Vorsokratiker
Was ist der Urzustand der Natur? Gibt es eine Einheit, aus der die vielfältigen Erscheinungen der Natur hervorgegangen sind? Die Frage nach den ersten Prinzipien der Natur steht am Anfang der europäischen Philosophie. Die ionischen (s. Glossar: Ionien) Naturphilosophen (z.B. Thales, Anaximander und Anaximenes), die zwischen 600 und 350 v. Chr. wirkten, suchten nach einem einheitlichen Ursprung (arché), aus dem sich die Entwicklung der vielfältigen Naturerscheinungen erklären lässt.
Im 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr. hatte die europäische Philosophie in Milet ein erstes Zentrum. Milet kann als Wiege des rationalen Denkens und der abendländischen Philosophie bezeichnet werden. Ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. wurde Milet zum wichtigsten Umschlagplatz für den Handel mit dem östlichen Mittelmeerraum und schließlich auch mit dem Schwarzmeerraum. Von Milet ging (neben anderen Städten) im 6. Jahrhundert v. Chr. der Münzhandel aus: Dieser belebte die Wirtschaft. Zum anderen war Milet ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, die hier ihre Spuren hinterlassen haben. Milet ist ein Beispiel für eine frühe Globalisierung. Die milesischen Gelehrten waren keine weltfremden Stubengelehrten. Sie verbanden ihre Tätigkeit meist mit praktischen Fragen. Häufig waren sie selbst Handwerker.
Thales und das Wasser
Der berühmteste Gelehrte von Milet war Thales (624 v. Chr. – ca. 547 v. Chr.). Aristoteles vermutet, dass Thales der Erste war, der die Frage nach materiellen Urprinzipien gestellt hat (Aristoteles, 2019, Metaphysik, 983b). Von Thales stammt der später nach ihm benannte Satz: Alle Dreiecke, die von einem Halbkreis umschlossen werden, sind rechtwinklig. Thales konnte eine Sonnenfinsternis vorhersagen. Er gilt als Stammvater aller Philosophen.
Wasser war für Thales der Ursprung aller Dinge. Vermutlich war es die lebens- und überlebenswichtige Bedeutung des Wassers, aber auch seine Wandlungsfähigkeit, die Thales so stark beeindruckte. Im 8. Jahrhundert v. Chr. berichtete der griechische Dichter Homer über den Flussgott Okeanos, der als Ursprung der Götter und der Welt galt. Möglicherweise hat diese Erzählung Thales beeinflusst. Ohne Wasser können weder Mensch noch Tier oder Pflanze überleben. Aristoteles erwähnt die Beobachtung, dass die Nahrung aller Lebewesen feucht ist und dass das Warme aus dem Feuchten entsteht (Aristoteles, 2019, Metaphysik, 983b). Thales hat hier etwas sehr Wichtiges gesehen.
Zwar wissen wir heute, dass Wasser nicht der Urstoff aller Dinge ist. Aber Wasser ist ein entscheidender Faktor der Kulturentwicklung und zugleich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Im alten Ägypten war das Wasser während der Nilüberschwemmungen ein wichtiger Lebensspender, weil es fruchtbares Land mit sich brachte. Die ersten Hochkulturen in Nordafrika, im Alten Orient und in Asien entstanden an Flüssen: das Ägyptische Reich beiderseits des Nils, Mesopotamien an Euphrat und Tigris, die Harappa-Kultur am Indus, die chinesischen Reiche am Hwangho und am Jangtsekiang; und die Khmer entwickelten eine gut organisierte Wasserwirtschaft und ein ausgedehntes Netz von Kanälen, das die Bewässerung der Reisfelder regelte. Auch die Tiahuanaco-Kultur (Inkas) verdankte ihren Aufstieg zur Großmacht einer ausgeklügelten Bewässerungstechnik, mit der ihre Bauern das Hochland fruchtbar machten.
Das Leben entstand aus dem Wasser. Wasser ist ein wichtiger Grundbaustein des Lebens: Der menschliche Körper besteht zu etwa 70 % aus Wasser, und die Erdoberfläche ist zu etwa 70 % von Wasser bedeckt. Bei steigendem Bedarf und abnehmender Verfügbarkeit wird es wahrscheinlich zu heftigen Auseinandersetzungen um Wasser kommen.
Anaximander und das Ápeiron
Anaximander lebte von ca. 610 v. Chr. bis nach 547 v. Chr. in Milet. Vermutlich war er mit Thales bekannt. Wie Thales beschäftigte ihn die Frage nach dem Urstoff alles Gewordenen. Anaximander prägte die moderne Vorstellung vom Kosmos als einem geordneten Ganzen, das sich in ständiger Veränderung befindet und dennoch beständig ist. Der Urgrund der Welt war für ihn keine konkrete Stofflichkeit (wie etwa das Wasser bei Thales), sondern etwas Unbegrenztes und Unbestimmbares, das er Ápeiron nannte. Das Ápeiron ist weder sinnlich wahrnehmbar, noch in Raum und Zeit ausgedehnt, noch geht es in andere Stoffe über. Bemerkenswert ist, dass die Grundsubstanz nicht in einer sinnlich wahrnehmbaren Stofflichkeit gesucht wird, sondern in einem abstrakten Prinzip.
Heraklit und das Feuer
Zu den ionischen Naturphilosophen gehörte auch Heraklit (ca. 520 v. Chr. – ca. 460 v. Chr.). Er lebte in Ephesos. Im Zentrum seines Philosophierens stand der Gedanke der Veränderung. Der Inbegriff dieses Wandels war für ihn das Feuer:
Wandlungen des Feuers: Erst Meer, vom Meer die Hälfte Land, die andere Hälfte flammenzuckende Wolken. Land zerfließt wieder zu Meer, und dies erfüllt aufs neue sein Maß im selben Verhältnis wie vordem, bevor es Land geworden war. (Heraklit, PhL, Bd. 1, S. 30f.)
An anderer Stelle schrieb er: „Alles tauscht sich gegen das Feuer und das Feuer tauscht sich gegen alles, so wie die Waren für das Gold und Gold wieder für die Waren.“ (Heraklit, PhL, Bd. 1, S. 31) In scheinbar feste Ordnungen brechen plötzliche Veränderungen ein, und vielleicht ist das gemeint, wenn er schrieb:
„Das Steuer des Alls führt der Blitz.“ (Heraklit, PhL, Bd. 1, S. 33) Ob Heraklit damit tatsächlich das Feuer als materielle Grundlage der Welt verstand, sei da- hingestellt.
Heraklits Gedanken scheinen auch heute noch aktuell zu sein. Heute geht man davon aus, dass die Welt vor 13,8 Milliarden Jahren in einem extrem heißen und dichten Kosmos entstanden ist. Nach dem bisherigen Modell brach dann die Urkraft auseinander, und die Welt begann, sich immer weiter zu differenzieren. Die Richtung dieser Bewegung ist unumkehrbar, das Gleiche kehrt nie wieder. Eine solche Vorwegnahme der irreversiblen Gerichtetheit der Zeit kommt in Sätzen von Heraklit zum Ausdruck wie: „Die Sonne ist neu an jedem Tag.“ (Heraklit, PhL, Bd. 1, S. 31) Oder: „In den gleichen Strom steigen wir hi- nein und steigen wir nicht hinein.“ (Heraklit, PhL, Bd. 1, S. 31)
Der Physiker Werner Heisenberg (1901–1976), einer der Begründer der Quantenmechanik, wies auf die Nähe des ‚Heraklitischen Feuers‘ zum Energiebegriff der modernen Physik hin: Alle Elementarteilchen bestehen aus Energie, und Energie ist zugleich das Bewegende. Energie kann sich in Bewegung, Wärme, Licht und Elektrizität verwandeln (Heisenberg, 1990, S. 45).
Parmenides, Zenon und Empedokles
Der Gegenentwurf zu einer ‚Heraklit-Welt‘, die immer in Bewegung ist, sich ständig verändert, ist die ‚Parmenides-Welt‘ des vollendeten Seins.
Parmenides lebte von ca. 515/510 v. Chr. bis nach 450 v. Chr. in Elea, einer griechischen Hafenstadt in Süditalien. Seine Schule wird daher auch Eleatische Schule genannt. Die Anhänger der Eleatischen Schule werden Eleaten genannt. Parmenides betrachtete die Welt, die durch die Sinne vermittelt wird, als unsicher. Der Grundgedanke bei Parmenides war: Bei einem beliebigen Gegenstand kann ich alle sinnlichen Eigenschaften als unsicher verwerfen (z.B. Farbe, Form oder Material), nur vom Sein des Gegenstandes kann ich nicht absehen. Zum Beispiel ist eine Tasse, die auf meinem Tisch steht, rot und aus Glas. Ich könnte mich auch über Farbe und Material irren. Vielleicht ist es eine besondere Beleuchtung, die den roten Farbton hervorruft, und was ich für Glas halte, könnte Kunststoff sein. Material und Farbe, aber auch andere Eigenschaften sind Zufälligkeiten, von denen ich absehen kann. Niemals aber kann ich von dem Sein der Tasse absehen. Solche Überlegungen leiteten Parmenides bei seiner Schlussfolgerung: Hinter allem Zu- fälligen, hinter allem Wandel, hinter aller Veränderung steht ein ewiges und unveränderliches Sein. So verschieden und wandelbar die Dinge sind, allen gemeinsam ist das Sein. Über dieses ewige, unvergängliche und unerschaffene Sein schrieb Parmenides: „Sein ist auch nicht teilbar, denn es ist ganz und gar in sich gleich […], ohne Anfang und ohne Aufhören.“ (Parmenides, PhL, Bd. 1, S. 24)
Veränderung, Bewegung, Werden und Vergehen erklärte Parmenides zum Schein. Zenon (490/85 v. Chr. in Elea ca. 445/40 v. Chr.), vermutlich ein Freund und Schüler Parmenides’, untermauerte diese Auffassung mit Beweisen. Diese Beweise waren logischer Natur. Sie sollten die Widersprüchlichkeit der Bewegung zeigen. Was widersprüchlich ist, kann nicht sein: Ein Baum, der kein Baum ist, kann nicht existieren.
Ein Beispiel für ein Paradoxon von Zenon ist das Pfeilparadoxon: Ein fliegender Pfeil ruht an jedem Punkt seiner Flugbahn. Wenn er an jedem Punkt ruhen würde, müsste er insgesamt ruhen. Trotzdem sehen wir den Pfeil fliegen. Das ist ein Widerspruch, denn der Pfeil kann nicht gleichzeitig ruhen und sich bewegen. Folglich könne es keine Bewegung geben.
Von der Ablehnung der Sinnenwelt durch Parmenides und seine Anhänger distanzierte sich Empedokles von Akragas in Sizilien (495 v. Chr. – ca. 435 v. Chr.), indem er zu den Urstofftheorien zurückkehrte. Empedokles war Arzt und Seher. Er wurde wie ein Gott verehrt. Nach Empedokles war am Anfang alles durch Liebe (Anziehungskraft) zu einem Ganzen vereinigt. Darin waren alle Gegensätze aufgehoben. Empedokles nannte diesen Zustand den runden Sphairos (Empedokles, PhL, Bd. 1, S. 40).
Mit Empedokles fand die Suche nach den Urstoffen einen vorläufigen Abschluss. Empedokles fragte nach dem Konstanten hinter der Sinnenwelt. Diese Konstante fand er in den sogenannten vier Urstoffen: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Alles Werden und Vergehen sei eine Mischung und Entmischung dieser Urstoffe. Er lehrte, dass die Urstoffe durch Kräfte bewegt werden: Liebe (Anziehungskraft) und Hass (Abstoßungskraft). Die Lehre des Empedokles hatte großen Einfluss auf die Medizin und wirkte bis ins Mittelalter.
Die heutige Physik geht davon aus, dass die uns bekannten Ereignisse eine Richtung haben. Man spricht deshalb vom Zeitpfeil. Es wurde noch nie beobachtet, dass sich der Zeitpfeil umkehrt: Ein herabgefallener Dachziegel springt nicht von selbst zurück. Die uns umgebende Welt der sichtbaren Dinge (Makrowelt) entspricht der Heraklit-Welt, die ohne Wiederkehr dahinfließt.
Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn wir nicht die Erscheinungswelt (z.B. Planeten, Sterne, Tiere und Pflanzen), sondern die in der Erscheinungswelt wirkenden Naturgesetze betrachten. Die Grundgesetze der Natur kennen keine Zeitrichtung. Die fundamentalen Naturgesetze erlauben eine zeitliche Umkehrung des durch sie bestimmten Geschehens (Carrier, 2009, S. 67). Kehrt man den Zeitpfeil um, indem man einen Film rückwärts abspult, so werden erstaunlicherweise die Grundgesetze der Physik (abgesehen von extrem seltenen und makroskopisch nicht in Erscheinung tretenden quantenmechanischen Effekten) nicht verletzt. Der Zeitpfeil ist auf der Ebene der Grundgesetze der Physik nicht zu finden. Die Grundgesetze sind also zeitlos, sie ‚leben‘ sozusagen in der Parmenides-Welt. Hinter allem Wandel, aller Veränderung der Welt stehen zeitlose physikalische Gesetze.
Zenons Pfeilparadoxon erlangte mit dem Quanten-Zeno-Effekt, der 1994 an der Ludwig-Maximilians-Universität München experimentell nachgewiesen wurde, neue Aufmerksamkeit. Der Quanten-Zeno-Effekt ist ein quantenmechanischer Effekt, bei dem zum Beispiel der Zerfall eines radioaktiven Atomkerns allein durch Beobachtung verhindert wird. Ähnlich wie Zenons Pfeil zeigt der radioaktive Atomkern infolge der Beobachtung keine Veränderung mehr.
Auch bei Empedokles lässt sich eine Parallele zur modernen Physik ziehen. Heute geht man davon aus, dass sich das Universum zunächst in einem ‚symmetrischen‘ Anfangszustand (analog zum ‚runden Sphairos‘) befand, in dem alle Grundkräfte (Gravitation, elektromagnetische sowie starke und schwache Wechselwirkung) zu einer einzigen ‚Urkraft‘ verschmolzen waren. Mit der ‚Abkühlung‘ des Universums brach diese ursprüngliche Symmetrie auf und die Grundkräfte trennten sich.
Anaxagoras
Die Lehre des Empedokles übte einen starken Einfluss auf Anaxagoras (ca. 500 bis ca. 428 v. Chr.) aus. Anaxagoras war ein Zeitgenosse des Empedokles. Nachdem Parmenides und seine Anhänger Argumente für die Widersprüchlichkeit der Bewegung vorgebracht hatten, sah Anaxagoras in der Mischung und Trennung von Stoffen den einzigen Ausweg, um die Bewegung (und damit das Entstehen und Werden) der Dinge zu erklären.
Anaxagoras nahm an, dass am Anfang alle Dinge zusammen waren. Sie waren unendlich groß in ihrer Zahl und auch unendlich klein in ihrer Größe. Wegen ihrer Kleinheit waren die Dinge nicht sichtbar. Aus diesem anfänglichen Gemisch habe sich nach und nach das Reine abgesondert (Anaxagoras, PhL, Bd. 1, S. 53). Nur der Geist vermische sich mit keinem Ding. Der Geist habe alles in seine Ordnung gebracht (Anaxagoras, PhL, Bd. 1, S. 54f.). Dass der Geist in den Mittelpunkt des philosophischen Interesses rückte, war etwas Neues. Geist (Nous) bezeichnete ein denkendes Etwas, das in allem ist, sich aber mit nichts vermischt. Damit entstand die Vorstellung von etwas Reinem und Unverfälschtem, das im Geistigen gesehen wurde (Gadamer, PhL, Bd. 1, S. 50).
Anaxagoras blieb aber letztlich dem Stoffdenken verpflichtet. Denn Nous wurde von ihm als eine Art geistiger Stoff aufgefasst, der sich von anderen Stoffen nicht wesentlich unterscheidet. Dieses Stoffdenken des Anaxagoras wurde von Platon und Aristoteles kritisiert. Die Vorstellung, dass aus einer anfänglichen Vermischung etwas Reines und Unverfälschtes hervorgeht, erinnert beeits an die Ideenlehre Platons, der die Schrift des Anaxagoras erwähnt. Die Überlegung des Anaxagoras, dass sich die Vielfalt der Welt durch Mischung und Trennung erklären lässt, ist bis heute aktuell: Auch heute gehen wir davon aus, dass sich viele Gegenstände und Materialien der uns umgebenden Welt durch die Kombination und Trennung verschiedener Stoffe erklären lassen.
Die Atomisten
Ein Problem für die antiken Naturphilosophen war die Frage, wie die offensichtliche Veränderung der Dinge (Heraklit-Welt) mit der Unveränderlichkeit des Seins (Parmenides-Welt) in Einklang zu bringen sei. Zenons Argumente stellten zwar die Bewegung in Frage, aber die Wahrnehmung zeigt Werden und Vergehen. Außerdem: Wenn das wahre Sein nur das Eine ist, wie kann dann aus dem Einen Vielfalt entstehen?
Leukipp (5. Jh. v. Chr.) und Demokrit (460 oder 459 v. Chr.) gingen einen neuen Weg, um dieses Problem zu lösen. Ihre Lehre wollte einerseits mit der Wahrnehmung übereinstimmen, andererseits aber an der Vorstellung eines unvergänglichen Seins festhalten. Leukipp gilt als Schüler von Parmenides und Demokrit als Schüler von Leukipp.
Leukipp und Demokrit erklärten alle Veränderung, Bewegung und Entstehung aus ‚Urfiguren‘, die sich im Leeren bewegen. Diese Urfiguren nannten sie Atome. Die Atome wurden als feste Teilchen gedacht, sie seien das eigentliche Sein, das sich im Leeren bewege (PhL, Bd. 1, S. 60). Die Atome seien ewig und unzerstörbar und bestünden alle aus einer Substanz, die nur eine Eigenschaft habe, nämlich ‚zu sein‘. Von der Lage und Form der Atome hänge es ab, ob ein Körper warm, kalt, hell oder dunkel sei und welche Farbe er habe. Da die Atome keineswegs unendlich klein sind, haben sie sehr unterschiedliche Formen, die für das Aussehen der sichtbaren Erscheinungen verantwortlich sind (PhL, Bd. 1, S. 57). Unter den unendlich vielen Atomen spielten die kugel- förmigen eine besondere Rolle. Sie könnten alles durchdringen und in Bewegung setzen. Die kugelförmigen Atome bildeten für Demokrit das Feuer und die Seele (PhL, Bd. 1, S. 61). Damit aber betrachtete Demokrit das Geistige als Stoffliches.
Heute wissen wir, dass die uns umgebende Welt aus Atomen aufgebaut ist. Mit dem Atombegriff der Atomisten hat der moderne Atombegriff jedoch kaum noch etwas zu tun. Der Atombegriff der heutigen Physik ist messbar und abstrakt. Der Atombegriff von Demokrit und Leukipp ist keine geeignete Grundlage für den Atombegriff der modernen Physik. Wir wissen heute, dass Atome weiter zerlegbar sind.
Aber die heutige Physik stößt an ähnliche Grenzen wie der Atomismus der Vorsokratiker. Kann man das Seelische und Geistige allein mit physikalischen Mitteln verstehen? Die Atomisten führten ein Seelenatom ein, aber die- se Lösung erscheint wenig plausibel. Die Erklärung des Geistigen ist ein Problem, an dem nicht nur der Atomismus, sondern letztlich alle Materietheorien gescheitert sind. Deutlich wird dies z.B. am sogenannten Buchstabengleichnis. Ein Wort ist etwas anderes als eine Aneinanderreihung von Buchstaben, und ein Satz ist mehr als eine Aneinanderreihung von Wörtern. Zwischen dem Geistigen und dem Materiellen klafft eine Lücke. Um sie zu überbrücken, hat die klassische Philosophie Athens mit Platon und Aristoteles neue Wege beschritten.
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Was außerhalb meines Geistes ist und was ich davon wissen kann
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von Kay Herrmann
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Autor Prof. Dr. phil. Dipl.-Phys. Kay Herrmann über sich:
Mir ist es wichtig, Wissenschaft nicht nur für Fachkreise darzustellen, sondern allen Interessent:innen zugänglich zu machen. Deshalb sollen im Buch philosophische Hauptgedanken auch grafisch illustriert werden.
Als Physiker hat mich immer wieder beeindruckt, dass sich die Grundgesetze der Physik meist in mathematisch schönen und sehr einfachen Formen darstellen lassen. Deshalb spielte die Verbindung von Wissenschaft und Kunst in meinem Leben stets eine besondere Rolle. Von dieser Idee sind auch meine Installationen beseelt, die ich unter dem Projektnamen ‚Kosmografikum‘ zusammengefasst habe. Ziel ist es, physikalische und mathematische Objekte (z.B. ein 17 Meter langes Foucaultsches Pendel oder das Modell eines Hyperwürfels) in einer künstlerisch wertvollen und spannenden Form zu präsentieren (https://www.kayherrmann.de/kosmografikum.html).
Der Autor ist seit Februar 2019 Außerplanmäßiger Professor für Philosophie mit dem Schwerpunkt Wissenschaftstheorie an der Technischen Universität Chemnitz, Institut für Pädagogik.
„Wissenschaft liefert Erklärungen. Aber Erklärungen sagen nicht viel über Wahrheit und Realität. Das Reale wird als Widerstand, als Widerfahrnis, aber auch als Stabiles und Robustes erlebt.“
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