Simmering oder Ober Sankt Veit, klassisch im 19. Bezirk oder mit südlichem Flair in Neustift am Walde sowie auf den Dächern der Welt, Verzeihung, Wiens, an der Kuppel der Karlskirche, einem Dschungel am Stephansdom, über dem Getreidemarkt, in Wieden oder in einem Penthouse in Alsergrund, das Buch zeigt die schöne Stadt an der Donau von seiner geheimen, noch schöneren Seite.

Georg Freiherr von Gayl, Ferdinand Graf von Luckner
Die geheimen Gärten von Wien
Unentdeckte Paradiese hinter Hecken und Mauern
Deutsche Verlags-Anstalt (März 2013)
192 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3421038813
ISBN-13: 978-3421038814
Preis: 49,99 EUR

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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