Vor über einem halben Jahrhundert betrat der Schreiber dieser Zeilen letztmalig das „Theater an der Parkaue“. Damals hieß es „Theater der Freundschaft“ und es ermöglichte ihm die ersten Theatererlebnisse seines Lebens – das „Tierhäuschen“ gehörte dazu.
Ende Mai nun gab es im „Jungen Staatstheater Berlin“ die Jahrtausendpremiere von Friedrich Maximilian Klingers berühmten, aber selten gespielten Schauspiels „Sturm und Drang“ von 1776. Bekannt ist das Stück vor allem, weil der Genieapostel Christoph Kaufmann statt des alten Titels „Wirrwar“ den neuen „Sturm und Drang“ vorgeschlagen hatte, der später einer Literaturperiode den Namen geben sollte. Als Klinger dieses Stück mit einem mehr als verwirrenden und überladenen Plot im Sommer 1776 in Weimar vortrug, hat Goethe bald fluchtartig den Raum verlassen. Auch dies trug zum Zerwürfnis zwischen beiden Dichtern bei. Schon Zeitgenossen Klingers hatten mit dieser Fabel erhebliche Probleme. Einige schlugen aus guten Gründen vor, zu dem alten Titel „Wirrwar“ zurückzukehren.
Auch Klinger wollte 1776 Tragisches mit Komischen verbinden: „… das tiefste tragische Gefühl wechselt immer mit Lachen und wiehern.“ (Erst im Vergleich wird deutlich, welch‘ gewaltiger Wurf Jakob Michael Reinhold Lenz zwei Jahre vor Klinger mit seiner sozial genauen Tragikomödie „Der Hofmeister“ gelungen war.)
Klinger führt vor, wie in Amerika, mitten im Krieg, drei Engländer / „Fremde“ mit den sprechenden Namen wie Wild, Blasius und La Fleu (Feuer) auftauchen. Sie sind auf der Suche nach Abenteuern, auch in der Liebe: Jenny Caroline, Lady Katharine und Louise begegnen ihnen. Es kommt zu Verwechslungen, Verirrungen, einem Duell. Am harmonischen Ende erleben wir Familienzusammenführungen. Einige der Protagonisten suchen ihr Heil in einer Schäferidylle.
Regisseur Kay Wuschek ließ sich von seinem Bühnenbildner Joachim Hamster Damm eine Arena bauen, in der die Besucher – hufeisenartig sitzend – dicht am Geschehen sein können, in das sie mehrfach einbezogen wurden. Ein Spielort ist mittig ein großer Holzreifen, der sich als kleine Drehbühne entpuppt. Die Inszenierung beginnt mit rasantem Spiel, mit hohem Sprechtempo. Bald wird klar, dass alle Mimen ihrem Affen Zucker geben können. Sämtliche der typisierten Figuren sind satirisch überzeichnet. Die Situationskomik des Geschehens wird dadurch verstärkt, dass Wuschek die drei männlichen „Fremden“ La Feu, Blasius und Wild weiblich besetzt, mit kleineren Schauspielerinen. Die Frauenrollen übernehmen stattliche männliche Darsteller. Im Gegensatz zur stürmischen und liebestollen jungen Generation hängen die Väter Lord Burkley (Jakob Kraze) und Lord Bushy (Dennis Pöpping) in den alten Mustern (Kostümen) fest.
Das Geschehen spielt in und vor einem Gasthaus. Gleich beim Hereingehen kann der Besucher an der Hauswand Orientierung finden: „Amerika, Krieg, 1776“. Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg ist indessen nicht der Stoff des Stückes, sondern bietet bestenfalls die Folie. Auch wenn gegen Ende der Inszenierung laute Musik, Theaterdonner, Gewölk und Bildnisse von zerstörten Gesichtern auf Martialisches verweisen, wird nichts vom Zweck und der Bedeutung dieses Krieges deutlich. Im Gegenteil – hier und da werden Kriegsverletzungen gar mit komischen Mitteln gezeigt. Dies liegt weniger an der Inszenierung, als vielmehr daran, dass die Dichter um Klinger (Klopstok, Schubart und Stolberg ausgenommen) zunächst kaum etwas von der Bedeutung des Freiheitskrieges begriffen hatten. Im Krieg sahen sie lediglich „ein verlockendes Ventil für ihre Energien“ (Roy Pascal). Klinger selbst, der später eine militärische Laufbahn einschlagen sollte, notierte 1779 in einem Brief: „Wo Krieg ist, bin ich.“ Die sehr verschiedenen und phantasievollen Kostüme, die gleichfalls Joachim Damm entwarf, haben nichts Gleichmacherisches, Uniformiertes. Auch dies unterstreicht, dass Klingers Drama nicht eines ist, das vordergründig vom Krieg handelt.
Zu erleben war ein eindrucksvoller Theaterabend, bei dem die Akteure und Besucher gleichermaßen auf ihre Kosten kamen und den Spaß genießen konnten. Der Versuch, sich dieses Dramentextes anzunehmen, ist uneingeschränkt zu loben. Der Beleg dafür, dass es um einen gewichtigen Theatertext handelt, wurde nicht erbracht. Dies lag an der literarischen Vorlage, nicht aber an der Leistung des Ensembles.