Körber Stiftung: Nach US-Wahlen und Koalitionsaus: Wie denken die Deutschen über Außenpolitik?

Amerika-Fahne, Quelle: SGL

Deutsche wollen mehr in europäische Sicherheit investieren 

73 Prozent der Deutschen sind nach den US-Wahlen und dem Koalitionsaus der Meinung, dass Deutschland mehr in die europäische Sicherheit investieren sollte. Dennoch sprechen sich 58 Prozent dagegen aus, dass Deutschland eine westliche Führungsrolle übernimmt, sollten sich die USA international zurückziehen.

Bereits im September traf der Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius, die Verteidigungsausgaben auf 3 bis 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, bei 50 Prozent der Befragten auf Zustimmung. 15 Prozent halten diesen Wert sogar für zu niedrig. Gleichzeitig spricht sich die Mehrheit der Deutschen (65 Prozent) gegen eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa aus. 2023 waren dies noch 71 Prozent. Auch wenn es um ein stärkeres Engagement in internationalen Krisen insgesamt geht, sind die Deutschen gespalten: 46 Prozent sprachen sich im September dafür aus. Das ist der höchste Wert seit Umfragebeginn in 2017. Gleichzeitig lehnen 44 Prozent ein stärkeres internationales Engagement weiterhin ab.

Das ist das Ergebnis der jährlichen repräsentativen Umfrage The Berlin Pulse der Körber-Stiftung, die im September vom Meinungsforschungsinstitut Verian durchgeführt und im Anschluss an die US-Präsidentschaftswahl und den Koalitionsbruch um eine Zusatzbefragung am 7. und 8. November ergänzt wurde.

„Das Wahlergebnis in den USA und der Bruch der Ampelkoalition sind für Europa ein echter Stresstest. Dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung der Meinung ist, Deutschland solle mehr Geld in die europäische Sicherheit investieren, sollte unabhängig von der Frage, wer zukünftig die Bundesregierung stellt, als Votum verstanden werden, die ‚Zeitenwende‘ konsequent umzusetzen”, kommentiert Nora Müller, Leiterin des Bereichs Internationale Politik der Körber-Stiftung, die Umfrageergebnisse.

Transatlantische Beziehungen nach den US-Wahlen vor Bewährungsprobe

Die bevorstehende Präsidentschaft von Donald Trump wird sich aus Sicht von 79 Prozent der Deutschen negativ auf die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA auswirken. Diese wurden noch im September von 74 Prozent der Deutschen und 84 Prozent der Befragten in den USA als gut oder sehr gut bewertet. Nun stehen die Zeichen auf Diversifizierung: 88 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass die Beziehungen zu europäischen Partnern im Vordergrund stehen und 71 Prozent, dass die Beziehungen zu Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ausgebaut werden. Dennoch bleiben auch nach den US-Wahlen für 46 Prozent der Deutschen die USA der wichtigste Partner – vor der Präsidentschaftswahl waren es 47 Prozent. Auf die Frage nach der größten außenpolitischen Kompetenz nannten nach dem Koalitionsbruch 28 Prozent der Befragten Friedrich Merz, der damit den höchsten Zuspruch erhielt.

Größte Herausforderung bleibt Krieg in der Ukraine

Auf die Frage nach den drei größten außenpolitischen Herausforderungen für Deutschland entfielen im September 45 Prozent der Nennungen auf den Krieg in der Ukraine – der höchste Wert seit dem russischen Einmarsch in 2022. 31 Prozent der Nennungen fallen auf das Thema Migration und 17 Prozent auf den Krieg im Nahen Osten.

Schwindende Solidarität mit der Ukraine

Zweieinhalb Jahre nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine spricht sich weiterhin eine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen für eine militärische Unterstützung der Ukraine aus. Im Vergleich zum Vorjahr (66 Prozent) ist dieser Anteil jedoch gesunken. Besonders gering ist die Zustimmung in Ostdeutschland, wo nur 40 Prozent die anhaltende militärische Unterstützung befürworten.

47 Prozent der Befragten sind der Meinung, die Ukraine solle sich so lange gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen, bis alle von Russland besetzten Gebiete zurückerobert sind. Demgegenüber vertreten 43 Prozent die Ansicht, die Ukraine solle Teile ihres Territoriums an Russland abtreten, um so zu versuchen, ein Ende des Krieges herbeizuführen. Die USA sehen 70 Prozent der Befragten als Partner beim Umgang mit dem Krieg.

Vielfache Bedrohungen für die deutsche Sicherheit

Eine Mehrheit der Deutschen (82 Prozent) sieht in Russland eine militärische Bedrohung für Deutschland. Dieser Wert ist im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozentpunkte gestiegen. Die Hälfte der Deutschen (52 Prozent) glaubt, dass die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland das Risiko eines Krieges mit Russland erhöht. Der Iran wird von 60 Prozent der Befragten als militärische Bedrohung wahrgenommen, China von 57 Prozent.

Deutliche Ablehnung der Militärhilfen für Israel

Eine deutliche Mehrheit (79 Prozent) spricht sich gegen eine militärische Unterstützung Israels im Krieg gegen die Hamas aus. Gleichzeitig meinen 64 Prozent, dass Deutschland zwischen Israel und der Hamas als Vermittler auftreten sollte. 87 Prozent der Befragten befürworten humanitäre Hilfe Deutschlands für die Menschen im Gazastreifen. Die USA werden von 54 Prozent der Befragten als Partner für Deutschland im Krieg Israels mit der Hamas gesehen.

Anhaltendes Misstrauen gegenüber China

Der wachsende Einfluss Chinas wird von 61 Prozent der Befragten negativ bewertet. Mehr als die Hälfte der Deutschen (56 Prozent) sehen in China zudem eine große Bedrohung für die heimische Wirtschaft. Weitere 34 Prozent empfinden zumindest eine geringe Bedrohung. Sechs von zehn Deutschen (60 Prozent) sprechen sich für eine größere wirtschaftliche Unabhängigkeit von China aus – auch wenn dies wirtschaftliche Einbußen und den Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland zur Folge hätte.

Klarer Wunsch nach geregelter Zuwanderung

Eine große Mehrheit (91 Prozent) fordert striktere Rückführungsmaßnahmen für abgelehnte Asylsuchende sowie strengere Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen (85 Prozent). Gleichzeitig sprechen sich 85 Prozent der Befragten dafür aus, anerkannte Asylsuchende stärker bei der Integration zu unterstützen.

Die Umfrage

Verian hat im Auftrag der Körber-Stiftung im September 2024 1.010 und am 7. und 8. November im Anschluss an die US-Wahlen und den Koalitionsbruch 1.000 Wahlberechtigte ab 18 Jahren in Deutschland zu ihren außenpolitischen Einstellungen befragt.  Alle US-Daten wurden durch das Pew Research Center im September erhoben. Alle Ergebnisse, Tabellen, Grafiken und weitere Hinweise zur Erhebung sind ab dem 12. November um 00:00 Uhr online verfügbar unter: www.theberlinpulse.org.

Die Publikation

The Berlin Pulse der Körber-Stiftung vergleicht auf Basis einer repräsentativen Umfrage die außenpolitischen Einstellungen der Deutschen mit internationalen Erwartungen hochrangiger Expertinnen und Experten an die deutsche Außenpolitik. Die achte Ausgabe beinhaltet Meinungsbeiträge von Boris Pistorius, Halyna Yanchenko, Majed al-Ansari, Hanno Pevkur und weiteren.

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