Der spätere DDR-Dramatiker Peter Hacks (1928-2003) wurde in der schlesischen Hauptstadt Breslau geboren und geriet gegen Kriegsende 1945 in amerikanische Gefangenschaft. Im März 1946 konnte er in Wuppertal das Abitur ablegen, er zog zu seinen Eltern, die nach der Flucht aus Schlesien im bayerischen Dachau eine neue Unterkunft gefunden hatten, und studierte Theaterwissenschaft in München, wo er 1951 von Artur Kutscher (1878-1960) mit einer Arbeit über „Das Theaterstück des Biedermeier“ promoviert wurde.
Als freier Autor lebte er vier Jahre in München und bekam 1954 für sein zweites Drama „Eröffnung des indischen Zeitalters“ (1954), das ein Jahr später in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde, den Dramatikerpreis der Stadt München zugesprochen. Sein Lehrmeister als Dramatiker war der 1948 in Ostberlin lebende „Stückeschreiber“ Bertolt Brecht (1898-1956), auf dessen Spuren Peter Hacks 1955 mit seiner Frau Anna Elisabeth Wiede in den 1949 gegründeten „Arbeiter- und Bauernstaat“ übersiedelte.
Da seine noch immer in Dachau lebende Mutter (1896-1972), Vater Karl Hacks war 1950 gestorben, Unverständnis zeigte für diesen Schritt, nahm sie ihrem Sohn das Versprechen ab, ihr jede Woche einen Brief nach Dachau zu schreiben und über seine Befindlichkeit zu berichten. Sohn Peter hat, oft missmutig und widerwillig, dieses Versprechen eingehalten bis zum Tod seiner Mutter 1972. Die 450 Briefe sind erhalten geblieben und dürften heute als unersetzliche Zeugnisse aus den ersten DDR-Jahren des Dramatikers gelten. Aus diesem Konvolut sind zehn Briefe im dritten Heft 2012 der Berliner Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ abgedruckt.
Auffallend bei diesem Briefwechsel ist, dass der überzeugte Kommunist Peter Hacks das „kapitalistische Westdeutschland“ offensichtlich mit Abscheu verlassen hat, in seinen Briefen aber offenbarte, dass er auf die Annehmlichkeiten einer „untergehenden Gesellschaftsordnung“ keineswegs verzichten wollte und deshalb den Briefen an seine Mutter fast immer Einkaufslisten für Westwaren, die er dringend benötigte, beilegte oder bereits eingetroffene Waren ausführlich würdigte oder noch ausgebliebene bei der Mutter anmahnte. So wünschte er sich zum Beispiel Käse, Rosinen, Pampelmusen, Schokolade, Mixed Pickles, Marshmallows, Nüsse, Gelatine, Oliven, Fruchtkonfekt, verschiedene Teesorten (bevorzugt waren die von Dallmayr in München), Klopapier, „Fuß-Frisch“-Spray“, Waschmitteleimer von Dash oder Kosmetika für seine Ehefrau. Offensichtlich war er damals nicht in den anderen Teil Deutschlands umgezogen, sondern nach Sibirien!
Mit ihren geringen Geldmitteln als Rentnerin hätte seine Mutter diesem Aufschrei nach Westwaren überhaupt nicht nachkommen können. Peter Hacks aber verdiente mit seinen Theaterstücken auch in Westdeutschland Geld, harte Westmark nämlich, die er, dazu war er verpflichtet, hätte an eine DDR-Bank transferieren und beim Finanzamt angeben müssen. Das tat er auch, überredete aber, obwohl er in Ostberlin als überzeugter Kommunist auftrat, seinen Münchner Verleger vom Drei-Masken-Verlag, von jedem Honorar einen Teil abzuzweigen und seiner Mutter zu überweisen, die davon die heißbegehrten Westwaren bezahlte.
Noch zehn Jahre nach dem Umzug von München nach Ostberlin dankte er unter dem Datum des 30. Mai 1965 „für das Fresspaket“ und bat zugleich um urologischen Tubentee, Reyno-Zigaretten und „Shepard`s Hotel“ (Zigarettenmarke). Als ihm seine Mutter einen Kaffeeautomaten schickte, war er außer sich vor Freude und schrieb am 5.Dezember 1965: „Die Kaffeemaschine ist aufregend. Das weißgoldene Muster passt ja genau, entweder zu dem Fürstenberg-Service oder dem KPM-Service…“. Peter Hacks lebte offensichtlich schon damals in der kommunistischen Zukunft, die freilich ohne Westwaren nicht möglich war!
Da er bis zuletzt befürchten musste, bei Mutter und Bruder Jakob, der noch dazu aktives FDP-Mitglied war, auf Unverständnis für seinen Schritt über die innerdeutsche Grenze zu stoßen, schnitt er dieses Thema auch nur einmal an und äußerte sich am 9. August 1955 belustigt über die Ansichten seiner Mutter: „Es ist mir bekannt, dass Du unsere Existenz so verstehst, dass wir mit gedrückten Gesichtern auf einem Ruinenhaufen sitzen und vom Staatssicherheitsdienst mit Kaviar gefüttert werden…Ich werde nicht versuchen, Dir das auszureden. Es ist mir in fünf Jahren nicht gelungen, und es wird mir in weiteren fünf Jahren nicht gelingen. Du wirst uns mal für zwei Wochen besuchen, dann erledigt sich das von selber.“
Er verzichtete auch darauf, seinen westdeutschen Verwandten Erklärungen darüber abzugeben, warum seine beiden Gegenwartsstücke „Die Sorgen und die Macht“ (1959) und „Moritz Tassow“ (1961) verboten worden waren. Wie andere DDR-Autoren auch, die mit Staat und Partei in Konflikt geraten waren, vermied er es fortan, sich auf die riskante Gestaltung von Gegenwartsstoffen einzulassen, sondern bearbeitete Vorlagen aus der Antike und der deutschen Klassik. Mit der Komödie „Ein Gespräch im Hause Stein in Abwesenheit des Herrn von Goethe“ (1974) konnte er seinen größten Erfolg feiern.
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