Die Leser der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat Robert v. Lucius als Korrespondent nie enttäuscht. Seine Erinnerungen nehmen die Leserschaft nun mit auf eine Reise von Berlin bis Südafrika und über das Nordkap hinaus – und wieder zurück nach Berlin.
Reisen wir vom Robert v. Lucius nach Südafrika. Schon als Jugendlicher war er dort, denn sein Vater hatte beruflich dort zu tun, und nach den Schilderungen seiner Studentenzeit erleben wir ihn dort wieder – als frischgebackenen Korrespondenten für Deutschlands führende Tageszeitung. Knappe, treffende Schilderungen bringen Lesefreude und auch zeitgeschichtliche Erkenntnisse. Eine zeigt zum Beispiel deutlich, wie und warum dem damaligen Präsidenten Pieter Willem Botha dort die Zügel entglitten. Lucius erlebte eine hochspannende Zeit am Kap, das damals für einige wenige Jahre voll guter Hoffnung war und er nimmt seine Leser mit in die entscheidenden Jahre der beiden späteren Friedensnobelpreisträger Frederik de Klerk und Nelson Mandela. v. Lucius beschreibt diese Welt in drei Kapiteln: zuerst die allgemeine Entwicklung, dann ein speziell der „Jahrhundertgestalt“ – so nennt er ihn – Nelson Mandela gewidmeter Abschnitt, schließlich eine Würdigung mehrerer südafrikanischen Künstler, die damals Akzente setzten – besonders lesenswert!
Einen Einschnitt im wörtlichen Sinne bildet eine Reportage über einen Flugzeugabsturz in Angola, den v. Lucius überlebte, ein weiteres Kapitel über den sich neu ausrichtenden kontinent, denn v. Lucius war ab 1996 Korrespondent für ganz Afrika, rundet diesen Teil des Buches ab; ein Kapitel mit sehr persönlichen Erinnerungen aus Wolkramshausen, dem thüringischen Rittergut der Familie, schließt sich an. Hier lernt die Leserschaft viel über die Person Robert v. Lucius. Hier tritt er nicht als versierter Mittler auf, sondern es wird deutlich, aus welchen Quellen er schöpft.
Nordeuropa im beginnenden 21. Jahrhundert – so lassen sich die nun folgenden Kapitel überschreiben. Der Autor begegnet uns wieder als guter Korrespondent. Die Länder Skandinaviens und des Baltikums in sehr sinnvoller Reihung sind ganz aus seinem Blickwinkel beschrieben. Gerne folgt man ihm an den Polarkreis, an Königshöfe, in die wiedererstandenen baltischen Staaten. Nach demselben Muster ist ein Rundgang durch die Bundesländer Norddeutschlands aufgebaut. Auch wenn diese tour d’horizon hier nur kurz abgehandelt wird – lesenswert ist sie allemal! Wieviel von der Seele eines Landes v. Lucius jeweils erspürte, lässt sich konkret belegen am Beispiel Sachsen-Anhalt – für viele Leser deutlich einfacher erreichbar als Südafrika oder der Polarkreis –, das auf äußerst kundige und liebevolle Weise beschrieben wird. Hier erzählt jemand, der sich auf ein Land eingelassen hat, der eingetaucht ist, der verstanden hat. Wobei natürlich gerade hier der dezente Bezug zum Corpsstudententum nicht fehlen kann.
Und was sagt der Autor selbst zu alledem? „Irgendwie passte der Beruf zu mir – meine Neugier und viele Interessen, (…) die Freude am Schreiben und am Mitwirken, an der öffentlichen Meinungsbildung, dabei möglichst fair“, und ganz in Lucius’scher Manier geht der Satz noch ein Stück weiter, insgesamt hat er mehr als sechs Zeilen. Und „mehr in die Breite als in die Tiefe“ steht dort. Hier möchte der Rezensent dem Autor nicht folgen: Breite, natürlich, aber eben auch Tiefe sind sehr wohl erkennbar! Ein feiner, hintergründiger Humor schwingt zudem immer mit, sorgfältig ausbalanciert, der in den F.A.Z-Texten berechtigte Kritik vor verletzender Schärfe bewahrte und der hier, in den Erinnerungen, für feine Pointen sorgt, die die Lektüre zu einer reinen Freude machen.
Reich an Bildern ist dieser Band. Der Leser geht unwillkürlich mit dem Autor auf eine Zeitreise durch das späte 20. Jahrhundert. Immer wieder ist der Autor zu sehen, aber er stellt sich nicht in den Mittelpunkt, sondern macht seine so vielgestaltige Tätigkeit an den außergewöhnlichsten Orten augenfällig. Nach drei sehr passenden Doppelseiten mit Bildern aus Südafrika, die dem entsprechenden Kapitel beigegeben wurden, und nach vielen, immer wieder eingestreuten, eindrücklichen Bildern – darunter einem sensationellen Doppelportrait von Norwegens Kronprinz Haakon und seiner Braut Mette-Marit – folgt schließlich das Kapitel „Spuren des Fotografierens“. Waren die situativen Bilder schon erhellend, waren die Südafrika-Bilder schon höchst interessant, so zeigt sich in dieser Sammlung von Portraits, wer wirklich wichtig war. Robert v. Lucius zeigt sich damit nicht nur als Kenner des Weltgeschehens, er offenbart hier auch ein bisher kaum gekanntes photographisches Talent. Diese Galerie zeigt nicht nur Köpfe des ausgehenden 20. Jahrhunderts – sie repräsentiert, ja, atmet diese Epoche. Nicht zuletzt durch diese Auswahl von Portraits wird, was zunächst als eine besonders geeignete Reiselektüre erschien, in mancher gut geführten Privatbibliothek dort einsortiert werden, wo die „Zeugen des Jahrhunderts“ versammelt sind.
Für sorgfältige Machart, zurückhaltendes Design, gutes Papier und eine einwandfreie Druckqualität zeichnet der Wolff-Verlag verantwortlich. Wer dieses schmale Buch – schon aufgrund seines broschierten Einbandes gut als Reiselektüre geeignet – aufschlägt, wird sofort selbst auf eine weitere Reise mitgenommen – durch ein Leben, das von Berufs wegen dem Entdecken gewidmet war, wobei diese Neugier den Autor nie losgelassen hat, bis heute. Ein kundiger und immer interessierter Zeitzeuge, der in seinen Kindertagen die Nachkriegszeit erlebte und später die Entwicklung hin zu einer globalen, multipolaren Welt an vielen Stellen und in vielen Ländern miterlebte und beschrieb – nicht weniger als dies ist Robert v. Lucius. Seinen Erinnerungen seien recht viele Leser gewünscht.
Robert v. Lucius, Spuren des Schreibens. Redakteur, Korrespondent, Autor. Wolff Verlag, Berlin / Breitungen 2021, 266 S., broschiert, zahlr. Farbbilder, ISBN 978-3-941461-43-7, 17,90 Euro.