Kinderstühle müssen Namen haben. Sie heißen Zocker, Mammut, Elefant, Pampers, Funny, Julian, Trissen oder Sapper. Sie schauen lustig aus. Manche sind so, wie sie heißen, manche haben Buben- oder Fantasienamen. Sie bestehen aus Kunststoff, Holz, Karton, Draht und anderen Materialien. Sie sind gegossen, gezimmert, gefaltet oder auch geflochten. Nicht alle Stühle, die sich Erwachsene für Kinder haben einfallen lassen, gefallen Kindern gut. In einem Versuchs-Kindergarten mit dem netten Vereins-Namen „Karl & Liese“ lehnten die Kinder zum Beispiel den Stuhl mit dem Namen „Papers“ ab, den eine Firma wohl eigens „kindertümlich“ getauft und recht kleine Mädchen und Buben mit Pampers darauf abgebildet hat. Dagegen gefiel ihnen der Stuhl „Zocker“ am besten.
Im Skulpturen-Obergeschoss der Rotunde der Pinakothek der Moderne sind derzeit unter dem Titel „… nur Stühle?“ Kinderstühle der Sammlung Neuwald zu sehen. Erster Eindruck, der sich nach zwei Durchgängen bestätigt: interessant und „pädagogisch aufschlussreich“. Kein kunterbuntes Gewirr von meist farbigen Sitzgelegenheiten für die Kleinsten (also eher für Kindergarten- als für Schulkinder), sondern ein geordnetes, in Gruppen nach bestimmten Gesichtspunkten zusammengefügtes, abwechslungsreiches Stühlchen-Stelldichein. Es besticht durch Vielfalt, Fantasiereichtum und den berechtigten Anspruch, zu zeigen, dass sich das gezielte Herstellen von Stühlen schon für Kinder lohnt. Der Firma Thonet hat nicht nur ihre Erfindung des Bugholzverfahrens zu einiger Berühmtheit verholfen – sie war es auch, die ein noch heute gültiges Design für Stühle schuf, die sich auch weniger bemittelte Bevölkerungsschichten leisten konnten und, was viele nicht wissen, schon 1866 Möbel speziell für Kinder entwarf.
Ein Kinderstuhl muss mehr bieten als ein Stuhl für Erwachsene. Er muss vielseitig verwendbar sein und zugleich zum Spielen anregen. Viele Kinder, besonders die ganz jungen, ziehen es vor, lieber unter den Stuhl zu kriechen als sich auf ihn draufzusetzen. Der Münchnerin Gisela Neuwald wurde das Sammeln von Kinderstühlen zur Leidenschaft. An die 300 Kinderstuhl-Objekte hat sie im Lauf von vier Jahrzehnten zusammengebracht. Da ist Klassisches ebenso dabei für Kurioses. Da gibt es Stühlchen, deren auffällig gelungenes Design besticht, zugleich aber im hohen Maße Kindern und ihren Ansprüchen gerecht wird. Da leistet die Volkskunst ebenso einen Beitrag wie die absichtslose Möbelindustrie. Was die Neue Sammlung in Zusammenarbeit mit der nicht weit entfernt liegenden Technischen Hochschule München (Lehrstuhl für Raumkunst und Lichtgestaltung) ausstellt, hat sie in einem langjährigen Forschungsprojekt im Fach Möbeldesign an der Fakultät für Architektur der TUM untersucht. Sie überfüttert nicht und sorgt für Hingucker.
Am meisten Anziehungskraft haben die Unikate wie Rudolf Botts „Kinderhochstuhl“ aus Kiefernholz von 1994 oder ein anonymer dunkler schmaler Lehnstuhl aus afrikanischem Holz, über dessen Entstehungszeit, -ort und –umstände die Sammlerin nichts in Erfahrung brachte. Roger Martens` grünes, leichtgewichtiges Gartensitzmöbel „Trotter“ von 2014 wird in Italien in Serie produziert. Aus kunststoffbeschichtetem Karton besteht Peter Murdochs Kinderstuhl „Spotty“ von 1963. In Mexiko malt man, wie sich selber, seine Häuser oder Wände, so auch die Kinderstühlchen an – und wenn, dann grellgelb und mit einem Vogel drauf. Einfach schön. Einfach und schön.
Die von Anna-Sophia Reichelt zusammen mit Bettina-Maria Mueller kuratierte Ausstellung „… nur Stühle?“ in der Neuen Sammlung der Pinakothek der Moderne ist bis 4. Februar 2018 zu sehen. Geöffnet ist sie von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18, am Donnerstag bis 20 Uhr.
Foto (Hans Gärtner): Moderne Kinderlehnstühle aus Mexiko, der Schweiz und Deutschland
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