
Kaum hat der rumpelnde und polternde Trump Friedensverhandlungen zur Beilegung des Ukrainekriegs losgetreten, ertönt er wieder lauter aus allerlei Richtungen, der Ruf: „Wir dürfen nicht über die Köpfe der Ukrainer/innen hinweg entscheiden!“
Was wäre die Alternative? Die Alternative ist, dass sich das aktuelle Geschehen bis in eine unbestimmte Zukunft fortsetzt: dass weiterhin auf die Köpfe von Ukrainern geschossen wird. Somit stehen zunächst zwei starke Forderungen stehen im Raum:
- Es darf nicht über die Köpfe der Ukrainer/innen hinweg entschieden werden.
- Wir dürfen die Köpfe von Ukrainern nicht weiterhin rollen lassen.
Im Kontext dieser beiden Forderungen ist nun auch diese Variante abermals lauter geworden:
- Allein die Ukrainer/innen dürfen über eine Fortsetzung des Krieges oder Frieden entscheiden.
Wie sind diese Forderungen zu gewichten? Versuchen wir zunächst, die dritte Forderung zu entkräften: Der Ukrainekrieg war von Anfang an ein Krieg, der nicht nur das attackierende Russland und die überfallene Ukraine umfasst. Von Anfang an verfolgten die USA und ihre Verbündeten das Ziel einer Schwächung Russlands (ein möglicher Friedensschluss im Frühjahr 2022 wurde hintertrieben). Die damit einhergehende Brisanz machte diesen Krieg von Anfang an weltgefährlich; er barg –und birgt immer noch – die Gefahr, in einen Welt-Krieg zu eskalieren. Die Gefahr eines Weltenbrandes gibt nun aber jeder Person auf der Erde ein Mitspracherecht. Dies setzt das Argument außer Kraft, wonach allein Ukrainer/innen befugt seien, über eine Fortsetzung dieses Krieges oder eine Friedensalternative zu diskutieren oder zu entscheiden.
Die Forderung „Es darf nicht über die Köpfe der Ukrainer/innen hinweg entschieden werden!“, ist wohlfeil, wenn man nicht selbst existentiell betroffen ist. Existentiell weniger betroffen ist etwa, wer im Westen der Ukraine (und erst recht im Ausland) trotz Krieg ein halbwegs normales Leben führen kann. Existentiell betroffener ist, wer in oder in der Nähre von umkämpften Gebieten lebt. Existentiell betroffen sind aber insbesondere diejenigen, die gegen ihre Überzeugung oder ihren Willen mit einer Rekrutierung oder gar Zwangsrekrutierung rechnen müssen oder bereits als Soldaten verpflichtet sind.
Wer leichthin sagt, es dürfe nicht über die Köpfe von Ukrainern hinweg entschieden werden, vergisst, dass Hunderttausende oder gar Millionen Soldaten nicht heldenmütig als Soldaten dienen oder sterben, sondern dass sie von einem Zwangsrekrutierungssystem verpflichtet oder dazu verurteilt wurden, sich drohenden Verstümmelungen und täglicher Todesangst und Lebensgefahr auszusetzen. Weitere Hunderttausende wiederum sind bereits über die Grenze geflohen oder verstecken sich, um nicht – wie sie finden – sinnlosem Tod und Verderben ausgesetzt zu werden.
Vor diesem Hintergrund sollten wir das Prinzip einer existentiellen Gewichtung ins Auge fassen: Das Dafürhalten sogenannter „kriegstüchtiger“ Personen, deren Leib und Leben weniger bedroht ist, fällt in sehr viel geringerem Maße ins Gewicht als die Meinung und das Wollen kriegsmüder oder kriegstraumatisierter Personen.
Statt
„Es darf nicht über die Köpfe der Ukrainer/innen hinweg entschieden werden“
ist daher vordringlich
„Wir dürfen die Köpfe von Ukrainern nicht weiterhin rollen lassen“