Keine Grundlage für eine Restitution des Gemäldes „Das Zitronenscheibchen“ von Jacob Ochtervelt an die Erben des Bankiers Carl Hagen

Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen können dem Begehren der Erben nach dem Bankier Carl Hagen (1856-1938) auf Restitution des Gemäldes „Das Zitronenscheibchen“ von Jacob Ochtervelt nicht entsprechen, da es sich bei diesem Gemälde nach der vorhandenen Faktenlage nicht um einen verfolgungsbedingten Entzug während des nationalsozialistischen Regimes handelt. Zu demselben Ergebnis ist in einem parallel gelagerten Fall um das Gemälde „Flusslandschaft“ von Jan van Goyen auch das Mount Holyoke Museum, Massachusetts (USA) gelangt, das die Begehren der Erben nach Carl Hagen auf Herausgabe auch dieses Gemäldes ebenfalls abgewiesen hat.

Begründung der Entscheidung
Nach umfangreichen Recherchen steht für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zweifelsfrei fest, dass das Gemälde „Das Zitronenscheibchen“ von Jacob Ochtervelt bis zu seiner Veräußerung im Jahr 1938 im wirtschaftlichen Eigentum von Regierungsrat Carl Thürling, Amsterdam und Berlin stand. Dem Bankhaus Hagen & Co., an dem Carl Hagen maßgeblich beteiligt war, war lediglich ein Sicherungsrecht an dem Gemälde eingeräumt worden. Regierungsrat Carl Thürling hatte das Sicherungsrecht an diesem sowie an 20 weiteren Gemälden eingeräumt, um einen Kredit in sechsstelliger Höhe zu besichern, den er in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgenommen hatte. Zu diesen weiteren Gemälden aus der Sammlung Carl Thürlings gehörte auch das Gemälde „Flusslandschaft“ von Jan van Goyen (Mount Holyoke Museum, Massachusetts, USA). Das Gemälde „Das Zitronenscheibchen“ wurde 1938 auf Geheiß des Bankhauses Hagen & Co. im Rahmen der Verwertung des Sicherungsrechts an Johannes Hinrichsen und Hans Bammann zu einem – wie von Sachverständigen bestätigt – marktgerechten Preis (RM 35.000) verkauft und gelangte kurz darauf in die Sammlung von Fritz Thyssen (1873-1951), aus der es die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen im Jahr 1992 erworben hatten.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen nehmen jeden Antrag auf Rückgabe von Kunstwerken, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen und in der Folgezeit nicht zurückgegeben worden sind, sehr ernst. Sie gehen jedweden Hinweisen nach, um gerechte und faire Lösungen für die ehemals Verfolgten und deren Nachkommen zu finden. Eine Rückgabe kann dann erfolgen, wenn es sich um einen verfolgungsbedingten Entzug des Eigentums an Gemälden gehandelt hat. Dies war in Fall des Gemäldes „Das Zitronenscheibchen“ von Jacob Ochtervelt allerdings nicht der Fall. Wirtschaftlicher Eigentümer des Gemäldes war bis 1938 Carl Thürling. Dieser hat das Eigentum an dem Gemälde jedoch nicht verfolgungsbedingt verloren, sondern deshalb, weil er seinen aufgenommen Kredit nicht rechtzeitig bedienen konnte. Zudem gehörte Carl Thürling auch nicht zu dem Kreis der durch den Nationalsozialismus Verfolgten. Vielmehr war er sogar selbst ein Mitglied der NSDAP.
Dem Bankhaus Hagen & Co. stand indes nur ein Sicherungsrecht an den Gemälden zu, welches durch dessen Verwertung im Zuge der Liquidation des Bankhauses Hagen & Co. im Jahr 1938 erlosch. Die Verwertung eines Sicherungsrechts begründet keinen Anspruch auf Herausgabe der 21 Gemälde nach den Grundsätzen der Washingtoner Erklärung, der Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts insbesondere aus jüdischem Besitz vom 9. Dezember 1999 sowie den einschlägigen Restitutionsgesetzen.

Zum Hintergrund
Die Erben nach dem 1938 verstorbenen Bankier Carl Hagen waren 2012 an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen mit der Bitte herangetreten, das Gemälde „Das Zitronenscheibchen“ von Jacob Ochtervelt, an sie zu restituieren. Die Recherchen gestalteten sich im vorliegenden Fall außerordentlich aufwändig. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben maßgebliche Dokumente erst im Mai und Juni dieses Jahres erhalten. Aus datenschutzrechtlichen Gründen waren die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen auf die Mitwirkung der Erben der Familie Hagen und die Erben der ehemaligen Gesellschafter des Bankhaus Hagen & Co. angewiesen, um Zugang zu den Dokumenten zu erhalten.
Zudem waren zum Gemälde „Das Zitronenscheibchen“ von Jacob Ochtervelt bis 2009 keinerlei Anknüpfungspunkte bekannt, die auf einen verfolgungsbedingten Entzug hätten schließen lassen. Die Provenienz des Gemäldes für das 20. Jahrhundert war bis zu dem Hinweis der Erben nach Carl Hagen allgemein anerkannt und wies insbesondere für die relevante Zeit des Nationalsozialismus keine Eigentümer jüdischer Herkunft aus.
Aufgrund der Recherche stellte sich heraus, dass der Eigentümer der Gemälde, Carl Thürling, ein Sicherungsrecht zur Absicherung eines Kredits bestellt hatte. Ein Sicherungsrecht soll Rechte eines Gläubigers (z.B. auf Rückzahlung eines Darlehens) absichern und ihm in dem Fall, dass der Schuldner seinen Pflichten nicht nachkommt, ein Recht zur Befriedigung aus den Sicherungsgegenständen (im Wege einer Versteigerung / eines Verkaufs) ermöglichen. Ein Recht das Sicherungsgut dauerhaft und endgültig zu behalten gewährt ein Sicherungsrecht jedoch grundsätzlich nicht.
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen haben den Fall zunächst intern geprüft. Aufgrund des für Restitutionsverfahren ungewöhnlichen Sachverhalts, der auch bankrechtliche Fragestellungen enthält, haben die Bayerische Staatsgemäldesammlungen zur Verifizierung der Ergebnisse der eigenen Recherche zusätzlich noch externe Juristen mit der Erstellung eines Gutachtens mit wirtschaftshistorischem Schwerpunkt zu den geltend gemachten Herausgabeansprüchen der Erben nach Carl Hagen beauftragt. Dieses Gutachten hat die Ergebnisse der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen sowie des Mount Holyoke Museums bestätigt.

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