So vieles, was der Schweizer Maler und Musiker Paul Klee (1879 – 1940) über Kunst sagte oder niederschrieb, ist von ewiger Gültigkeit. Zum Beispiel: „Die Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“. Der Musiklehrerssohn aus der Nähe von Bern, dessen Mutter Sängerin war, kommt schon bald nach München, wo er im Suresnesschlössl wohnt, wird Schüler von Franz v. Stuck, Kandinskys Freund, Mitglied des „Blauen Reiters“, „Bauhaus“-Professor in Weimar und Dessau, wo er ein von Walter Gropius erbautes Haus bezieht, wird an die Kunstakademie Düsseldorf berufen, 1932 groß gefeiert, erfährt als „entarteter Künstler“ Rückschläge, flieht in die Schweiz, wo seine Kunst gezeigt wird, erkrankt an Sklerodermie, malt, leidend am Weltkrieg und Nationalsozialismus, immer weniger und stirbt mit 61 Jahren.
Dass einem der bedeutendsten, mit München eng verbundenen Künstler des 20. Jahrhunderts erst jetzt – in der Pinakothek der Moderne – die Ehre einer 145 Gemälde und Papierarbeiten umfassenden Retrospektive widerfährt: kaum zu glauben. Nur 16 stammen aus eigenem Bestand. Was aus den USA und Japan ausgeliehen wurde, kriegen hier selbst Klee-Kenner erstmals zu Gesicht. Wer Klees Landschaften dazu nehmen will, darf ins Franz-Marc-Museum nach Kochel reisen – was bei Klee nicht bedeutet, dass es sich um „echte“ Landschaften handelt, eher um imaginäre, zeichenhafte, um Landstriche „der besseren Erkenntnis“.
Klee war stets der Stille unter den zu seiner Zeit Großen der Mal-, Zeichen- und Radierkunst. Er war einer, der lieber laut Geige spielte als große Reden schwang. Umso nachdenklicher war er als Schreibender, auch als Unterrichtender. „Konstruktion des Geheimnisses“ überschrieb man die grandiose Klee-Schau – vieles darin ist in der Tat „konstruiert“, aber zugleich „geheimnisvoll“. Beinah jedes Bild ist erklärungsbedürftig. Da sind die hintergründigen Selbstporträts, zu denen auch eine Handpuppe gehört. Sie hält die Augen offen, während die zart aquarellierte Lithographie von 1919 einen kahlköpfigen jüngeren Mann mit schütterem Backenbärtchen zeigt, Augen geschlossen, Lippen fest aufeinander gepresst. Da sind aber auch die heiteren, naturseligen, den runden roten Mond in den Himmel stellenden Bilder wie „Ad Marginem“ (1930), eine mit Buchstaben und Gefiederten belebte Idylle. Das endet nur vorläufig – denn Klee lässt den Betrachter seiner technisch und thematisch sehr disparat anmutenden Werke mit dem Schwerpunkt auf den 1920er Jahren – bei düsteren Szenerien mit schwarzen Tiefen in dunklem Grün und Violett.
Die Kunst gibt nach Paul Klee nicht das Sichtbare wieder, sondern sie macht sichtbar. Sie lässt den Lauf des oft genug überschatteten Lebens des großen Abstrakten verfolgen – die Ausstellung, die sich lange bei Klees „Bauhaus“-Zeit aufhält, kann auch chronologisch „gelesen“ werden – bis hin zu dem letzten Foto, das den abgemagerten Künstler 1939 in seinem Berner Atelier über eine „konstruierte“ Zeichnung gebeugt zeigt. Da kehrt man gern zwei Jahrzehnte zurück zur 1918 aquarellierten Federzeichnung „Auserwählter Knabe“, die um das Thema „Selbstreflexion des Künstlers“ kreist – in der „visuellen Metapher des Kindes als Schöpfungspunkt der Kunst“, wie im viertelzentnerschweren Katalog (40 Euro) zu lesen steht. Die Ausstellung „Paul Klee. Konstruktion des Geheimnisses“ ist bis 10. Juni täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, geöffnet.
Paul Klee: „Auserwählter Knabe“ (Detail), 1918, Feder und kreidegrundiertes Aquarell auf Leinen, fotografiert von Hans Gärtner