Am 31.12.2022 verstarb Papst Benedikt XVI. im hohen Alter von fast 96 Jahren. Schon seit Tagen hatte sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Nun muss die Welt von ihm Abschied nehmen. 2005 war er als Joseph Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt worden. Er hatte davon geträumt, im Alter wieder wissenschaftlich tätig zu sein. Papst wollte er gewiss nicht werden, weil er um die Verantwortung und die Last dieses Amtes wusste. Aber als Sohn der Kirche, wie er sich verstand, nahm er die Wahl an. Er hatte dann allerdings den Mut, von seinem Amt als Papst zurückzutreten, als er fühlte, dass seine gesundheitlichen Kräfte nachließen und er nicht mehr den Erfordernissen des Amtes gewachsen war.
Nach einer ersten Begeisterung („Wir sind Papst!“) war das Verhältnis vieler Deutschen zu ihrem Papst bald merklich unterkühlt. Es bewahrheitete sich, was der scharfzügige Karl Kraus schon vor mehr als 100 Jahren den Deutschen den Vorwurf gemacht hatte: aus dem „Volk der Dichter und Denker“ sei „ein Volk der Richter und Henker“ geworden. Tatsächlich! „Unschuldsvermutung“ ist ein Fremdwort geworden und jedes Gutachten wird sogleich als Gerichtsurteil gewertet. Konkret, man kritisiert sein Verhalten einigen Missbrauchstätern gegenüber, aber dass er 400 Priester/Missbrauchstäter ihres Amtes enthoben („laisiert“) hat, findet man kaum einer Erwähnung wert.
Um Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zutreffend zu charakterisieren, muss man unterscheiden zwischen Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI., wie er wirklich war, und dem „virtuellen Papst“, d. h. dem Bild, das manche Medien von ihm gezeichnet haben.
Es gibt keinen Zweifel, Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. wird als „Theologenpapst“ in die Kirchengeschichte eingehen. In seiner überlegenen Intellektualität hatte er auch keine Probleme, das Gespräch mit Geistesgrößen seiner Zeit (z. B. Jürgen Habermas) zu führen. Legendär sind seine Reden in der Wiener Hofburg (2007), vor der UNO (2008), in Paris (2008) und in der Londoner Westminster Hall (2010). Angela Merkel nannte seine Rede vor dem Deutschen Bundestag (2011) ein „Sternstunde des Parlaments.“ Aber Papst Benedikt XVI. hatte auch eine Antenne zu den einfachen Leuten. Er verstand es auch, mit Erstkommunionkindern über das Geheimnis der Eucharistie zu sprechen.
Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. war ein Meister der Sprache. Man hörte ihm gerne zu, zumal er fähig war, aus dem Stegreif wie gedruckt zu sprechen. Und viele mussten gestehen, er habe in der Zusammenfassung einer Diskussion ihre Gesprächsbeiträge prägnanter gefasst und besser formuliert, als sie es selbst gekonnt hatten. Trotz etlicher Unkenrufe im Vorfeld mancher seiner Auslandsreisen hat er regelmäßig die Menschen mit der Bescheidenheit seines Auftretens und der Klarheit und der Kraft seiner Worte beeindruckt.
Anliegen seiner Theologie war, aufzuzeigen, wie die kirchliche Lehre in der Bibel und in der Tradition der Kirche verankert ist. Damit faszinierte er in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts seine Studenten. Vor allem, er verstand es, den christlichen Glauben zeitgemäß zu verkünden. So wurde seine „Einführung in das Christentum“ (1968) zum Bestseller.
Sein Hauptanliegen aber war, die Menschen zum Glauben an Jesus Christus hinzuführen bzw. im Glauben zu stärken. Dem sollten seine „Jesusbücher“ (Jesus von Nazareth, 3 Bde., 2007 ff.)
seine päpstlichen Rundschreiben „Gott ist die Liebe (2006) und „Über die christliche Hoffnung (2007) dienen. Seine Vorarbeiten für ein Rundschreiben über den christlichen Glauben konnte dann Papst Franziskus als Grundlage für seine Enzyklika „Freude am Glauben“ nehmen. Für Papst Benedikt ging es im christlichen Glauben nicht in erster Linie um Glaubenssätze, sondern um die Beziehung zu einer Person, zu Jesus Christus.
Zwei Sätze von Joseph Ratzinger/Papst Benedikt mögen besonders zum Nachdenken anregen: „Die Kirche hat ein Credo, das man singen kann!“ und: „Es gibt so viele Weg zu Gott, wie es Menschen gibt.“
Hatte man den Professor und Kardinal Dr. Joseph Ratzinger als einen Mann in Erinnerung, der eher etwas steif, ja vielleicht schüchtern wirkte, der jedenfalls nicht die kommunikative Ausstrahlung hatte, die so viele an Papst Johannes Paul II. fasziniert hat, so erlebte man eine Überraschung! Man hat Joseph Ratzinger vorher selten so gelöst und heiter erlebt wie bei seiner „Einführung in den Petrusdienst“. Sonst wirkte er eher konzentriert und angespannt. Auch z. B. bei seinem Besuch in Bayern zeigte er bei seinen Auftritten eine große Heiterkeit und Gelöstheit. Man konnte sogar den Eindruck haben, Papst Benedikt leide weniger unter der Last seines hohen Amtes und seiner großen Verantwortung als mancher Pfarrer in Deutschland unter der Last seines kleinen Amtes.“ Das hängt sicher nicht zuletzt mit seiner Glaubenshaltung zusammen (vgl. Johannes XXIII.: „Johannes, nimm dich nicht so wichtig!“).
Prof. Heinz (Augsburg) fasste den beschriebenen Wandel vom Präfekten der Glaubenskongregation zum Papst in dem Wort zusammen: Joseph Ratzinger habe sich vom Hirtenhund zum Hirten gewandelt. Allerdings möchte man als ehemaliger Schüler gerne ergänzen: Wir haben Joseph Ratzinger nicht erst seit 2005 als „Hirten“ erlebt. Er war ein überzeugender Botschafter des Evangeliums, kein Mann der großen Gesten, sondern eher ein Mann der leisen Töne.
(Dr. Michael Hofmann)