Der unbelehrbare Altkommunist Egon Krenz, geboren 1937 in Kolberg/Hinterpommern, der im Januar 1990 von Gregor Gysi aus der SED/PDS ausgeschlossen wurde und der in seinem autobiografischen Buch „Aufbruch und Aufstieg“ (erschienen am 27. Juni) den untergegangenen SED-Staats feiert, hat 2009 das Buch „Gefängnis-Notizen“ veröffentlicht. Darin beschreibt er seine knapp vier Haftjahre in den Westberliner Gefängnissen Moabit und Plötzensee, die mit den Zuständen in DDR-Zuchthäusern kaum zu vergleichen waren. Zudem war er Freigänger und kam nur zum Schlafen in seine Zelle.
In diesem Buch schreibt er, ihm sei 1986 ein „Menschenrechtsbericht“ des amerikanischen Außenministeriums über „grausame Behandlungen durch Strafvollzugsbeamte“ in DDR-Gefängnissen zugeschickt worden. Immerhin spricht es für das Politbüromitglied Egon Krenz, dass er dem harten Vorwurf nachgeht. Er bestellt den für den Strafvollzug zuständigen Innenminister Friedrich Dickel (1913-1993), der nicht nur SED-Mitglied, also Genosse, sondern auch Freund war: „Wenn mir jemand die Wahrheit sagen würde, dann er, davon bin ich überzeugt.“ Im Gespräch gibt der Innenminister die Antwort: „Wo wir aber von Misshandlungen erfahren, wird das hart bestraft.“ Das heißt doch wohl in freier Übersetzung: Es gab und gibt Misshandlungen, die aber „hart bestraft“ werden.
Egon Krenz freilich gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Er hat Zweifel an den Aussagen seines Innenministers. Er schickt, mit Wissen und Einverständnis Erich Honeckers, „Arbeitsgruppen zur Inspektion in verschiedene Haftanstalten, darunter auch in das Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin-Hohenschönhausen.“ Diese Arbeitsgruppen hätten aus „Juristen, Volkskammerabgeordneten und einem Staatsratsmitglied“ bestanden sowie aus „Mitarbeitern der Abteilungen für Staat und Recht und für Sicherheitsfragen des ZK der SED“. Ehemalige Häftlinge, die aus eigener Erfahrung hätten berichten können, waren nicht beteiligt. Auch Erlebnisberichte ehemaliger Häftlinge wie Hermann Flades „Deutsche gegen Deutsche“ (1962) oder Walter Kempowskis „Im Block“ (1969) wurden nicht ausgewertet.
Niemand berichtete von Menschenrechtsverletzungen oder unmenschlichen Haftbedingungen
„Die Berichte unserer Inspektoren“, so schreibt Egon Krenz abschließend, „stellten viele Unzulänglichkeiten fest…Dennoch: Niemand berichtete von Menschenrechtsverletzungen oder unmenschlichen Haftbedingungen.“ Darf man jetzt lachen? Allein dass in Waldheim und anderswo auch Häftlinge zu viert in einer Zwei-Mann-Zelle (so stand es an der Zellentür!) untergebracht waren, und in den fünfziger Jahren zu sechst, war unmenschlich.
War selbst Zeuge
Am 20. Mai 1962, einem Sonntag, war ich im Zuchthaus Torgau an der Elbe selbst Zeuge von Misshandlungen, als zwei Mithäftlinge, die in der Nacht zuvor ausgebrochen waren, von neun Volkspolizisten, denen die Mordlust im Gesicht stand, mit dem Gummiknüppel über den Zuchthaushof geprügelt wurden. Sie schrieen vor Schmerz, sie stürzten, Blut lief über ihre kahlgeschorenen Schädel, und aus den Zellenfenstern schauten Dutzende Häftlinge entsetzt zu. Kein Torgauer Volkspolizist ist jemals dafür „hart bestraft“ worden.
In ihrem Buch „Wo sind die Toten von Hoheneck?“ (2013) berichtet Ellen Thiemann (1937-2018) von der Dresdner Frisöse Elke Junge, die nach einem Fluchtversuch verhaftet wurde. Der Vernehmer bei der Dresdner Staatssicherheit in der Bautzener Straße schleuderte ihren Kopf derart heftig gegen die Wand, dass sie einen Schädelbruch erlitt, der niemals behandelt wurde. In Hoheneck wurde sie von der „Erzieherin“ Margarete Suttinger zwei Tage und eine Nacht in eine Wasserzelle gesperrt, aus der sie „völlig durchnässt, zitternd, frierend und vor Kälte steif“ ausgeschlossen wurde. Als sie im Sommer 1974 freigekauft worden war, bekam sie mit 36 Jahren eine Erwerbsunfähigkeitsrente zugesprochen.
So viel zum „humanen Strafvollzug“ in DDR-Gefängnissen!