Kritik der Klimaökonomik

Der Klimawandel ist das größte Problem des 21. Jahrhunderts. Zerstören wir die klimatische Grundlage menschlicher Existenz, brauchen wir uns über Finanzkrisen und Arbeitsplätze keine Gedanken mehr zu machen.[1] Trotzdem steht in den Sternen, ob in nächster Zeit ein entschlossener globaler Klimaschutz für die Zeit ab 2012 zwischen den Staaten vereinbart werden wird. Welches Maß an Klimaschutz wäre aber optimal? Genau das möchte die Klimaökonomik in Geld ausrechnen: Möglichst wenig Klimaschäden, aber bitte nur, wenn die dafür nötige Klimapolitik nicht übermäßig viel kostet und möglichst noch andere monetäre Vorteile hat (Wachstum). Das klingt plausibel. Eine solche in der Ökonomik allgemein verbreitete Kosten-Nutzen-Analyse hat dennoch ein großes Problem: Hinter ihren „klaren Zahlen“ verbergen sich komplexe Annahmen hinsichtlich der Fakten und hinsichtlich bestimmter Wertungen. Sind diese Annahmen falsch, ist auch das Ergebnis keineswegs so „objektiv und rational“, wie Ökonomen oft vorgeben. Auch wenn klare Zahlen Politikern und Medien attraktiv erscheinen, drohen uns Ökonomen deshalb eine zu lasche Klimapolitik zu empfehlen.
Natürlich hat die berühmteste Kosten-Nutzen-Analyse, Nicholas Sterns Report von 2006[2], den ökonomischen Nutzen der Klimapolitik zunächst unterstrichen: Energieeffizienz, erneuerbare Energien und der Ausstieg aus Kohle und Öl können die Energieversorgung und stabile Energiepreise dauerhaft sichern und die Abhängigkeit von schwindenden fossilen Brennstoffen von Krisenregionen wie dem Nahen Osten beenden. Klimaschutz spart oft schon kurzfristig Geld (Wärmedämmung) und sichert neue Märkte und Arbeitsplätze. Er ist damit ökonomisch eine große Chance in Zeiten der Finanzkrise – mehr als eine zweifelhafte Abwrackprämie. Erst recht wäre langfristig ein Klimawandel mit Ernteausfällen, Stürmen, entvölkerten Landstrichen und riesigen Migrationsströmen um ein Mehrfaches teurer als eine wirklich einschneidende Klimapolitik.
Das erste große Problem ist aber: Klimaökonomen unterschätzen trotzdem die drohenden Klimaschäden. Der Klimawandel kommt schneller und drastischer als vermutet. Es geht aus aktueller Sicht der Naturwissenschaftler für 2050 im Grunde um minus 95 % Klimagase in den Industriestaaten und minus 80 % weltweit, will man katastrophale Schäden vermeiden. Wer wie Nick Stern global nur 50 % will (oder wie andere noch viel weniger[3]), droht große Klimaschäden in Kauf zu nehmen. Ökonomen stützen damit gerade die aktuelle, lasche Mainstream-Klimapolitik. Die bisher im Schnitt die Emissionen in westlichen Ländern lediglich konstant hält, und zwar so, dass ein Deutscher immer noch die dreifache Pro-Kopf-Emissionsmenge hat wie ein Chinese. Auch im vermeintlichen Vorreiterland Deutschland verhelfen nur Rechentricks zu sinkenden Emissionen: der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie 1990 und die Abwanderung der Produktion unserer Wohlstandsgüter in die Schwellenländer – die nunmehr für uns produzieren und dafür unsere Emissionen in ihre Bilanzen geschrieben bekommen. Weltweit sind die Emissionen seit 1990 sogar um 40 % gestiegen.
Das zweite Problem der Klimaökonomik ist: Klimaökonomen möchten Klimaschäden meist teilweise durch Wirtschaftswachstum ausgleichen. Dies ist jedoch mit ernsthaftem Klimaschutz nicht dauerhaft vereinbar, auch wenn Klimaschutz kurzfristig wirtschaftliche Belebung verspricht. Wächst man ökonomisch immer weiter, frisst der Wohlstandszuwachs die technisch realisierbarer Energieeffizienz- und Erneuerbare-Energien-Treibhausgaseinsparungen mindestens teilweise auf. Bildlich gesprochen: Wenn mein Auto zwar immer energieeffizienter läuft, weltweit aber immer mehr Menschen ein Auto fahren (und ich selbst ein immer größeres Auto), ist wenig gewonnen. Und genau so ist momentan die Tendenz. Dies erklärt, warum die Emissionen z.B. in den Industriestaaten seit 1990 trotz vielfältiger klimapolitischer Bemühungen stagnieren. Neben diesem „Rebound-Problem“ besteht ein „Größen-Problem“: Will man den globalen Klimawandel auf ein nicht-katastrophales Ausmaß begrenzen, sind drastische Treibhausgasreduktionsziele zwingend nötig. Es geht ja nicht darum, den weltweiten Wohlstand zu vermehren und durch mehr Effizienz die Treibhausgasemissionen konstant zu halten oder leicht zu senken. Es geht vielmehr darum, sie global (!) um etwa 80 % zu senken – und zugleich den Entwicklungsländern Spielräume für die Armutsbekämpfung zu geben.
Und auch unabhängig besteht schlicht das „physikalische Problem“: Wachstum stößt in einer endlichen Welt irgendwann an Grenzen; es sei denn, man meint Wachstum an Bildung, Klavierspielfertigkeit u.ä. Es kann nicht die gesamte Welt – also auch alle Inder, Chinesen oder Indonesier, die sukzessive den okzidentalen Lebens- und Wachstumsstil übernehmen – unendlich immer reicher werden. Auch wenn die Menschheit von fossilen Brennstoffen auf Sonnenenergie umsteigt, bleiben die sonstigen Rohstoffe dieser Welt endlich. Auch Windräder und Öko-Autos bestehen aus Ressourcen. Und dass allein „neue Ideen“ dauerhaft wachsen und dadurch ohne jeglichen Ressourcenverbrauch doch „ewiges Wachstum“ ermöglichen könnten, kann man zwar hoffen, erscheint aber zumindest offen, so dass zweifelhaft ist, ob man ernsthaft auf der Grundlage einer solchen Annahme seine klimapolitischen Empfehlungen entwickeln sollte. Ganz generell führen „Ideen“ eben potenziell auch dazu, dass auch wieder konkrete materielle Ressourcen verbraucht werden. Man denke nur an das Internet und viele andere neue Technologien.
Vielleicht ist endloses Wachstum ohnehin gar nicht erstrebenswert: Sind die im Schnitt viel ärmeren Brasilianer wirklich im Schnitt unglücklicher als die Deutschen? Freilich wäre ein verstärktes Nachdenken und Forschen über die Folgeprobleme eines langfristigen „Endes des Wachstumsgedankens“ angezeigt, etwa für den Sozialstaat. Historisch ist eine Wachstumsgesellschaft ohnehin ein Sonderfall, gebunden an das Auftreten der fossilen Brennstoffe. Tendenziell hat die Menschheit im fossilen Zeitalter jedenfalls ein technisches Wissen aufgebaut, welches es ermöglichen dürfte, wesentliche Errungenschaften dieses Zeitalters gleichwohl zu bewahren.
Das dritte Problem der Klimaökonomik ist: Wesentliche Kosten und Nutzen des Klimawandels sind ökonomisch nicht abbildbar. Millionen Tote und Ressourcenkriege um Wasser würden zwar auch ökonomische Kosten auslösen. Es ist aber offenkundig, dass das eigentlich Fatale an solchen Entwicklungen mit dem Hinweis auf Kriegs- und Krankenhauskosten nur zu einem Bruchteil erfasst wird. Da hilft es auch nicht, wenn Ökonomen diese „weichen“ Faktoren oft doch noch zu Geld machen, indem sie die hypothetische Zahlungsbereitschaft der Menschen fürs stabile Klima und ihr eigenes Überleben in die Kosten-Nutzen-Analyse einbeziehen. Denn das wäre fiktiv und irreal; es gibt keinen Markt, der uns sagt, was ein Leben „kostet“. Überdies ist die Zahlungsbereitschaft naturgemäß durch die Zahlungsfähigkeit beschränkt. Soll etwa Bill Gates’ Leben 10 Milliarden Dollar zählen, das Leben eines Bangladeschis dagegen nur 1 Dollar, weil er einfach nicht mehr Geld hat? Nur weil dessen Leiden erst in einigen Jahrzehnten liegt, zählt es außerdem nicht weniger, auch wenn Ökonomen das meist annehmen.
Das vierte Problem der Klimaökonomik ist: Wenn man schon rechnet, sollte man wenigstens die wirklich monetären Kosten vollständig anzugeben versuchen. Wo aber sind in ökonomischen Modellen die Kosten der Ressourcenkriege, die bei einer zu zögerlichen Klimapolitik durch schwindende Brennstoffe und Lebensgrundlagen drohen? Dabei sind Kriege um Öl und Wasser (schon von den rein monetären Ausgaben her) so teuer, dass selbst die radikalste Klimapolitik kaum mithält.
Man kann jetzt allerdings fragen: Warum überlassen wir all dies nicht dem freien Belieben der Konsumenten? Wenn uns Urlaubsflüge und Autofahrten nun einmal mehr Geld wert sind als Klimaschutzmaßnahmen, wie man täglich sieht? Das Problem ist aber eben: Freiheit ist nicht nur die Freiheit zahlungskräftiger Konsumenten, sondern auch die Freiheit der Bangladeschis und künftiger Generationen, die beide heute am freien Markt mangels Kaufkraft kaum präsent sind. Das auszublenden, wäre schlicht irrational und ideologisch – also genau das, was viele Ökonomen gern allen anderen vorwerfen.
Man kann die richtige Klimapolitik also nur teilweise „ausrechnen“. Wer vorgibt, mehr zu können, schadet auch der Demokratie: Denn die scheinbar exakten klimaökonomischen Aussagen erwecken leicht den Eindruck, die Politiker seien völlig irrational, wenn sie den Ökonomen nicht folgen.
Statt Mainstream-Politik wie die Klima-Volkswirte favorisieren Klima-Betriebswirte oft gar ein rein freiwilliges unternehmerisches Klima-Handeln. Also Unternehmensethik und Druck der Konsumenten statt politischer Vorgaben. Das ist sicher auch wichtig. Wie aber soll der zumeist eigennützige Mensch, den gerade Ökonomen immer diagnostizieren, rein (!) freiwillig unsere Emissionen fast auf Null senken? Es geht eben nicht einfach darum, etwas ökologischere Produkte zu verkaufen und zu kaufen, dafür aber gleichzeitig immer mehr zu kaufen und zu produzieren. Es geht vielmehr darum, Ressourcen und Klima nicht „pro Produkt“, sondern absolut zu entlasten, und zwar massiv. Und zugleich den Entwicklungsländern Spielräume für die Armutsbekämpfung einzuräumen. Klima-Volkswirte sagen zu recht: Das Klima erscheint vordergründig „kostenlos“ und wird deshalb zu stark genutzt. Das ändern wir nur, indem wir Politik machen.

Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A., Jurist, Philosoph und Soziologe, Forschungsgruppe Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Könneritzstraße 41, 04229 Leipzig, felix.ekardt@uni-rostock.de, www.sustainability-justice-climate.eu. Kürzlich erschien bei Herder „Cool Down. 50 Irrtümer über unsere Klima-Zukunft – Klimaschutz neu denken“.

[1] Zum gesamten Text ausführlicher Ekardt, Climate Change and Social Distributive Justice, 2010 (Download unter www.sustainability-justice-climate.eu) und Ekardt, Cool Down: 50 Irrtümer über unsere Klima-Zukunft – Klimaschutz neu denken, 2009 sowie in Kurzform Ekardt, SZ vom 17.11.2009, S. 18.
[2] Eine Aktualisierung bietet Stern, A Blueprint for a Safer Planet, 2009.
[3] Siehe etwa Nordhaus, A Question of Balance, 2008.

Über Ekardt Felix 5 Artikel
Prof. Dr. Felix Ekardt, geboren 1972, ist Jurist, Philosoph und Soziologe. Schwerpunkte seiner Forschungen sind die Theorie der Gerechtigkeit, die Theorie der Nachhaltigkeit, die Klimapolitik und Fragen der politischen Steuerung in der Weltgesellschaft. Seit 2002 ist er Gastdozent für Philosophie an der Universität Leipzig, seit 2009 Professor an der Universität Rostock. Zuletzt erschienen die Bücher: „Welthandelsrecht und Sozialstaatlichkeit“ (2009) und „Soziale Gerechtigkeit in der Klimapolitik“ (2010).

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