„Es ist durchaus denkbar, dass künftige Generationen auf Beweise der Unterlegenheit des sozialistischen Plans ebenso herabsehen werden, wie wir auf Adam Smith’s Argumente gegen die Aktiengesellschaft.“ Diese Äußerung stammt nicht etwa aus der „kommunistischen Plattform“ einer Linkspartei, sondern von Joseph Alois Schumpeter, den letzten universalen Kopf unserer Wissenschaft, wie der Kölner Wirtschaftsprofessor und Volkswirtschaftspapst Günter Schmölders (1903-1991) ihn nannte. Sein Kieler Kollege Erich Schneider ergänzte: „Was seine Werke enthalten, gehört zum unverlierbaren klassischen Besitz der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.“ Abgesehen von Max Weber, war Schumpeter wohl der gebildetste Ökonom, der je an einer Universität unterrichtet hat. Er beantwortete die Frage, ob der Kapitalismus überleben werde, mit einem klaren „Nein“. Später stellte er sogar fest, dass er sich durchaus vorstellen könne, dass eine Planwirtschaft dem Konkurrenz-Kapitalismus überlegen ist. Dieses könnte durchaus Realität werden, wenn Rohstoffmängel entsprechende Handlungen erfordern.
Obgleich Schumpeter das Hohelied auf den wagemutigen und dynamischen Unternehmer sang, wird er häufig mit Karl Marx verglichen. Beide bezogen nämlich die geschichtliche Entwicklung in ihre ökonomischen Überlegungen ein. Beide waren der Meinung, dass der Kapitalismus nicht überleben würde. Die „Sozialisierung“ bereitete Schumpeter kein Kopfzerbrechen; sie sei lediglich ein Schritt über die Großunternehmen hinaus. Vom „Ideal des freien Wettbewerbs“ mit vielen kleinen, machtlosen Anbietern hielt er wenig, und verteufelte auch nicht pauschal die marktbeherrschenden Konzerne.
Er argumentierte, dass wir unseren Wohlstand nicht den kleinen Anbietern, die sich gegenseitig die Preise herabdrücken, verdanken. Vielmehr ist das hohe Konsumniveau eine Folge der Konzentration des Kapitals bei wenigen Industrie-Kolossen. Deren finanzielle Kraft beschleunige den technischen Fortschritt und – speziell – die Entwicklung rationeller Verfahren.
Schumpeter äußerte gegenüber der erstaunten Fachwelt, dass der Kapitalismus nicht an seinen Mängeln, sondern an seinen Erfolg zugrunde gehen werde. Dieses System sei ungerecht, und verlange von den Menschen, die ungleiche Verteilung der Einkommen und die Arbeitslosigkeit widerspruchslos hinzunehmen. Eine der größten Leistungen des Kapitalismus bestehe jedoch darin, dass er die Errichtung eines gigantischen Erziehungsapparats (Schulen und Universitäten) finanzierbar gemacht habe. So rekrutierten sich aus dem Volk, dessen geistiges Niveau gewachsen sei, Regimenter von kritischen Intellektuellen, die mit ihren Reden und Schriften die gefühlsmäßige Anhänglichkeit der Menschen an die Profitwirtschaft zerstörten. Dieses würde dann zu einer Atmosphäre allgemeiner Feindseligkeit führen. Demnach dürfte es zum größten Teil von der Bildung der Menschen abhängen, um sich gegen die Ungerechtigkeiten des Kapitalismus zur Wehr zu setzen. Eine derartige Aussage wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Gesellschaft und auf die Handlungen der Politiker.
Von seinen Vorgängern und Zeitgenossen unterschied sich Schumpeter dadurch, dass er nicht so sehr um ein geschlossenes, stimmiges Theorie-System bemüht war, sondern um die Durchdringung vieler Einzelfragen, was die Gefahr beinhaltete, niemals „fertig“ zu werden.
Einen Namen machte er sich u.a. als Konjunkturforscher dadurch, dass er die konjunkturellen Auf- und Abschwünge nicht nur auf äußerliche Faktoren wie Kriege und Missernten alleine zurückführte, sondern auf das Funktionieren bzw. auf systemimmanente Faktoren des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Mit dieser Auffassung manövrierte er sich in einen Gegensatz zu den damals herrschenden Lehren.
Die Modelle seiner Kollegen kritisierte er dahingehend, dass sie nicht exakt dietatsächlichen Vorgänge auf den „Märkten“ widerspiegeln würden. Die Anpassung des wirtschaftlichen Gleichgewichts gehe nicht reibungslos vonstatten. Viel gewichtiger noch war seine Kritik an den Vorstellungen, welche sich seine Kollegen vom Wettbewerb machten. Der Kapitalismus sei nämlich „nicht nur stationär, sondern kann es auch nie sein“ Wichtiger als die Preiskonkurrenz sei vielmehr die Konkurrenz der Qualität und der Produktionsverfahren.
Das heißt: Wie schon für Karl Marx bestand auch für Schumpeter der Wettbewerb vor allem aus einem ständigen Prozess der „schöpferischen Zerstörung“, bei dem neue und qualitativ bessere Produktionsverfahren und Waren die alten Verfahren und Waren verdrängen. Die Geschichte des Kapitalismus sei u. a. eine Geschichte der technischen Revolution. Die Untersuchung der technischen und kommerziellen Innovationen spielte bei Schumpeter die größere Rolle, als darüber nachzudenken, welche Kräfte das wirtschaftliche Gleichgewicht immer wieder aus den Angeln heben.
In den Seminaren des Professors freundete sich dieser mit den damaligen Studenten Hilferding und Otto Bauer an, welche sich bald als linke Theoretiker hervortun sollten. Allerdings konnte er die teilweise hitzigen Diskussionen über Mehrwert und Ausbeutung nicht nachvollziehen, und fiel durch seine „kühle Distanz“ auf, so dass der Eindruck entstand, ihm fehle der nötige Ernst.
1907 ging Schumpeter nach Ägypten, wo er als Jurist am internationalen Gerichtshof arbeitete. In dieser Zeit schrieb er sein erstes Buch: „Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie.“ Mit diesem Erstlingswerk verschaffte er sich Einlass in die gelehrte Welt. 1909 wurde er mit 26 Jahren Professor an der kleinen Universität von Czernowitz. Zwei Jahre später übernahm der den Lehrstuhl für Nationalökonomie in Graz. Auf einen Ruf aus Wien wartete er vergeblich; statt dessen meldete sich die Columbia-Universität in New York, die ihn zu Gastvorlesungen einlud, und ihm die Würde eines Ehrendoktors verlieh.
Mit dem Begriff Innovation meinte Schumpeter jede denkbare Veränderung in den Methoden der Güterversorgung. Darunter fallen:
Die Erfindung und Entwicklung neuer Produkte
Die Erfindung und Einführung neuer Produktionstechniken
Die Änderung in der Organisation in und zwischen den Unternehmungen
Innovationen sind demnach nicht nur bahnbrechende Neuerungen wie die Einführung der Elektrizität. Zu einer Innovation gehört also auch, dass eine Idee auch tatsächlich auf dem Markt durchgesetzt wird. Heute trifft dieses nur bei ca. 4 % aller Erfindungen zu. Die Durchsetzung von Innovationen stößt auf erhebliche Probleme durch die etablierten Konzerne. Aus Gründen des Profits verschwinden oftmals Innovationen in den Schubladen der Konzernmanager. Der Förderung und der konsequenten Durchsetzung kommt demnach erhebliche Bedeutung zu.
Als weitere Schwierigkeit der Durchsetzung erweist sich die Notwendigkeit der sinnvollen Verbreitung, was mit weiterhin erheblichen Investitionen verbunden ist. So ist z. B. die Verbreitung eines gasgetriebenen Fahrzeugs nur dann möglich, wenn ein entsprechendes Netz an Tankstellen geschaffen wurde.
Schumpeters Berufung zum Professor an der Universität in Bonn machte diese bald zum Mekka der Ökonomen aus aller Welt. Der Denker unterrichtete dort vornehmlich die höheren Semester.Wohl ahnend, dass im Deutschland eines Hitlers für ihn kein Platz sei, folgte er 1932 einem Ruf an die damals bedeutendste Hochschule der USA, die Harvard-Universität. Dort baute er seine Konjunktur-Theorie weiter aus.
Die Innovationen erfolgen in Schüben, wobei diese nach Überwindung entsprechender Hindernisse gewöhnlich eine weitere Welle von Innovationen nach sich ziehen. In diesem Vorgang sah Schumpeter die Hauptursache für die Auf- und Abschwünge in der Wirtschaft. Schumpeter hob auch darauf ab, dass entsprechende Zahlungsmittel z.B. zur Erstellung von Produktionsanlagen zur Verfügung stehen müssen, was wiederum nicht nur von den Banken alleine dargestellt werden kann. Der Fiskalpolitik kommt demnach ein hohes Maß an Verantwortung hinsichtlich der Steuerung zu.
Außer den Innovationszyklen nannte Schumpeter noch viele andere Ursachen, die den Wirtschaftsprozeß ins Schwanken bringen, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Wie andere Ökonomen seiner Zunft widerspricht er den „Klassikern“, welche lediglich exogene Faktoren wie Kriege und Missernten für die Ungleichgewichte verantwortlich machten. Er bewies anschaulich, dass die gleichen Kräfte, welche für den Aufschwung verantwortlich sind auch für den Abschwung sorgen. Seine Zyklenlehre wurde in der Ökonomie nie richtig verstanden. Dort gelten offenbar immer noch aus naheliegenden Gründen die überholten Ansichten, wonach hohe Löhne und eine verfehlte Wirtschaftspolitik die Schuld an Depressionen tragen.
Zeit seines Lebens stand Schumpeter im Schatten von John Maynard Keynes. So arbeitete er 1930 an einem Band über „Geld und Währung“. Im selben Jahr brachte Keynes sein Buch „Vom Gelde“ heraus. Sein Schüler Erich Schneider berichtete davon, dass Schumpeter ihm erklärte, daß er sein Manuskript nicht mehr veröffentlichen könne. Alle seine wesentlichen Ideen seien von Keynes vorweggenommen worden. Es bleibe ihm nur noch, das Manuskript zu vernichten. Nach seinem Tode fand man jedoch eine bearbeitete Schrift, die 1970 unter dem Titel „Das Wesen des Geldes“ erschien.
Schumpeter heiratet 1937 seine dritte Frau Elizabeth Boody. Er lebte zurückgezogen, und schrieb das Buch „Geschichte der ökonomischen Analyse“, in der er noch einmal sein umfassendes Wissen ausbreitete. Obwohl dieses Werk mit 1520 Seiten unvollendet blieb, zählt es doch zu den Höhepunkten der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur. Joseph A. Schumpeter verstarb am 8. Januar 1950.
Literaturhinweise:
Paul-Heinz Koesters,„Ökonomen verändern die Welt“
Joseph A. Schumpeter „Das Wesen des Geldes“
Joseph A. Schumpeter „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“
Erich Schneider: „Joseph A. Schumpeter, Leben und Werk eines großen Sozialökonomen“.
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