„Wir müssen frei werden, Ballast abwerfen, der uns hindert, in die Zukunft zu gehen“
Aus Sicht von Kardinal Reinhard Marx ist es ein Fehler gewesen, in den vergangenen Jahren Konfliktthemen wie Sexualmoral, Auswahl des Klerus und Zölibat sowie Ausübung und Missbrauch von Macht in den Diskussionen der Verantwortungsträger in der kirchlichen Hierarchie auszublenden. „Diesen Punkten wollten wir immer ausweichen, auch im Dialogprozess der deutschen Bischöfe, aber es geht nicht. Wir müssen frei werden, Ballast abwerfen, der uns hindert, in die Zukunft zu gehen“, sagte der Erzbischof von München und Freising, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, bei der Vollversammlung des Diözesanrats der Katholiken am Samstag, 16. März, in Oberschleißheim. Für den von den deutschen Bischöfen bei der Vollversammlung in Lingen beschlossenen synodalen Weg sei es „ein wichtiger Schritt, eine Lehrentwicklung der Kirche für möglich zu halten“.
Mit Blick auf sexuellen Missbrauch und Machtmissbrauch kündigte der Kardinal ein Vorangehen der deutschen Kirche an. „Wir müssen jetzt nicht auf Rom warten, wir müssen unseren Weg gehen.“ Die katholische Kirche sei ein „Kosmos, der sich über die ganze Welt erstreckt, der sich aber auch bewegen muss. Warum nicht auch einen gewissen Druck, einen gewissen Veränderungswillen sichtbar machen? Sonst ändert sich nie etwas.“ Auf Ebene der Weltkirche werde die systemische Frage „noch ausgeklammert – weil man da nicht ran will. Aber das wird kommen, oder wir müssen das immer wieder einbringen“, sagte Kardinal Marx.
Die deutsche Kirche frage mit dem synodalen Weg nun nach systemischen Gründen, die Missbrauch begünstigten. „Ich stehe dahinter, dass wir diese Gespräche führen müssen, ohne dass ich jetzt schon alle Antworten kenne.“ Es gehe dabei aber nicht um „Anpassung an den Zeitgeist“, warnte der Erzbischof: „Wir können dann etwas ändern, wenn wir begriffen haben: Hier ist etwas, was dem Evangelium besser entspricht.“ Nötig sei „eine geistliche Vertiefung. Wir brauchen das Gebet, um in der Spur zu bleiben, um uns nicht einfach dem Zeitgeist zu unterwerfen.“
Für das Erzbistum München und Freising sollten in einem gemeinsamen Diskussionsprozess pastorale Schwerpunkte für die nächsten Jahre festgelegt werden, sagte Kardinal Marx. „Ich habe noch keine Pläne in der Schublade.“ Notwendig sei ein „längeres Unterfangen, ein Beratungsprozess“ beispielsweise mit den Vertretern der Laien, der Priester, des Ordinariates. Marx räumte ein, dass „wir nun seit Jahrzehnten über eine Pastoral der Zukunft diskutiert haben, manchmal habe ich das Gefühl, uns fehlt die Kraft der Umsetzung“. Der Erzbischof betonte die Qualität der Verkündigung: „Wenn die Menschen in den Gottesdienst kommen und sagen, die Predigt ist ja zum Weglaufen – das ist ein Punkt, an dem wir drehen müssen.“ Für viele Gläubige sei die Gemeinschaft einer Pfarrei wichtig, das Familiäre, das Freundschaftliche. „Aber viele Menschen brauchen etwas anderes, eine starke Predigt, eine Musik, die sie mitnimmt“, sagte der Erzbischof.
Schwerpunkt der Frühjahrsvollversammlung des Diözesanrats unter dem Titel „Quo vadis, Erzdiözese?“, zu der rund 170 Teilnehmer aus den Pfarrgemeinderäten und Verbänden in Oberschleißheim zusammenkamen, war die zukünftige Entwicklung der Erzdiözese München und Freising. Neben Kardinal Marx berichtete der Vorsitzende des Diözesanrats, Hans Tremmel, den Teilnehmern der Vollversammlung über aktuelle Entwicklungen. Zum Abschluss feierte der Erzbischof in der Pfarrkirche St. Wilhelm einen Gottesdienst mit den Vollversammlungsteilnehmern sowie der Pfarrgemeinde. (gob)