Max Nordau, ungarischer Mediziner und Journalist, der 1898 beim II. Zionistischen Kongress in Basel den Begriff „Muskeljude“ geprägt hatte, stellte 1902 fest, dass die gängige Meinung, wonach Juden für den Sport ungeeignet seien, irreführend sei und nur den bestehenden antisemitischen Klischees Vorschub leiste. Er forderte Jüdinnen und Juden dazu auf, in einer „Menschenumgebung, die Geistestüchtigkeit zu verachten zugiebt“ den „feindseligen Schmähern“ zu beweisen, dass „wir es als Turner ebenso spielend mindestens gleichthun als Hirnarbeiter“. Positive Ergebnisse im sportlichen Wettkampf würden schließlich das Selbstbewusstsein vieler stärken und deren Stellung in der Gesellschaft verankern. Als der Sport während der 1920er Jahre zum Massenphänomen, zum Wirtschaftszweig und schließlich zur Mode wurde, erkannten viele Deutsche jüdischer Herkunft den Sport als wirksames Mittel zur Integration. Dies galt auch für viele Frauen, für die der Sport auch ein Weg zur Gleichberechtigung darstellte. Sportler wie Gottfried Fuchs, Julius Hirsch, Helene Mayer, Daniel Prenn, Nelly Neppach und Lilli Henoch wurden auch dank der neuen Kommunikationsmitteln zu gefeierten nationalen Stars. Jüdische Athleten wurden Mitglieder von Sportvereinen und Verbänden und es kam zur Gründung von jüdischen Vereinen, die von jüdischen Mäzenen unterstützt wurden. 1921 wurde der heute noch erfolgreiche Makkabi-Weltverband als Vereinigung aller zionistischen Turn- und Sportvereine ins Leben gerufen. Die Verhängung der Nürnberger Rassengesetze bereitete dem Bestreben nach Entstehung einer kosmopolitischen sportlichen Gemeinschaft ein abruptes Ende. Einige Sportler wie die umjubelten Brüder Julius und Hermann Baruch starben im KZ, andere waren zur Emigration gezwungen wie die legendäre Helene Mayer, die 1936 in Berlin die Silbermedaille für Deutschland als Jüdin geholt hatte. Zugelassen zu den Olympischen Spielen wurde sie nur, um dem internationale Boykott gegen die Ausrichtung der Spiele in Hitlers Deutschland entgegen zu wirken.
In der Ausstellung Never Walk Alone, deren Titel auf einen für den Musical Carousel geschriebenen jüdischen Song zurückgreift, der heute zur Hymne des Sports geworden ist, beschäftigt sich das Jüdische Museum in München mit der Frage nach der Positionierung und Zugehörigkeit jüdischer Sportler im Zuge der wachsenden Sportbegeisterung Anfang des XX. Jahrhundert und dies auch als „Chance zur Entwicklung und Festigung moderner jüdisch-deutscher Identitäten“.
Die Schau auf den zwei Museumsebenen zeigt eine Reihe von historischen Bildern, privaten Fotos, Tagebüchern, Plakaten, Trophäen, Pokalfiguren und Statuetten. Dazu eine Palette von Originalsportartikeln aus verschiedenen Epochen wie Boxhandschuhen, Schwimmkappen, ein Florett und sogar ein Fußball Chanukka-Leuchter aus Porzellan. Kurzfilme und Audiostationen begleiten die Besucher durch die Ausstellung, die auch mit künstlerisch wertvollen Leihgaben bestückt ist. Unter den in dieser Hinsicht interessantesten Exponaten befindet sich die Litografie Zwei Boxer von Rudolf Grossmann (1882-1941), die in der Galerie des berühmten Kunstsammlers Alfred Flechtheim (1878-1937) publiziert wurde. Flechtheim, der neben seiner Leidenschaft für die zeitgenössische Kunst auch ein passionierter Boxer war, animierte junge Künstler wie George Grosz, Ernesto de Fiori oder Renée Sintenis Boxer in Bronze darzustellen, die wie Rudolf Bellings Dreiviertelgestalt Der Boxer in die Ausstellung eingeflossen sind. In seinem Kulturmagazin Der Querschnitt beschäftigte der Galerist den berühmten Boxer Hans Breitensträter und trug somit bei, den Boxport in der bürgerlichen Gesellschaft salonfähig zu machen.
Zur Ausstellung ist im Berliner Verlag Hentrich & Hentrich ein Katalog erschienen, der von den Kuratorinnen Jutta Fleckenstein und Lisa-Maria Tillian-Fink herausgegeben wurde. 240 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Texten u.a. von Michael Brenner, Moshe Zimmermann, Max Nordau, Kurt Landauer und Vicki Baum. € 24, 90.
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