DIE LINKE und die Klima-Kehre – Aufwind für eine Totgesagte?

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Noch übt sich die Partei DIE LINKE in Selbst-Verzwergung. Doch liegt ihr die vom Klimawandel bedrohte Zivilisation, objektiv betrachtet, längst zu Füßen. Sie wartet auf die Klima-Kehre. Unter vier Prämissen könnte die Partei DIE LINKE für Deutschland die Partei der Zukunft sein:

  1. Aktuell ereignet sich ein menschenverursachter Klimawandel, und er verschlechtert unsere Existenzbedingungen.
  2. Wähler wünschen sich und ihren Kindern aufrichtig – und nicht bloß als Lippenbekenntnis – eine Klima-Kehre.
  3. Es gibt keine kapitalistische Volkswirtschaft ohne Wachstum.
  4. Die Partei DIE LINKE hält an dem im geltenden Parteiprogramm projektierten Abschied vom Kapitalismus fest.

Nach menschlichem Ermessen müsste die Weltklimaverschlechterung der Partei DIE LINKE einen ungeheuren Aufwind bescheren. Warum? Weil Die Linke die einzige größere Partei sein dürfte, deren Programmatik es mit dem Klimawandel aufzunehmen vermag. Und warum sollte dies der Fall sein? Weil man des Klimawandels offenbar nur dann Frau oder Herr werden kann, wenn die Dynamik industriell-energetischen Wachstums zurückgefahren wird. – Denn Wachstum geht bekanntlich mit einem vermehrten Ausstoß von Treibhausgasen Hand in Hand.

Nun scheint es auf den ersten Blick etwas unverständlich, warum um alles in der Welt man es ausgerechnet der Partei DIE LINKE zutrauen sollte, eine Wachstums-Kehre glaubhaft zu vertreten. Was zunächst unverständlich scheint, wird in dem Maße transparent, in dem zutrifft, dass eine weitere Zunahme des Energie- und Ressourcenverbrauchs nur im Übergang hin zu einer post-kapitalistischen Wirtschaftsweise zurückgenommen werden kann. – Würde man das Wachstum hingegen innerhalb einer kapitalistischen Volkswirtschaft längerfristig zurückfahren, so drohten ausufernde Arbeitslosigkeit und in ein dauerhaftes Chaos führende soziale Verwerfungen (siehe hierzu: Binswanger, Der Wachstumszwang. Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben, 2019).

Die These, dass es allein der Partei DIE LINKE ins Stammbuch geschrieben sein sollte, mit einer Kombination aus Wachstums-Kehre und Postkapitalismus ein überzeugendes Konzept für einen Weg aus der Klimakrise zu weisen, mag erstaunen. Ist dies nicht eher die Domäne der Partei Die Grünen? Schauen wir in das jüngste Bundestagswahlprogramm letzterer Partei: Zwar notieren Die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm von 2021 zutreffend, „auf einem endlichen Planeten kann es kein unendliches Wachstum geben.“ Offenbar gehen Die Grünen jedoch davon aus, dass das „unendliche“ Wachstum auch mit und innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsweise zurückgefahren werden könnte. Nach grüner Lesart müssten wir nur „unser Wirtschafts- und Finanzsystem neu eichen. Dann können wir dafür sorgen, dass Wachstum nur im Einklang mit den planetaren Grenzen stattfindet, statt unsere natürlichen Ressourcen zu übernutzen.

All dies wird politisch gern unter der bekannten Etikette „grünes Wachstum“ vermarktet. Die Rede vom „grünen Wachstum“ kaschiert jedoch nur schlecht, dass man sich vom Wachstumszwang als einem integralen Moment kapitalistischer Wirtschaft nicht emanzipiert hat. Auch ein grün-kapitalistisches Wachstum trägt zur Klimaentgleisung bei. Zwar beschloss die Bundesregierung im Juni 2021 Deutschlands Treibhausgasneutralität bis 2045 – aber im Rahmen einer wachstumsverpflichteten kapitalistischen Volkswirtschaft wird man dieses Ziel schwerlich erreichen.

Wer ernsthaft klimabewegt und somit wachstumskritisch ist, muss auch von der kapitalistischen Wirtschaftsform reden, die ohne Wachstum nicht fortbestehen kann (siehe hierzu etwa die Studie Das Ende des Kapitalismus (2022) von Ulrike Herrmann). Vom Kapitalismus aber schweigen Die Grünen in ihrem Bundestagswahlprogramm 2021. Er kommt darin nur vor in der Bewandtnis eines „autoritären Staatskapitalismus“ – China dürfte angesprochen sein – gegen den man sich zu behaupten habe.

Blicken wir vergleichend in das Parteiprogramm von DIE LINKE, so empfiehlt sie sich in der Tat als diejenige Partei, die programmatisch in der Lage ist, der „Selbstverbrennung“ der menschlichen Zivilisation auf der Erde etwas Substantielles entgegenzustellen: eine Wachstums-Kehre. Während H. J. Schellnhuber in seinem Buch „Selbstverbrennung“ zu dem Schluss gelangt, man müsse sich nur vom Kapitalismus, wie wir ihn kennen, verabschieden, wenn wir uns von den fossilen Energieträgern verabschieden, ist der Zusammenhang offenbar viel weiter gehend: Soll das Klima einer halbwegs zivilisierten menschlichen Fortexistenz zuträglich bleiben, müssen wir uns vom Wachstum verabschieden – und dies dürfte nur gelingen, wenn wir in einer post-kapitalistische Form des Wirtschaftens eintreten. Denn Wachstum ist die Quintessenz kapitalistischen Wirtschaftens. Der Klimawandel verlangt nicht nur eine grundlegende Wandlung des Kapitalismus, sondern seine Verabschiedung. Dazu lesen wir im Parteiprogramm von DIE LINKE:

„Eine ökologisch nachhaltige Entwicklung steht im Widerspruch zur kapitalistischen Wachstumslogik. Die ökologische Frage ist zugleich eine ökonomische, soziale und kulturelle – eine Systemfrage.“ „Die drohende Klimakatastrophe, die schnelle Erschöpfung vieler natürlicher Rohstoffe und die beschleunigte Vernichtung der biologischen Vielfalt einerseits und die Spaltung der Gesellschaften in Gewinner und Verlierer einer neoliberalen Globalisierung, in ausufernden Luxuskonsum und wachsenden Hunger andererseits sind zwei Seiten einer Medaille.“

Auf diese Weise macht das Parteiprogramm von DIE LINKE transparent, dass eine Klima-Kehre nur im Zusammenhang mit einer Verabschiedung kapitalistischer Wachstumswirtschaft machbar sein wird. Eben dies reklamieren auch Denkerinnen wie Ulrike Herrmann, für die Klimaschutz und Wachstum inkompatibel sind; weshalb Herrmann für eine postkapitalistische Überlebenswirtschaft plädiert. Alternativ ließe sich auch von einer kurativen (bewahrenden) Wirtschaft reden.

Wachstum ist eine Bedingung der Möglichkeit von Kapitalismus. Es steht in einem systemischen Verweisungszusammenhang mit den Faktoren Wettbewerb, technologischer Fortschritt und Geldwirtschaft mit permanenter Geldneuschöpfung sowie dem Gebot, dass der Konsum in einer Volkswirtschaft längerfristig nicht hinter der Produktion zurückstehen darf. Ohne langfristiges Wachstum des Bruttoinlandsprodukts würde eine kapitalistische Volkswirtschaft kollabieren (siehe M. Binswanger, Der Wachstumszwang).

Parteien sind nicht nur ein Sammelbecken der diversen Meinungen und Strömungen innerhalb einer Gesellschaft, sondern auch ein Ort für Impuls-Setzung und gesellschaftliche Gestaltung. Wenn es der Partei DIE LINKE gelingt, ihren im Parteiprogramm projektierten Klima-Standpunkt partei-extern zu vermitteln, dann wird sie in Gestalt des Wunsches nach einer Klima-Kehre millionenfach Resonanz finden. Dies wiederum könnte ihr – der vielerseits bereits abgeschriebenen Partei – einen ungeahnten Aufschwung und einen gesellschaftlichen Auftrag verschaffen.

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Über Karim Akerma 76 Artikel
Dr. Karim Akerma, 1965 in Hamburg geboren, dort Studium u.a. der Philosophie, 1988–1990 Stipendiat des Svenska Institutet und Gastforscher in Göteborg, Lehraufträge an den Universitäten Hamburg und Leipzig, Tätigkeit als Übersetzer aus dem Englischen, aus skandinavischen und romanischen Sprachen. Wichtigste Publikationen: „Verebben der Menschheit?“ (2000), „Lebensende und Lebensbeginn“ (2006) sowie "Antinatalismus - Ein Handbuch" (2017).